Der SC Freiburg lässt den Bayern-Fluch hinter sich

Der SC Freiburg feiert in der 89. Minute ein nicht für möglich gehaltenes 2:1 gegen Bayern München – der erste Sieg gegen den Rekordmeister seit 19 Jahren, mit dem der Klassenerhalt wieder in Griffnähe ist.

epa04751674 Freiburg's Nils Petersen cheers after scoring the 2-1 during the German Bundesliga soccer match between SC Freiburg and FC Bayern Munich in Freiburg, Germany, 16 May 2015. ..(EMBARGO CONDITIONS - ATTENTION - Due to the accreditation guidelines, the DFL only permits the publication and utilisation of up to 15 pictures per match on the internet and in online media during the match) EPA/ULI DECK (Bild: Uli Deck)

Der SC Freiburg feiert in der 89. Minute ein nicht für möglich gehaltenes 2:1 gegen Bayern München – der erste Sieg gegen den Rekordmeister seit 19 Jahren, mit dem der Klassenerhalt wieder in Griffnähe ist.

Um zu verstehen, was am Samstagnachmittag in Freiburg im Breisgau passiert ist, muss man ein bisschen in den grossen Geschichtsbüchern der Bundesliga blättern.

In den Freiburger Anfangsjahren in der höchsten Liga feierte der Sportclub gleich drei aufsehenerregende Siege gegen die grossen Bayern, den ersten mit 3:1 am 27. November 1993, als ein gewisser Uwe Wassmer, der später beim FC Basel landete, alle drei Treffer erzielte. Dann folgte ein spektakuläres 5:1 gegen die Trapattoni-Bayern und schliesslich datiert ein weiteres 3:1 vom 9. März 1996.

Erinnerung an längst verflossene Tage: Uwe Wassmers drei Tore für Freiburg gegen Bayern München 1993:

Als ob sich diese Aufmüpfigkeit rächen sollte, als ob sich ein Fluch über sie gelegt hätte, haben die Freiburger seither nie mehr gegen den Rekordmeister gewinnen können, im Gegenteil. Die Ergebnisse hiessen nun 0:6, 1:6, 0:7 aus südbadischer Sicht. Da sind fast 20 Jahre Tristesse zusammengekommen.

Die Bayern: Seit vier Jahren keine Führung mehr aus der Hand gegeben

Und nun, in höchster Freiburger Abstiegsgefahr, kamen die Bayern ins Schwarzwaldstadion. Als alter und neuer Meister, desillusioniert zwar nach dem Aus in der Champions League, aber sich etwas auszurechnen gegen den Dominator der Liga, das war verwegen.

Zumal die Bayern die Befürchtung der Vereine, die Freiburg im Tabellenkeller Gesellschaft leisten, zerstreuten: Sie traten zu elft an, hatten in der Anfangsphase 80 Prozent Ballbesitz und gingen leicht und locker herausgespielt in der 13. Minute durch Weltmeister Bastian Schweinsteiger in seinem 500. Wettbewerbsspiel für die Bayern in Führung.

Wenn diese Bayern in Führung gegangen waren, haben sie in den vergangenen vier Jahren in der Bundesliga kein Spiel mehr aus der Hand gegeben. Und in Freiburg lag ihre Passerfolgsquote nach einer halben Stunde bei fast 100 Prozent.

Schweinsteigers Ballverlust, Mehmedis Tor

Quasi den ersten Ballverlust der Bayern durch Schweinsteiger nutzte Admir Mehmedi in der 33. Minute zum ersten ernsthaften Abschluss der Freiburger. Ein Schuss aus rund 20 Metern des Schweizer Nationalspielers, der flach und unhaltbar für Manuel Neuer einschlug.



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Admir Mehmedis Schuss zum Ausgleich. (Bild: Meinrad Schön)

Ausgerechnet Mehmedi, der Stürmer, der vergangene Saison mit zwölf Toren grossen Anteil am vorzeitig gesicherten Klassenerhalt der Freiburger gehabt hatte, den sich der sparsame Sportclub gegen vier Millionen Euro Ablöse an Dinamo Kiew hatte kosten lassen, und an dem Trainer Christian Streich in den zurückliegenden Monaten fast verzweifelt ist.

Bis zur Vorwoche hatte es Mehmedi auf gerade zwei Tore gebracht. Dann traf er in Hamburg, aber den Freiburgern widerfuhr im hohen Norden, was ihnen in der laufenden Spielzeit sechs Mal passiert ist: Sie kassierten in der letzten Minute respektive in der Nachspielzeit Gegentore, die ihnen Siege und Punkte kosteten.

Rafinhas elfmeterwürdiges Foul

Dass die Freiburger dann und wann Benachteiligungen durch umstrittene Schiedsrichterentscheidungen beklagten, gehört zum Grundgrummeln im Profigeschäft. Am Samstag war es jedoch besonders bitter, als Rafinha im Strafraum Mehmedi umriss. Der Brasilianer verhinderte das mögliche 2:1, aber den fälligen Elfmeter verwehrte Schiedsrichter Tobias Welz den Breisgauern.

Christian Streich schlug die Hände vors Gesicht, und Pep Guardiola wechselte hochkarätiges Personal von der Bank ein: der Reihe nach Thomas Müller, Thiago und Philipp Lahm. Und Streich setzte alles auf eine Karte, brachte drei Stürmer, Mike Frantz, Maximilian Philipp sowie Nils Petersen, der in der Winterpause von Werder Bremen ausgeliehen worden war und die Freiburger Hoffnungen mit sieben Toren am Leben erhielt.

Betrieb herrschte aber vor dem Freiburger Tor. Schweinsteigers Feistoss klatschte an die Querlatte, und die Kräfte der Gastgeber vor 24’000 bibbernden und zitternden Zuschauern im ausverkauften Haus schienen zu schwinden.

Der Zauberpass des Karim Guedé zum Freiburger Glück

Bis die 89. Minute anbrach, und Karim Abdul-Jabbar Guedé den Ball am linken Flügel behauptete. In Hamburg geboren und mit togolesischer sowie slowakischer Staatsbürgerschaft ausgestattet, hat der schlaksige und hölzern wirkende Stürmer in Freiburg einen schweren Stand bei den Zuschauern. Erst kürzlich hat Streich erzählt, dass er sich fast nicht mehr getraut, Guedé vor dem ungnädig reagierenden Heimpublikum zu bringen.



Freiburg's coach Christian Streich reacts during their German Bundesliga first division soccer match against Bayern Munich in Freiburg, Germany, May 16, 2015. REUTERS/Ralph Orlowski DFL RULES TO LIMIT THE ONLINE USAGE DURING MATCH TIME TO 15 PICTURES PER GAME. IMAGE SEQUENCES TO SIMULATE VIDEO IS NOT ALLOWED AT ANY TIME. FOR FURTHER QUERIES PLEASE CONTACT DFL DIRECTLY AT + 49 69 650050

Ein Trainer leidet: Christian Streich. (Bild: Ralph Orlowski)

Aber Streich steht auf Guedé, einem Teamplayer vor dem Herrn. Schon in Hamburg machte Guedé ein fabelhaftes Spiel, und nun, in der 89. Minute, spielte er einen Pass in die Tiefe, mit der er die Schnittstelle der Bayern-Abwehr an der empfindlichen Stelle traf. Und in die Lücke lief Petersen und überwand Neuer zum 2:1-Siegtreffer. Ausgerechnet Petersen, der es einst bei den Bayern versucht hatte, gewogen und für zu leicht befunden worden war.

Kitschiger hätte das Drehbuch nicht erfunden werden können

Ein Siegtor in letzter Minute gegen die Bayern und das in der schier aussichtlosen Lage der Freiburger – kitschiger hätte man das Drehbuch dieser Partie nicht schreiben können.«Der Wille war da, die Bereitschaft – alles, was es braucht, um gegen Bayern bestehen zu können», sagte Admir Mehmedi nach diesem fast nicht für möglich gehaltenen Sieg.

So kann man vielleicht auch verstehen, dass Christian Streich, für den der Trainerjob in Freiburg auch Bestimmung ist, mit dem Schlusspfiff und unter dem Jubel der 24’000 auf dem Absatz kehrtmachte, sich ungestüm den Weg in die Kabine bahnte. Dabei stolperte er, er stürzte, rappelte sich auf und stürmte weiter. Emotional aufgelöst wollte Streich in diesem Moment alleine sein.

Denn er weiss nur zu gut: Noch ist nichts gewonnen. Nächsten Samstag geht es nach Hannover zu einem punktgleichen Gegner. «Wir sind am Boden gelegen und sind aufgestanden», sagte Streich, «aber jetzt dürfen wir nicht anfangen zu spinnen – und müssen den Punkt in Hannover holen.»

Schaffen die Freiburger das, dann werden sie dieses Kapitel in ihrer Bundesligageschichte mit einem kleinen Kränzlein schmücken.

Die Bundesliga-Tabelle vor dem letzten Spieltag:

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