Der Ryder Cup, das Teamduell USA gegen Europa, ist pure Emotion, Mythos, Prestigekampf: Aus sonst so kontrollierten Golfspielern werden zwischen brüllenden Wanderdünen aus Schaulustigen herumtobende Golf-Hooligans. Dieses Wochenende zum 41. Mal aufgeführt im Hazeltine National Golf Club von Minnesota.
Spiele im Ryder Cup muss man auf dem Platz gar nicht sehen, man kann sie mit den Ohren aufsaugen, den Klang schmecken. Quer aus allen Richtungen schlagen einem alle paar Minuten Jubelschreie, Entsetzensstöhnen und Höflichkeitsapplaus entgegen. Erfolg und Misslingen haben mit vielen Nuancen ihren eigenen Klang. Und 50’000 Zuschauer können eine Menge Krach machen. Wenn ein langer Putt für das eigene Team ins Loch fällt, wird gebrüllt, als sei man im Fussballstadion oder in der Stierkampfarena. Ryder Cup kesselt!
Am Wochenende findet im Hazeltine National Golf Club in Chaska, Minnesota, der 41. Ryder Cup statt, absoluter Saisonhöhepunkt der Golfszene alle zwei Jahre. Man spielt nicht wie sonst für sich um die geringstmögliche Schlagzahl und dicke Schecks. Zwei Mannschaften treten gegeneinander an: USA gegen Europa, der Erdteilkampf Alte gegen Neue Welt, mit jeweils zwölf Spielern.
Duell Mann gegen Mann und kein Cent Preisgeld
Immer sind es direkte Duelle Mann gegen Mann, 12 Einzel sonntags und zusammen 16 Doppel Freitag und Samstag. Jedes Loch muss gewonnen werden, egal mit welcher Schlagzahl. Ein noch so grosser Turniersieg ist ein Triumph, ein Gewinn des Ryder Cup ein Ehrenorden auf Lebenszeit. Es heisst sogar, eine Ryder-Cup-Teilnahme präge lebenslang den Schlaf: Jeder Albtraum handle automatisch von Momenten eines solchen Turniers, vom nervös verzogenen Abschlag, vom Zittern vor dem schiefen Putt, der dem Team alles kaputt machen kann.
Es gibt keinen Cent Preisgeld, es geht allein um Prestige und Ehre. Das elektrisiert die Massen. Und die Spieler erst recht. Der Ryder Cup ist ein Mythos, der sich selbst ständig erneuert. Und sogar wächst.
Eine akustische Spezialität ist jeden Morgen das Auftaktgebrüll, wenn die Golfmillionarios durch ein dichtes Zuschauerspalier aus dem Clubhaus kommen. Kurz vor dem ersten Abschlag intoniert das vieltausendfache Publikum alle Gesänge der internationalen Fussballwelt. Ole Ole und La Ola. Mit einem donnernden Hurrah wird jeder Probeschwung begleitet. Die Spieler machten extra viele. Von nun an werden die Zuschauer als zehntausendköpfige, tobende Wanderdüne von Loch zu Loch ziehen.
Individualistischer als Golf kann eine Sportart kaum sein. Jeder kämpft sonst nur für sich um Platzierungen und Preisgelder, meist stoisch und cool und sehr beherrscht. Beim Ryder Cup verlieren die Spieler gerne ihre disziplintypische Contenance: Da wird wie von Sinnen gebrüllt, getobt, geweint, lauthals geflucht. Die sonst so smarten, eleganten Schlägerschwinger werden – aufgepeitscht vom Publikum – zu Golfprolls, zu Hooligans auf den Grüns.
Verlieren, Selbstzweifel und Understatement sind in der psychischen DNA der Amerikaner nicht vorgesehen. Der Mission Ryder Cup wurde immer wieder gern mit Brachialmitteln nachgeholfen. 1999 trat George W. Bush mit einer patriotischen Brandrede auf: Er berichtete dem Team von einem Soldaten, der einstmals im Fort Alamo allein tausende mexikanischer Soldaten aufgehalten habe, obwohl die Lage aussichtslos schien.
«Wir sind zwar keine Soldaten», so der damalige Spieler Davis Love beindruckt, «aber müssen kämpfen, als ob wir welche wären.» Kollege David Duval peitschte seine Mitspieler auf: «Geht raus und tötet sie.» Zigtausende US-Zuschauer gaben die pöbelnden Kombattanten.
2010 luden die Amerikaner einen Irak-Bomberpiloten als Motivator ins Teamhotel ein, «ein sehr spezieller Typ und grosser Patriot», hiess es. Bubba Watson stellte fest: «Beim Ryder Cup gegen Europa zu spielen ist für mich so wichtig wie der Kriegseinsatz meines Vaters in Vietnam.» In diesem Jahr ist bislang nur ein Auftritt von US-Schwimmlegende Michael Phelps als Motivator aktenkundig.
Die Amerikaner sind wie so oft favorisiert, aber die jüngste Bilanz spricht für Europa.
Auf dem Platz fühlt man sich dem Hördiplom nahe schon im Laufe des zweiten Tages. Man erlauscht den Putt von Lee Westwood oder von Martin Kaymer aus 400 Metern, ahnt das freundlich beklatschte, aber ungegönnte Birdie eines Amerikaners und weiss aus der Richtung der Jubelexplosion zu deuten, ob Graeme McDowell oder Sergio Garcia eingelocht hat.
Eine akustische Subspezies ist der Erleichterungsjubel, wenn wenigstens das Teilen eines Lochs geschafft wurde; das heisst in Britannien «Safe Cheer», Sicherheitsjubel. Dann wieder ein Orkan von schräg hinten. Wäre Mozart Golffreund gewesen, er hätte aus den donnernden Jubelkaskaden, dem Entsetzensroar und den spitzen Sopranschreien ein Requiem für 18 Löcher komponiert.
Die USA sind 2016 klarer Favorit, wieder einmal, wie fast immer. Neun ihrer zwölf Spieler stehen unter den Top 25 der Weltrangliste (bei Europa nur fünf, das zudem mit sechs Neulingen antritt). Schlichtweg «eine neue Ära im Ryder Cup» will US-Kapitän Davis Love am Wochenende starten; man habe «das beste Golfteam aller Zeiten zur Verfügung». Und da ist der Heimvorteil, mit einem hysterischem Publikum.
Indes, im Ryder Cup zählen weniger individuelle Klasse als Mannschaftsgeist, Nervenstärke, Führungskompetenz und Teamfähigkeit. Sinnbild ist Tiger Woods – ein Jahrzehnt lang Dominator der Szene, aber mit verheerender Bilanz im Ryder-Cup. Besonders zählt Fingerspitzengefühl bei der Zusammensetzung der Doppel. Gerade dort sind Strategie, taktisches Geschick und kluge Kommunikation untereinander gefordert. Und hier holten die Europäer seit Jahrzehnten meist die vorentscheidenden Punkte. Die grosse Schmach der Amis: Acht der letzten zehn Duelle seit 1995 gingen an Europa.
Das Golf eint das bröckelnde Europa
Die 12 Spieler in Europas Nationenteam kommen 2016 aus sechs Ländern, darunter fünf Engländer und ein Nordire. Und was kommt nach dem Brexit? Britische Spieler werden laut Statuten nach wie vor spielberechtigt sein. Aber Justin Rose oder Rory McIlroy werden als Nicht-EU-Europäer aparterweise weiter unter der EU-Hymne antreten. So eint der Ryder Cup auch ein politisch bröckelndes Europa.
Idee und Pokalstiftung:
1927 vom englischen Samenhändler Samuel Ryder, der mit Tütensaatgut («penny packets») Millionen machte
Austragung:
Alle zwei Jahre immer abwechselnd in USA und Europa (2018: Paris)
Pokal:
hässlich, klein, golden, Herstellungskosten seinerzeit 250 Pfund Sterling
Preisgeld:
Keines
Ehren- und Prestigefaktor:
Maximal
Ranking im Weltsport:
Nach Sommerolympia und Fussball-WM das bedeutendste Ereignis (500 Millionen TV-Zuschauer)
Zuschauer vor Ort:
40’000 bis 60’000 pro Tag
Gesamtbilanz:
26:14 für die USA, seit 1995 indes 2:8.