Zwanzig Jahre nachdem er als Schiedsrichter wütend während einer Partie die Pfeife wegwarf, blickt Oliver Blattmann noch einmal zurück. Mit seinem «guten Seich», wie er es heute nennt, schaffte er es damals zu einer Geschichte im «Blick». Heute ist er begeistert, wie respektvoll Rugbyspieler die Unparteiischen behandeln.
Weil wir gemeinsam mit dem Fussballverband Nordwestschweiz auf die Geschichte des Fussballs in der Region Basel zurück blicken, hatten wir kürzlich einen Bericht über einen Schiedsrichter, der einmal die Pfeife ins Korn warf. Oliver Blattmann mochte sich eines Abends im August 1994 nicht mehr all die Reklamationen und Beleidigungen von Spielern und Zuschauern anhören – und verliess das Spielfeld, ohne die Partie abzupfeifen.
Zum 75. Geburtstag des Fussballverbandes Nordwestschweiz kommt es zu einer Kooperation mit der TagesWoche. Das Ziel: Online soll eine interaktive Geschichte des Fussballs in der Region entstehen, auf der die wichtigsten Ereignisse des regionalen Fussballs, Anekdoten und Erinnerungen auf einer Zeitleiste dargestellt werden.
Auf unsere Geschichte hin hat sich der heute 50-jährige Blattmann bei uns gemeldet. Und wir haben die Chance genutzt, mit dem langjährigen Schiedsrichter nochmals zwanzig Jahre zurück zu blicken. Blattmann steht heute übrigens mehr auf Rugby denn auf Fussball. Dort sei der Respekt vor den Unparteiischen einfach viel grösser.
Oliver Blattmann, sprechen wir noch einmal über jenen Abend, an dem Sie an einer 3.-Liga-Partie die Pfeife fortgeworfen haben. Wie sehen Sie die Geschichte heute?
Heute lache ich darüber. Ich kann mich gut erinnern. Ich habe damals in Luzern gearbeitet und habe extra früher Feierabend gemacht, um die Partie in Ettingen leiten zu können. Aber die Stimmung war von Anfang an nicht gut. In der Garderobe musste ich schon mit Mannschaftsvertretern über das Ausfüllen des Spielerbogens streiten. Danach liess ich einen Penalty gegen den Goalie von Ettingen wiederholen, der den Ball am Rand des Fünfmeterraums abgewehrt hatte – natürlich aus seiner Sicht, ohne sich bewegt zu haben (lacht). Auch sonst war es eine ewige Reklamiererei.
Und dann kam die Szene mit dem Platzverweis gegen den Binninger Goalie, den dieser nicht akzeptieren wollte.
Das war ein klassischer Brienzer, schöner kannst du einen im Strafraum gar nicht legen. Das wusste der Goalie doch auch. Da während des ganzen Spiels ja permanent reklamiert wurde, gab es keinen Grund in dieser Situation nicht zu reklamieren (lacht). Mitten in dem ganzen «Gstürm» hat der Goalie gerufen: «Wenn das ein Penalty ist, höre ich auf mit Fussballspielen.» Bei mir hat es Klick gemacht und ich habe zurückgerufen : «Und ich höre auf mit Pfeifen.» Ich bin dann über den ganzen Platz marschiert und bei den Zuschauern am Garderobeneingang hat einer noch einen Spruch gemacht. Dem habe ich meine Pfeife zugeworfen und gemeint, wenn er es besser kann, soll er fertig pfeifen. Er konnte die Pfeife aber nicht fangen. Seither heisst es halt, ich hätte sie weggeworfen. Ich habe einen Seich gemacht. Aber im Rückblick war es ein guter Seich.
Danach wurden Sie vom Verband nicht gesperrt. Warum eigentlich nicht?
Ich habe noch am Mittwoch Abend den Schiedsrichter-Chef angerufen und ihm gesagt: «Du, ich habe Mist gebaut.» Das Blöde war ja, dass ich die Partie nicht abgebrochen habe, daher hatten sie ein regeltechnisches Problem. Das Spiel wurde dann später Wiederholt. Am Donnerstag hat mir der Schiedsrichter-Chef gesagt, wenn ich wolle, könne ich bereits am Sonntag wieder pfeifen. Und am Freitag, nach dem Artikel im Blick, als ich eine grössere Schlagzeile hatte als Johann Cruyff, habe ich mir selbst gesagt: «Rutscht mir den Buckel runter, ich pfeife jetzt erst recht!» Im Nachhinein habe ich gehört, dass ich wohl gesperrt worden wäre, hätte ich an diesem Sonntag kein Spiel geleitet.
Haben Sie vom Verband sonst noch Unterstützung gespürt?
Ich hatte keine Hoffnungen, dass sich vom Verband aus etwas ändert. Und es hat sich auch nichts geändert. Über Umwege habe ich gehört, dass es Viele gut gefunden haben, was ich gemacht habe. Obwohl es eine komplette Kurzschlusshandlung gewesen war. Ich denke, auf den Plätzen gab es für kurze Zeit eine Sensibilisierung. Aber im Endeffekt war das höchstens ein Tropfen auf den heissen Stein.
Und Sie haben auch nie faule Sprüche hören müssen?
Zwei Jahre später irgendwo im Solothurnischen hat ein Spieler reklamiert, da tönte es aus den Zuschauerreihen: «Hör auf, der schmeisst sonst seine Pfeife weg!» Der Spieler und ich haben uns angeschaut und gelacht. Danach habe von keinem mehr einen Ton gehört.
Sind Sie heute noch mit dem Fussball verbunden?
Bis 2001 habe ich weitergepfiffen, bis 1999 in der 2. Liga, die damals noch die vierthöchste Klasse in der Schweiz war. Heute schaue ich mir höchstens noch den FC Basel an, das andere interessiert mich nicht mehr. Im Jahr 2004, drei Jahren ohne Sport, wollte ich unbedingt wieder einen Mannschaftssport machen, damit ich auch regelmässig ins Training gehe. Aber Veteranenfussball kam für mich nicht in Frage. Da ich mich schon seit längerem mit Rugby beschäftigt hatte und immer die Akzeptanz gegenüber dem Referee bewundert habe, habe ich mich entschlossen, im zarten Alter von 41 Jahren noch etwas neues Auszuprobieren. Heute bin ich im Trainerstaff der U16- und U18Junioren des Rugby Footballclub Basel. Im weitesten Sinn auch Fussball.
Warum kein Veteranenfussball?
Allgemein im Fussball wird ständig Reklamiert und dann folgt die Rudelbildung. Das verstösst schwer gegen mein Empfinden von Fairness und Respekt gegenüber dem Schiedsrichter. Alle reklamieren das es keine guten Schiedsrichter gäbe, aber keiner tritt den Beweis an, dass er es besser kann. Im Rugby darf nur der Captain mit dem Schiedsrichter kommunizieren. Tut es ein anderer Spieler wird der Ort der Spielfortsetzung 10 Meter nach hinten gelegt. Allgemein möchte ich aber betonen, dass ich sehr viele tolle Erlebnisse und Spiele hatte. Partien wie jene in Ettingen waren zum Glück die Ausnahme. Aber ich bin froh, habe ich 2001 den richtigen Moment zum Aufhören erwischt.