Der schwule Superkicker

Ein Interview mit einem anonymen Bundesligaprofi hat es erneut vorgeführt: Homosexualität im Sport ist ein Tabu, von dem nicht seriös behauptet werden kann, dass es dieses überhaupt noch gibt.

Aktion freier Mann: Mit diesem Motiv wurde im Netz Homophobie im Fussball thematisiert. (Bild: www.aktion-libero.de)

Ein Interview mit einem anonymen Bundesligaprofi hat es erneut vorgeführt: Homosexualität im Sport ist ein Tabu, von dem nicht seriös behauptet werden kann, dass es dieses überhaupt noch gibt.

Schwule Fussballer schaffen es in die beste Sendezeit. Im März 2011 fiel im ARD-Tatort das Zitat einer fiktiven Figur: «Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschliesslich Trainerstab. Das ist doch schon eine Art Volkssport, das zu verbreiten.»

Fünf Tage später dokumentierte die «Bild»-Zeitung die Reaktion von Oliver Bierhoff, dem Manager des deutschen Nationalteams: «Ich finde es schade und ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen. Das sehe ich immer auch als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf.» Homosexualität als Angriff auf die Familie? Bierhoff kleidete weitverbreitete Ressentiments in harmlose Worte. Und kaum jemand nahm daran Anstoss.

Ganz anders in den vergangenen Tagen. Medien, Fans, Funktionäre und sogar Politiker beteiligen sich an der nächsten Runde einer beliebten Castingshow: Deutschland sucht den schwulen Superkicker. Sie spekulieren, mutmassen, prognostizieren. Auslöser war ein Interview in «Fluter», dem Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Darin schildert ein schwuler Fussballprofi – anonym – sein Versteckspiel in der Bundesliga.

Der Journalist hat sich nach dem Interview zurückgezogen

«Ich weiss nicht, ob ich den ständigen Druck zwischen dem heterosexuellen Vorzeigespieler und der möglichen Entdeckung noch bis zum Ende meiner Karriere aushalten kann», sagt er und bestätigt ewige Gerüchte: Ja, er nehme öffentliche Anlässe in weiblicher Begleitung wahr. Ja, er kenne andere schwule Bundesligakicker. Ja, er hoffe mit seinen Aussagen eine Lawine der Outings loszutreten. Der Urheber des Interviews, der 25 Jahre alte Journalist Adrian Bechtold, hat sich zurückgezogen, zu gross sei der Andrang der Medien. Selbst CNN und die «New York Times» haben berichtet.

Im Durchschnitt gibt es einen solchen Andrang zweimal im Jahr. Im Dezember 2006 hatte das inzwischen eingestellte Fussballmagazin «Rund» die Debatte begonnen. Titel der Ausgabe: «Einer von elf Profis ist schwul.» Die Reaktionen auf das «Fluter»-Interview zeigen, dass sich die Diskussionskultur in den sechs Jahren seither kaum verändert hat.

Die «Bild»-Zeitung illustrierte auf ihrer Internetseite die vermeintlich spektakulärsten Aussagen mit einem Schattenriss. Blogs, Radiosender, Zeitungen sammelten Meinungen Pro und Contra Coming-out. Pro: Kanzlerin Angela Merkel. Contra: Corny Littmann, einst Präsident des FC St. Pauli und bekennend schwul. Pro, aber mit Einschränkungen: Bayern Münchens Präsident Uli Hoeness. Und so weiter.

Wieder dominiert die geheimnisumwitterte Fahndung nach schwulen Fussballern und nicht die Beschreibung einer Gesellschaft und eines Milieus, die ein Coming-out unmöglich zu machen scheinen. In der repräsentativen Langzeitstudie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit der Universität Bielefeld haben 25,3 Prozent der Befragten 2011 folgender Aussage zugestimmt: «Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen.» Viele Medien stützen diese Vorurteile, weil sie Homosexualität sprachlich und visuell wie Skandale aufbereiten: hysterisch, verrucht, exotisch.

Diskriminierung und Isolation

So bleibt der breiten Mehrheit die Liberalisierung der vergangenen Jahre verborgen – schliesslich war die Geschichte des homosexuellen Sports über Jahrzehnte eine Geschichte von Diskriminierung, Isolation und Entmündigung gewesen. Die Wanderausstellung «Gegen die Regeln» zeichnet Lebenswege von Athleten nach, für die Homosexualität zum Abgrund wurde.

Gottfried von Cramm zum Beispiel, ein deutscher Tennisspieler, der 1938 von der Gestapo verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Oder von Ed Gallagher, einem amerikanischen Gewichtheber, der sich 1985 das Leben nehmen wollte, weil er nicht glaubte, dass Sportler schwul sein können. Oder von Peter Karlsson, einem schwedischen Eishockeyspieler, der 1995 in einer Disco ermordet wurde, mit 64 Messerstichen.

1995 drohte der Deutsche Fussballbund DFB seinen Nationalspielerinnen mit Ausschluss, sollten sie an der Europameisterschaft der Lesben und Schwulen teilnehmen. Im Jahr 2000 sammelten zwei Organisationen in der Schweiz 14’000 Unterschriften gegen einen schwul-lesbischen Wettbewerb in Zürich. 2008 setzte der deutsche Fussballtrainer Christoph Daum Schwule indirekt mit Pädophilen gleich. Viele Profisportler wurden gegen ihren Willen geoutet, allen voran die amerikanische Tennis-Ikone Martina Navratilova.

Die grossen Verbände wollten nichts gegen Homophobie unternehmen

Sinnvolle Kampagnen gegen Homophobie entstanden anfangs immer an der Basis, die mächtigen Funktionäre wollten davon nichts wissen. Der erste homosexuelle Sportverband war die amerikanische Bowling-Liga «Judy Garland», sie wurde Anfang der Siebzigerjahre gegründet. Der erste schwul-lesbische Sportverein Europas war der SC Janus in Köln, er wurde 1980 von Volleyballern ins Leben gerufen.

Der amerikanische Zehnkämpfer Tom Waddell lancierte 1982 die Gay Games, die ursprünglich Gay Olympics heissen sollen. Doch das Olympische Komitee der USA liess die Nutzung des Namens verbieten. Dennoch halfen die Gay Games bei der Anerkennung von Minderheiten, sie wuchsen zu einem Fanal für Menschenrechte. Jeder ist willkommen, unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, Gesundheitszustand, Talent und vor allem: Sexualität.

Anlässe gibt es im Sport seit Langem genug, das gefühlt Unnormale als normal zu beschreiben: Im Oktober 2009 wollte der DFB eine WM-Qualifikation in Hamburg nutzen, um für den Kampf gegen Homophobie zu werben, mit einer Broschüre und einer Pressekonferenz. In der Spielübertragung der ARD wurde das vor einem Millionenpublikum mit keinem Wort erwähnt.

2010 fanden in Köln die Gay Games mit 10’000 Schwulen und Lesben statt. In Wales outete sich 2009 der Rugbyspieler Gareth Thomas (siehe Video) und erhielt ebenso Zustimmung wie die südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer. Die lesbische Olympia-Teilnehmerin eröffnete jüngst in London das erste Pride House der Sommerspiele, einen Treffpunkt für homosexuelle Athleten und Fans. Sie wurden gefeiert.

Die schwul-lesbischen Fanclubs

In Deutschland werben 50 schwul-lesbische Sportvereine und 19 schwul-lesbische Fussball-Fanclubs für Akzeptanz, in der Schweiz sind es immerhin drei, in Zürich, Basel und Bern. Ihr Netzwerk sind die Queer Football Fanclubs QFF. Theo Zwanziger, ehemaliger DFB-Präsident, sprach vor schwulen Unternehmern und unterstützte einen Fan-Wagen am Christopher Street Day in Köln. Ultras in Bremen, Mainz oder Stuttgart haben beachtliche Konzepte gegen Homophobie entworfen. Fanprojekte bieten Workshops an, Stiftungen verteilen Broschüren. Sie alle könnten Klischees aufweichen und ein Gegengewicht zur Outing-Fahndung darstellen. Offen, konkret, nicht anonym – gefragt werden sie selten.

Stattdessen: die Schmuddelecke. 2010 wurde ein Streit zwischen dem DFB-Schiedsrichterfunktionär Manfred Amerell und seinem Schüler Michael Kempter öffentlich. Es ging um Machtmissbrauch und veraltete Strukturen im Verband. Die Sexualität dieser konfliktreichen Beziehung war nachrangig – dennoch entfachten Medien wieder eine Generaldebatte über schwule Fussballer, interpretierten Frisur und Gesichtszüge Kempters als Indizien für Homosexualität.

Aktivisten gegen Homophobie veröffentlichten einen offenen Brief an Journalisten, darin stand: «Es fällt auf, dass immer dann über Homosexualität im Sport oder im Fussball berichtet wird, wenn es sich gut verkaufen lässt: Sex sells. Homosexualität wird dabei auf Sexualität reduziert, was eine sehr begrenzte Darstellung unserer Lebensweise ist. Wir wünschen uns, mit all unserer Vielfalt wahrgenommen zu werden.» Die Resonanz darauf? Gleich null.

Faktenfreie Berichterstattung

Wochen später schilderte der ehemalige Schalker Fussballmanager Rudi Assauer in einem Interview mit dem «Kölner Express» eine lange zurückliegende Begegnung mit einem schwulen Masseur in Bremen. Assauer habe ihm empfohlen: «Junge, tu mir einen Gefallen – such dir einen neuen Job.» Assauer wurde im Interview auch gefragt, ob er etwas gegen Homosexuelle habe. Seine Antwort: «Nein. Überhaupt nicht. In anderen Sportarten mag das vielleicht gehen, aber im Fussball funktioniert das nicht.»

Der für die Zukunft wichtige Erkenntnisgewinn dieser Aussagen? Hielt sich genauso in Grenzen wie die ARD-Diskussion von Frank Plasberg zum Thema. Nachdem mehrere raubeinige Trainer abgesagt hatten, musste in «Hart aber fair» der Schauspieler Claude-Oliver Rudolph den schwulenskeptischen Macho geben. Vier Monate später, im Juli 2010, dokumentierte der «Spiegel», wie Michael Becker, Manager des einstigen Nationalmannschaftskapitäns Michael Ballack, in Leverkusen vor Reportern über eine «Schwulencombo» im Nationalteam gesprochen hatte. «Bild» fragte darauf: «Gibt es eine homosexuelle Verschwörung um die Mannschaft von Joachim Löw?»

Mit dieser schwammigen und faktenfreien Berichterstattung pflegen Medien ein Tabu, von dem niemand seriös behaupten kann, dass es dieses überhaupt noch gibt. Es sind meist dieselben Journalisten, die Spielern und Funktionären eine Blockadehaltung zum Thema vorwerfen. Dabei tragen Medien daran eine Mitschuld.

Sportredaktionen sind ähnlich konservativ wie Sportlerkabinen

Im Sport geht es um Männerbünde und die Demonstration von Stärke, um Glorifizierung und die Sehnsucht nach Macht. In vielen Sportredaktionen geht es ähnlich konservativ zu wie in Sportlerkabinen. Reporter vergeben Schulnoten an Spieler, küren Helden, degradieren Versager. Robuste Männlichkeit bestimmt nicht nur im Fussball die Leistungsnorm.

Für Schwächen und Niederlagen gibt keinen Konsens. Bleibt in diesem Korsett kein Platz für alternative Gedanken und Lebensformen? Für Homosexualität? Dieser Sozialdarwinismus, gepaart mit wilden Spekulationen, dürfte auf Spieler, die über ein Coming-out nachdenken, wie eine Drohung wirken. Warum sollten sie sich diesem Stammtisch­niveau öffentlich aussetzen?

Blatters billiger Witz über Homosexuelle

Sensibilisierung täte an anderer Stelle gut. 2022 soll die WM in Katar stattfinden, wo gleichgeschlechtlicher Sex mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Josef Blatter, Präsident des Weltfussballverbandes Fifa, riet Homosexuellen scherzhaft, sie sollten in Katar «jegliche sexuelle Aktivität unterlassen».

Acht Monate später kommentierte der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller seine abermalige Nichtberücksichtigung für das deutsche Nationalteam mit den Worten: «Vielleicht sollte ich mir einfach die Haare schneiden oder etwas zierlicher werden.» Bundestrainer Joachim Löw hatte damals den neun Jahre jüngeren Torhüter Ron-Robert Zieler aus Hannover nominiert.

Blatter und Weidenfeller haben wie Oliver Bierhoff eine Wahrnehmung der Ungleichwertigkeit von Homosexuellen gegenüber Heterosexuellen gestärkt. Hätten sie auf Menschen mit dunkler Hautfarbe oder mit jüdischem Glauben angespielt: Der gesellschaftliche Aufschrei wäre laut gewesen. Profispiele wurden mehrfach wegen Rassismus auf den Rängen unterbrochen – wegen Schwulenfeindlichkeit noch nie.

Der schwule Schiedsrichter

Welche Konsequenzen könnte das «Fluter»-Interview haben? Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in Berlin, die nach einem deutschen Sexualforscher und frühen Aktivisten gegen Homophobie benannt ist, will bei Profivereinen für Bildungskonzepte ohne Personenkult werben. Ihre Experten haben schon vor zwei Jahren ein Netzwerk im Fussball gegründet, doch erst jetzt werden sie wahrgenommen.

Auch nach sechs Jahren Debatte gibt es in Clubs und Verbänden so gut wie keine Ansprechpartner zum Thema. Theo Zwanziger hatte als DFB-Chef mehrfach zum Gedankenaustausch nach Frankfurt eingeladen, sein Nachfolger Wolfgang Niersbach habe das noch nicht für nötig gehalten.

Die Aufklärung muss an der Basis beginnen. Im ostdeutschen Fussball-Landesverband Brandenburg erscheint gerade die neue Ausgabe der Verbandszeitschrift. Darin beschreibt der schwule Schiedsrichter Burkhard Bock seine schwierige Selbstfindung. Der 53-Jährige will den Nachwuchs gegen Diskriminierung sensibilisieren. Die Reaktionen der anderen Schiedsrichter: positiv, herzlich, anerkennend. Die Frage nach dem Coming-out ist eben nur dann von Bedeutung, wenn ihr auch eine konkrete Antwort folgt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.09.12

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