Der Mann, der früher nervös war – Wawrinka trifft im Halbfinal auf Federer

In der Nacht auf Donnerstag lässt Stanislas Wawrinka dem Südafrikaner Kevin Anderson keine Chance. Im Halbfinal trifft er nun auf Roger Federer. Und was ihm früher Sorgenfalten ins Gesicht trieb, lässt ihn heute kalt.

Stan Wawrinka, of Switzerland, reacts after beating Kevin Anderson, of South Africa, during a quarterfinal match at the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 9, 2015, in New York. (AP Photo/Kathy Kmonicek)

(Bild: Keystone/KATHY KMONICEK)

In der Nacht auf Donnerstag lässt Stanislas Wawrinka dem Südafrikaner Kevin Anderson keine Chance. Im Halbfinal trifft er auf Roger Federer. Und was ihm früher Sorgenfalten ins Gesicht trieb, lässt ihn heute kalt.

Wer alles wurde in den letzten Jahren nicht als Mann der Zukunft im Welttennis ausgerufen, als potenzieller Spielverderber für die grossen vier? Das bulgarische Federer-Double Grigor Dimitrow gehörte dazu, der kanadische Hammer-Aufschläger Milos Raonic, auch der japanische Flitzer Kei Nishikori und die australische Skandalnudel Nick Kyrgios.

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Doch die Machtarchitekur an der Spitze hat ein ganz anderer verändert, einer, der einst nur als Champion des Zauderns und Zögerns galt, als Chancentod und Nervenbündel – der einstige Schattenmann von Roger Federer: der 30-jährige Stan Wawrinka.

Bei den US Open zeigt Wawrinka gerade alle Qualitäten eines grossartigen Grand-Slam-Wettkämpfers: Eine Woche spielte er abseits der grossen Schlagzeilen effektiv und unspektakulär, sparte sich aber seine Energie für die prickelnde Schlussphase des Big-Apple-Spektakels auf.

Wawrinka: «Früher war immer nur ich nervös»

In der Nacht auf Donnerstag erlebte New York den Mann aus Lausanne dann erstmals in ganzer Prachtentfaltung: Wie aus einem Guss servierte Wawrinka den Südafrikaner Kevin Anderson 6:4, 6:4 und 6:0 ab und rauschte zum dritten Mal in dieser Saison in ein Grand-Slam-Halbfinal durch.



Stan Wawrinka, of Switzerland, returns a shot to Kevin Anderson, of South Africa, during a quarterfinal match at the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 9, 2015, in New York. (AP Photo/Kathy Kmonicek)

Kevin Anderson aus Südafrika hatte gegen diesen Stanislas Wawrinka keine Chance – das ist auch dem neuen Selbstverständnis des Westschweizers geschuldet. (Bild: Keystone/KATHY KMONICEK)

Und auf wen trifft Wawrinka da? Auf Landsmann und Freund Roger Federer, auf das eigene Idol, auf den langjährigen Mentor. «Früher in unseren Spielen, da war immer nur einer nervös: ich», sagt Wawrinka. «Heute spüren wir beide dieses Lampenfieber, diese Anspannung.»

Wawrinka habe sich zu einem Spieler entwickelt, «der bei jedem, absolut jedem Turnier den Pokal gewinnen kann», sagt Federer, der den Franzosen Gasquet 6:3, 6:3, 6:1 abschoss, «er hat gewaltig an Statur gewonnen».

John McEnroe: «Wawrinka ist der Aufsteiger schlechthin»

Und auch an Konstanz, besonders bei den bedeutenden Grand-Slam-Festspielen. Jenen Leistungsmessen, die Status und Wertigkeit eines Berufsspielers definieren und ihm im Erfolgsfall auch den Respekt der Kollegen verschaffen.

» Die Bewegtbilder zu Federers Sieg
» Die Bewegtbilder zu Wawrinkas Sieg

«Er ist der Aufsteiger schlechthin», sagt Experte John McEnroe, «seine Entwicklung ist atemraubend.» Seit zwei Jahren spielt Wawrinka stets bis weit in die zweite Turnierwoche bei den Grand Slams mit, ausgenommen die French Open 2014.

Inzwischen ist er keiner mehr, der sich gegen das Topquartett mit den Herren Djokovic, Federer, Murray und Nadal auflehnt. Er selbst, Stan Wawrinka, der berühmt-berüchtigte Stanimal, gehört dazu. Er ist der vierte Spitzenmann, nicht etwa der schwächelnde Mallorquiner Nadal, der auch in New York schon in der Frühphase des Wettbewerbs stolperte.

Wawrinka ist nicht mehr der belächelte Juniorpartner Federers

Wawrinka hat sich vom Übervater Federer emanzipiert und sich sportlich freigespielt. Die Beisshemmung gegen den 17-fachen Grand-Slam-Sieger hat er verloren, jüngst bei den French Open schaltete der 30-Jährige den vier Jahre älteren Weggefährten geradezu mühelos in drei Viertelfinalsätzen aus – und holte sich dann den Titel gegen Djokovic.



Spectators watch a quarterfinal match between Stan Wawrinka, of Switzerland, and Kevin Anderson, of South Africa, at the U.S. Open tennis tournament, Wednesday, Sept. 9, 2015, in New York. (AP Photo/Kathy Kmonicek)

Die wunderschöne Stimmung an den US Open während der Partie zwischen Kevin Anderson und Stanislas Wawrinka. (Bild: Keystone/KATHY KMONICEK)

Wawrinka ist nicht mehr der ewig belächelte Juniorpartner Federers, nicht der «andere Schweizer», sondern selbst eine starke Marke in diesem Weltsport. Er – und nicht Federer – war es auch, der die Schweiz im vergangenen Jahr zum umjubelten und historischen Davis-Cup-Sieg führte. Federer wusste später genau, wem die Acht-Millionen-Nation den Dank für den Pokalgewinn schuldete: «Stan war der Mann.» Stan, the Man halt.

Federers eindrückliche Zahlen gegen Gasquet

Selbst ein bisher in New York unbezähmbar und fast surreal gut auftretender Federer jagt ihm keinen lähmenden Schrecken mehr ein. Wawrinka respektiert einfach die «Wahnsinnsleistungen», die der Ältere immer noch und immer wieder abruft.

Während Wawrinka am Mittwoch den Murray-Bezwinger Anderson nach allen Regeln der Kunst abfertigte, erlebten 22’000 Zuschauer Federer wie im Rausch: Gegen Frankreichs Stolz Richard Gasquet legte er eine Bilanz von 50:8-Siegschlägen und 16:1-Assen hin, erledigte den Job in bloss 88 Minuten.

Ins Gelingen verliebt – nicht ins Scheitern

«Sorry, Leute, der Mann soll 34 Jahre sein», befand da Ex-Star Jim Courier, «das ist unfassbar. Da wird sich auch Wawrinka warm anziehen müssen.»

Wawrinka aber ist nicht mehr ins Scheitern, sondern ins Gelingen verliebt. Deshalb ist ihm der bärenstarke Federer gerade recht, um die eigene Klasse zu beweisen, um an der Grösse der Herausforderung zu wachsen. «Ich freue mich auf den Showdown», sagt Wawrinka, «es wird eine grossartige Sache.»




Und in Lausanne, da ziert Stanislas Wawrinka gleich Dutzende Quadratmeter gross die Fassaden. (Bild: Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

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