Der Pfarrer, der dem FC Basel Spieler vermittelt

Die geschlossene Gemeinschaft einer Freikirche in Paraguay verhindert, dass Ferdinand Pankratz Fussballprofi wird. Über Umwege und dank einer indigenen Sprache landet der 43-jährige Basler Pfarrer aber doch noch im Fussballgeschäft – als Spielervermittler.

Ferdinand Pankratz

(Bild: Dirk Wetzel)

Vor wenigen Monaten erlebte Ferdinand Pankratz eine Begegnung, die sein Leben veränderte. Durch einen Zufall hatte er den Sportchef eines Schweizer Fussballvereins kennengelernt, und der habe ihm gesagt: «Sie sind wie viele andere Pfarrer auch. Wenn es darauf ankommt, dann kneifen Sie. Aber gehören Sie nicht genau da hin, wo es schwierig wird? Da, wo Jesus auch hingegangen ist?»

Pankratz, den 43-jährigen Geistlichen, bewegten diese Worte. Er kam zum Schluss, dass es seine Aufgabe als Christ ist, dahin zu gehen, wo es herausfordernd, schwierig, ja vielleicht gar dreckig ist. Und dann stürzte er sich doch noch ins professionelle Fussballgeschäft, mit dem er eigentlich abgeschlossen hatte.

Ein Vierteljahrhundert nachdem sich Pankratz als Mitglied der freikirchlichen Mennoniten in Paraguay gegen eine Karriere als Berufsspieler entschieden hatte, tauchte er ein in die Welt des professionellen Fussballs: Pankratz reduzierte sein Pensum als Pfarrer in der Freien Missionsgemeinde Basel auf fünfzig Prozent. Daneben vertritt er Fussballprofis wie Blas Riveros, den er dem FC Basel vermittelt hat.

Wegen der Mennonitenkolonie auf eine Fussballkarriere verzichtet

Im Untergeschoss des Basler Stadions St.-Jakob-Park, der neuen Heimat seines Spielers, erzählt Pankratz wenige Tage vor dem Saisonstart am Tisch eines leeren Lokals die Geschichte seines Lebens. Dieses beginnt 1972 in einer Mennonitenkolonie in Paraguay, einer geschlossenen Gemeinschaft dieser evangelischen Freikirche. 

Seine Grosseltern, Russland-Deutsche aus der Krim-Region, sind nach dem Ersten Weltkrieg aus der Sowjetunion nach Paraguay geflüchtet und lebten dort in der Kolonie Friesland, einer von vielen solchen Glaubensgemeinschaften deutschen Ursprungs. In dieser Kolonie, wo heute gut 700 Menschen leben, kommen Pankratz‘ Eltern zur Welt, er und seine Frau ebenfalls.



Ferdinand Pankratz

«Wenn ich Fussballprofi werde, dann habe ich ein Problem mit der mennonitischen Gemeinschaft.» Das Dilemma des jugendlichen Ferdinand Pankratz. (Bild: Dirk Wetzel)

Der junge Ferdinand entdeckt den Fussball, mit 15 Jahren spielt er in der ersten Mannschaft. Nicht in der staatlichen Liga, sondern in der Meisterschaft des Mennonitischen Fussballbunds Ostparaguay, den es wie eigene Steuer- und Schulsysteme oder Radiostadionen in den geschlossenen Welten der Kolonien gibt. Pankratz ist talentiert, ein Verein aus der nationalen Liga entdeckt ihn und macht ihm ein Angebot. Der Vater ist damit einverstanden, seinen Sohn zum staatlichen Fussball ziehen zu lassen, die Gemeinschaft der Mennoniten aber nicht.

Pankratz gibt dem Druck der Kolonie nach, «man ist jung und versucht sich zu fügen, wenn man zur Gemeinschaft gehören will». Aber er hinterlässt dem Sportchef des interessierten Vereins die Telefonnummer seines Elternhauses mit der Absicht, für den Verein zu spielen, sobald er achtzehn ist.

Vorderhand zieht er aus der Kolonie aus und macht in der Hauptstadt Asuncion eine Lehre als Kaufmann, bis sich der Sportchef Monate später wieder meldet. Es ist der Moment, in dem die Karriere des Ferdinand Pankratz doch noch ihren Anfang zu nehmen scheint.

Versteckt vor der mennonitischen Gemeinschaft geht er seinem Traum nach. So lange, bis ein eingeweihter Freund vom Gewissen geplagt das Vorhaben des jungen Talents einer Vertrauensperson in der Kolonie erzählt. Diese stellt Pankratz zur Rede, und einmal mehr steckt der damals 18-Jährige im Dilemma: «Wenn ich Fussballprofi werde, dann habe ich ein Problem mit der Gemeinschaft. Ich hätte auf die Karte Fussball setzen können. Aber ich hatte dieses Selbstvertrauen damals nicht.»

Und so endet die Karriere des Liberos, bevor sie richtig beginnen kann.



Ferdinand Pankratz

«Für die einen bietet eine ethnische Gruppe Schutz und Geborgenheit. Für freiheitsliebende Menschen kann sie sehr einengend sein.» Ferdinand Pankratz zum Leben in der Mennonitenkolonie. (Bild: Dirk Wetzel)

Über zwei Jahrzehnte später bereut Pankratz die Entscheidung nicht. Zweifel daran gibt es über die Jahre aber immer wieder. Die Frage bedrückt ihn, ob er vielleicht doch auf das falsche Pferd gesetzt hat, weil es immer wieder Kontakte zum professionellen Fussball gibt. Zum letzten Mal 1995, als er wieder in der Liga der Mennonitenkolonien spielt. Sein Vorgesetzter ist ein guter Freund des Vizepräsidenten im paraguayischen Fussballverband, so kommt der Kontakt zum Nationaltrainer Laszlo Kubala zustande.

Der Ungar schaut sich Pankratz‘ Spiele an, lädt ihn zum Probetraining mit der Nationalmannschaft ein und will ihn zudem mit seinen Beziehungen zu europäischen Clubs ködern. Doch Pankratz sagt auch Kubala ab. Denn inzwischen hat der 23-Jährige das starke Gefühl, Theologie studieren zu müssen.

Kubala, der zehn Jahre beim FC Barcelona spielte und seine Karriere 1967 beim FC Zürich beendete, antwortet Pankratz: «Theologie ist kein Beruf. Es ist eine Berufung.» Der Trainer akzeptiert den Entscheid des Spielers. Aber er versteht ihn nicht.

Die indigene Sprache Paraguays öffnet alle Türe zum Fussballgeschäft

1997, zwei Jahre nach Kubalas Avancen, kommt Pankratz nach Basel und beginnt das Studium am Theologischen Seminar St. Chrischona. Sein Jugendpfarrer in der Kolonie hatte bereits dort studiert und empfahl die Ausbildung.

Mit dem Abschluss in der Tasche kehrt Pankratz 2002 nach Paraguay zurück und engagiert sich als Jugendarbeiter und Lehrer in der Mennonitenkolonie, wo er wieder mit den Charakteristiken einer geschlossenen Gemeinschaft konfrontiert ist. «Für die einen bietet eine ethnische Gruppe Schutz und Geborgenheit. Für freiheitsliebende Menschen kann sie sehr einengend sein. Ich gehörte zur zweiten Gruppe. Trotz aller guten Aspekte entsprach mir dieses Leben nicht mehr.»

«Ich wusste nicht, wie mein Beruf als Pfarrer vereinbar ist mit dem, was die Welt über das Fussballbusiness weiss.»

Seit 2006 lebt Pankratz wieder in der Schweiz, in Arlesheim mit seiner Frau und den zwei Töchtern. Er wird 2008 freikirchlicher Pfarrer in Basel und engagiert sich nebenher in der Organisation Athletes in Action, die Sportler in Lebens- und Glaubensfragen unterstützt. Als er 2011 damit aufhört, glaubt er endgültig, dass er im Sport nicht mehr Fuss fassen wird.

Doch dann lernt Pankratz beim Essen im Haus eines Freundes Derlis Gonzalez kennen. Er unterhält sich mit dem paraguayischen Spieler des FC Basel in Guarani, der indigenen Sprache Paraguays – und in diesem Moment öffnen sich alle Türen zu dem Geschäft, das für ihn unerreichbar schien. Pankratz wird nach diesem Abend eine Bezugsperson für den Offensivspieler, «eine Art ehrenamtlicher Berater, ein Begleiter und Coach», wie er die Beziehung beschreibt. Sein Agent ist der Geistliche nicht, in die Ukraine fliegt er zu den Verhandlungen mit Gonzalez‘ späterem Verein Dynamo Kiew trotzdem, weil der Spieler das so wollte.



Ferdinand Pankratz

Ferdinand Pankratz und der Blick zum Basler Fussballstadion – dahin will er seine Spieler vermitteln. (Bild: Dirk Wetzel)

Über Gonzalez lernt Pankratz die Führung des FC Basel kennen. Und er kommt in Kontakt mit einem Agenten aus Argentinien, der ihm mehrmals eine Zusammenarbeit anbietet. «Ich lehnte ab, weil ich dachte, dass der Fussball ein zum Teil schwieriges Geschäft ist. Ich wusste nicht, wie mein Beruf als Pfarrer vereinbar ist mit dem, was die Welt über das Fussballbusiness weiss.»

Erst der Sportchef, jener mit dem Vorwurf, er als Pfarrer kneife in schwierigen Situationen, lässt den Geistlichen erkennen: «Fussball und Theologie, das ist kein Widerspruch.»

Pankratz erinnert sich an das Angebot des argentinischen Agenten, kontaktiert ihn und kommt mit ihm doch noch ins Geschäft. Inzwischen arbeiten sie zu dritt: einer in Paraguay, einer in Argentinien und Pankratz im deutschsprachigen Raum. Zusammen haben die drei rund 30 Spieler im Portfolio, abgesehen von einem Argentinier und einem Uruguayer stammen alle aus Paraguay.

«Bittere und dreckige Geschichten erschweren es den Clubs, Spieler aus Südamerika zu holen.»

In der Schweiz sei er bereits gut vernetzt und mit mehreren Vereinen in Kontakt. Mit dem FC Basel baut er eine geschäftliche Beziehung auf, als es um Blas Riveros‘ Wechsel von Olimpia Asuncion zum Schweizer Meister geht. Die Verhandlungen fruchten, der 18-jährige Linksverteidiger unterzeichnet im Mai 2016 einen Fünfjahresvertrag.

Zu diesem Zeitpunkt ist Pankratz gerade mal ein paar Wochen im Geschäft. Im Eiltempo steigt er in höhere Sphären auf und erlebt mit dem Transfer eines Spielers zu einem Champions-League-Teilnehmer bereits so etwas wie die Krönung. «Normalerweise steigt man ein, indem man Spieler im Juniorenalter beobachtet und zu vermarkten versucht», weiss Pankratz, den der Basler Sportdirektor Georg Heitz und andere Sportfunktionäre «auf Gefahren, Herausforderungen und zum Teil problematische Gegebenheiten des Fussballgeschäfts» hinweisen, wie Pankratz es nennt.

Pankratz lernt die «bitteren und dreckigen Geschichten» des Fussballgeschäfts kennen

Der Deutsch-Paraguayer gründet im März 2016 die Firma FCP Soccers und freundet sich an mit dem Geschäft, das er einst als zu schwierig erachtete. Und mit Problemen ist er auch tatsächlich konfrontiert. Das Schwierigste ist für ihn, wenn junge Spieler in Paraguay früh in ihrer Laufbahn irgendwelche Papiere unterschreiben: «In Paraguay, wie wohl auch in anderen Ländern, wird mit allen möglichen Tricks gekämpft. Da werden Versprechungen gemacht, teilweise Verträge gefälscht, damit die Spieler bei einem Management ein Mandat unterzeichnen.»

Das ist dann problematisch, wenn ein Fussballer nach Europa vermittelt wird, aus dem Nichts ein unterschriebenes Dokument auftaucht und damit ein weiterer Agent auf den Plan tritt, der an den Provisionen mitverdienen will. «Diese bitteren und dreckigen Geschichten erschweren es den Clubs, Spieler aus Südamerika zu holen», erklärt Pankratz, der deswegen zu Beginn einer Zusammenarbeit abklärt, ob es bereits unterzeichnete Verträge gibt.

«Letztendlich geht es um die Integration des Spielers, sowohl im Verein als auch in der Gesellschaft.»

Er sei nicht in erster Linie des Geldes wegen in das Fussballgeschäft eingestiegen, sagt Pankratz, und missionieren wolle er auch nicht, sondern die Fussballer begleiten und beraten. «Ein gutes Umfeld für den Fussballer ist mir ein grosses Anliegen. Er soll sich bestmöglich entwickeln können. Das geht nur, wenn Club, Spieler und Berater zusammenarbeiten. Letztendlich geht es auch um die Integration des Spielers, sowohl im Verein als auch in der Gesellschaft.»

Im Falle des Basler Abwehrspielers Blas Riveros bedeutet das, für ihn da zu sein in Alltagsfragen: ihm und seiner Familie offene Türen zu bieten, mit ihnen das traditionelle paraguayische Getränk Tereré zu trinken, ihnen die Schweiz näherzubringen und die hiesigen Gegebenheiten aufzuzeigen. Oder für sie ein Haus mit Umschwung zu finden. So können Eltern und Verwandte mehrere Monate zu Besuch sein, die Haustüre öffnen und Gras unter den Füssen spüren, denn «dann fühlen sich diese Menschen wohl», weiss Pankratz. 



Ferdinand Pankratz

«Wenn nicht der Spieler im Vordergrund steht, dann ist der Spielervermittler im falschen Beruf.» (Bild: Dirk Wetzel)

Für den Spieler sei es ein grosser Vorteil, zu wissen, dass es in der Schweiz jemanden gibt, der Spanisch und Guarani spricht und die paraguayische Kultur kennt, die sich stark von der schweizerischen unterscheidet. Pankratz erklärt Riveros, dass ein Termin um acht Uhr in der Schweiz auch um acht Uhr beginne, oder die kleinen Dinge wie das Müllsystem, wofür es in Paraguay auch schon mal das Feuer gibt.

Und es geht darum, abends um neun Uhr da zu sein, wenn der Spieler vor der Tür steht: wie beispielsweise Derlis Gonzalez damals, als der zu später Stunde einen Sack voll Fleisch vorbeibrachte und dieses dann im Garten halt noch gegrillt wurde.

«Das sind die Momente, in denen gute Gespräche über Leben und Beruf entstehen», sagt Ferdinand Pankratz, der sich in den letzten Jahrzehnten selbst immer wieder mit diesen Themen auseinandersetzen musste, bis er schliesslich die Theologie und den Fussball zusammenbrachte. Sein Dasein als Pfarrer will er nicht aufgeben. Zumindest noch nicht.

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