Der neue Schweizer Erfolgshunger im Schnee

Beflügelt durch die Siege von Lara Gut und Patrick Küng sowie ermutigende Platzierungen für Beat Feuz und Carlo Janka kommen die Schweizer Alpinen aus Übersee zurück nach Europa, wo der Weltcup-Tross am Wochenende in St. Moritz und Val-d’Isère Halt macht.

Lara Gut of Switzerland celebrates on the podium with a Golden Eagle posed in front of her after winning the women's World Cup Super-G ski race in Beaver Creek, Colorado, November 30, 2013. REUTERS/Rick Wilking (UNITED STATES - Tags: SPORT SKIING ANIMALS) (Bild: Reuters/RICK WILKING)

Beflügelt durch die Siege von Lara Gut und Patrick Küng sowie ermutigende Platzierungen für Beat Feuz und Carlo Janka kommen die Schweizer Alpinen aus Übersee zurück nach Europa, wo der Weltcup-Tross am Wochenende in St. Moritz und Val-d’Isère Halt macht.

Ein schlichter 19. Rang genügt bereits. Dann wäre die grösste Flop-Saison in der Schweizer Ski-Historie bereits korrigiert. Ganze 217 Punkte hat Didier Defago im vergangenen Weltcup-Winter gesammelt. Mit dieser bescheidenen Ausbeute schaffte es der amtierende Abfahrtsolympiasieger in der Gesamtwertung gerade noch so auf Platz 30. Zum Titel «Bester Schweizer Skirennläufer der Saison 2012/2013» reichte das mickrige Abschneiden dennoch.

Der Weltcup bis Jahreswechsel

Frauen
Sa, 14.12. St. Moritz Super-G
So, 15.12. St. Moritz Riesenslalom (RS)
Di, 17.12. Courchevel, Slalom
Sa, 21.12. Val-d’Isère Abfahrt
So, 22.12. Val-d’Isère RS
Sa, 28.12. Lienz RS
So, 29.12. Lienz Slalom

Männer
Sa, 14.12. Val-d’Isère Riesenslalom
So, 15.12. Val-d’Isère Slalom
Fr, 20.12. Gröden Super-G
Sa, 21.12. Gröden Abfahrt
So, 22.12. Alta Badia RS
So, 29.12. Bormio Abfahrt

» Zum Weltcup-Kalender

Patrick Küng fehlen schon jetzt nur mehr zwölf Punkte, oder eben ein 19. Rang, um Didier Defagos Marke aus dem letzten Winter zu übertrumpfen. Dabei hat der neue kalendarisch noch gar nicht begonnen, sind bei den Männern gerade einmal sieben von 35 Saisonrennen absolviert. Umso bemerkenswerter und beeindruckender fällt daher die erste Zwischenbilanz für Swiss Ski aus.

Die Messlatte aus dem Vorjahr mag zwar nicht allzu hoch gelegen sein, doch tatsächlich ist den Schweizern ein Saisonauftakt nach Übermass gelungen: Bei den Männern gibt es dank Patrick Küng, dem Gewinner des Super-G von Beaver Creek, wieder ein neues Schweizer Siegergesicht, bei den Frauen ist vor dem Heimweltcup in St. Moritz – mit Super-G an diesem Samstag und Riesenslalom am Sonntag – Lara Gut die Läuferin der Stunde.

Gut gewinnt, Küng gewinnt – es weht ein frischer Wind

Wer hätte noch vor wenigen Wochen daran gedacht, dass das ramponierte Schweizer Ski-Team mit fünf Mal so vielen Weltcupsiegen zurück nach Europa kommt, als die erfolgsverwöhnte Skigrossmacht Österreich? Wer hätte sich vorstellen können, dass Lara Gut binnen fünf Wochen mehr Weltcuprennen gewinnt, als in ihrer gesamten Karriere zuvor? Und wer hätte es angesichts der langen Krankengeschichten noch für möglich gehalten, dass sich Beat Feuz und Carlo Janka wieder in den Top Ten zurück melden?

Wo doch selbst die graue Schweizer Ski-Eminenz nicht mehr so recht an eine rosige Zukunft geglaubt zu haben schien. «Die Schweizer Herren sind im Eimer», hatte Bernhard Russi anlässlich der Ski-Weltmeisterschaften in Schladming noch gemeint und seinen Landsleuten lautstark skitechnische Mängel attestiert.

Und nun so was. Aber woher weht der frische Wind? Warum haben die Schweizer Skifahrer wieder in die Erfolgsspur zurück gefunden? Und was haben die vielen österreichischen Trainer, die neuerdings für Swiss Ski im Einsatz sind, mit dem Aufschwung zu tun?

Die Sorgenkinder sind zurück

Beim österreichischen Fernsehen ORF feierte man in Ermangelung eigener rot-weiss-roter Siege – die Skination Nummer eins steht derzeit bei erst einem Weltcupsieg durch Marcel Hirscher im Slalom von Levi – bereits die österreichischen Trainer als die wahren und einzigen Väter der Schweizer Erfolge. Doch Patrick Küng wollte nach seinem Triumph in Beaver Creek vor laufender ORF-Kamera partout nicht in die österreichischen Lobeshymnen einstimmen. «Natürlich, die machen einen guten Job, aber wir haben auch sehr gute Schweizer Trainer bei uns», stellte der 29-Jährige unmissverständlich klar.

Der Glarner ist das beste Beispiel, warum es in diesem Winter für Swiss Ski wieder aufwärts geht. Wieder aufwärts gehen kann. Wie viele seiner Teamkollegen hat Küng gerade eine lange Verletzungspause (Kreuzbandriss im Knie) hinter sich, kaum eine andere Mannschaft war in der jüngeren Vergangenheit so von Verletzungs- und Personalsorgen geplagt wie die Schweizer Männer.

Beat Feuz, Carlo Janka, Daniel Albrecht – sämtliche Leistungsträger und Winnertypen der letzten Jahre befanden sich im Krankenstand, und nachdem 2012 auch noch Didier Cuche die Karriere beendet hatte, stand die Schweiz plötzlich ohne Führungsfiguren da. «Das verkraftet keine Nation der Welt», sagt der neue Alpinchef Rudi Huber.

Die gereifte Lara Gut

Mittlerweile haben sich zwei Schweizer Sorgenkinder wieder eindrucksvoll zurück gemeldet. Beat Feuz, der nach seinen 15 (!) Knie-Operationen bereits laut über ein Karriereende nachgedacht hat, verblüffte sich und die Konkurrenz mit dem sechsten Platz in der Abfahrt von Beaver Creek: «Damit habe ich nicht gerechnet. Während der Fahrt verspüre ich keine Schmerzen, aber ich muss das Training extrem dosieren.»

Carlo Janka raste im abschliessenden Riesentorlauf mit Startnummer 68 auf Rang sechs. Der Weltcup-Gesamtsieger von 2009/10 hat sich, spät aber doch, mit dem neuen Material arrangiert, und seine Herzprobleme sind überstanden. «Es hat lange Zeit gedauert, aber jetzt fühle ich mich auf dem Ski wieder wohl», meint Janka, «mir fehlt nur noch ein wenig die Kondition.»

Für den Alpinchef hat Lara Gut das Zeug zur Gesamt-Weltcupsiegerin.

Für Neo-Alpinchef Huber kommt die Leistungsexplosion alles andere als überraschend: «Das ist natürlich ein perfekter Saisonstart für uns, wir sehen, dass wir konkurrenzfähig sind». Genau diesen Effekt hat sich der Salzburger bei den Männern von der neuen Gruppen-Einteilung und dem intensiven Speed-Trainingsblock im Sommer erhofft und erwartet. Und in Lara Gut hatte er ohnehin vor seinem Amtsantritt schon eine potenzielle Weltcup-Gesamtsiegerin gesehen.

Für Huber war es nur eine Frage der Zeit, bis das einstige «Übertalent» erwachsen und damit ihren Vorschusslorbeeren gerecht werden würde. Mit 22 wirkt Lara Gut mittlerweile gereift und auch die Extravaganzen früherer Tage sind weniger geworden. «Ich probiere jeden Tag einen Schritt vorwärts zu kommen. Das ist mir seit Sölden gelungen, aber das gleiche muss ich jetzt weitermachen bis März», meint die Weltcup-Leaderin.

Die Übersee-Resultate mit Vorsicht geniessen

So faszinierend die Siegesserie der 22-jährigen Tessinerin ist, so bemerkenswert ist auch der Leistungsabfall von Weltcup-Gesamtsiegerin Tina Maze. In der vergangenen Saison hatte die Slowenin noch einen neuen Punkterekord fixiert und war ein Stammgast auf dem Siegespodest, nun wirkt und fährt die beste Skiläuferin der Welt wie ein Schatten ihrer selbst.

Doch die Experten warnen davor, die Slowenin im Olympiawinter vorzeitig abzuschreiben. Denn die Resultate bei den Übersee-Rennen sind immer mit Vorsicht zu geniessen. Nicht jeder Läufer fühlt sich auf dem aggressiven nordamerikanischen Schnee wohl, und manche Skifirmen haben augenscheinlich Aufholbedarf.

Andere Schnee-, aber keine neuen Kräfteverhältnisse

In Beaver Creek und Lake Louise hatte jedenfalls Head klar die Nase vorne und führt im Markenranking. Doch es wäre zu billig, den riesigen Vorsprung von Ted Ligety im Riesentorlauf von Beaver Creek (1,32 Sekunden Vorsprung auf den wieder erstarkten Landsmann Bode Miller) auf den Ski zu reduzieren. Der amtierende Riesentorlauf-Weltmeister aus den USA fährt in seiner Paradedisziplin schlicht in einer eigenen Liga.

«Es gibt einen Klassenunterschied, das braucht man nicht schönreden», muss sich auch Weltcup-Gesamtsieger Marcel Hirscher eingestehen, der zuletzt fast zwei Sekunden auf Ligety verlor. Der Österreicher setzt seine Hoffnung in den europäischen Schnee. «In Val d’Isère werden am Wochenende ganz andere Verhältnisse sein.»

Andere Schnee-Verhältnisse, aber kein neues Kräfteverhältnis. Das glaubt jedenfalls Rudi Huber. Geht es nach dem Schweizer Alpinchef dann waren die bisherigen Erfolge nur ein Appetizer. «Ich bin aber überzeugt, dass da noch einige positive Überraschungen kommen werden.»

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