Der Sieger nimmt sich alles

Die Bayern verloren alles, Meisterschaft, Cup, Champions League. Barcelona ist ebenfalls gescheitert. Aber wenigstens ein FCB ist erfolgreich. Vor dem heutigen Auswärtsspiel gegen Servette (16 Uhr) hier eine kleine Hommage an den FC Basel und seinen zweiten Streich in einer doppelt gekrönten Saison.

FC Basel's team poses with the trophy during the Swiss Cup final soccer match between FC Basel and FC Luzern at the Stade de Suisse stadium in Bern, Switzerland, Wednesday, May 16, 2012. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott) (Bild: Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

Die Bayern verloren alles, Meisterschaft, Cup, Champions League. Barcelona ist ebenfalls gescheitert. Aber wenigstens ein FCB ist erfolgreich. Vor dem heutigen Auswärtsspiel gegen Servette (16 Uhr) hier eine kleine Hommage an den FC Basel und seinen zweiten Streich in einer doppelt gekrönten Saison.

Am sehr frühen Donnerstagmorgen wurde der Schweizercup auf einem Kindersitz in Richtung Leimental in ­Sicherheit gebracht. Nicht ohne auf dem Barfüsserplatz von den letzten versprengten Fans noch mit ein paar Pixeln festgehalten zu werden. Sportdirektor Georg Heitz und Pascal Naef, persönlicher Assistent von Ex-Präsidentin Gigi Oeri und beim FCB mit diesem und jenem betraut, trugen Sorge zum Sandoz-Pokal. Die letzte, wilde Cupsiegerparty war zu gut in ­Erinnerung, als das betagte Stiftungsstück mit Herstellungsjahr 1925 anschliessend zum Juwelier musste.

Da nützte auch ein letztes SMS von FCB-Captain Marco Streller («Wo ist der Pokal?») nichts mehr. Die Mannschaft tanzte im zur Disco umgewidmeten Restaurant «Kohlmanns» ohne Beute aus Bern weiter, bis der Auffahrtstag dämmerte. Die fast sieben Kilo schwe­re Silbertrophäe, die 90 000 Franken wert ist und doch so viel mehr, wird erst nächsten Mittwoch, nach dem letzten Saisonspiel gegen die Young Boys, wieder zu besichtigen sein. Dann in Begleitung des Meisterkübels und wieder an selber Stelle, auf dem Balkon des Stadtcasinos, wo sich die Jubelfeste für den FCB und seine Fans in dichter Abfolge häufen.

Fast 10’000 Menschen hatten aus­geharrt in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, um der Mannschaft ihre laute, feurige und rauchende Reverenz zu erweisen. Bis um zwei Uhr hatten sie gewartet, bis der FCB aus Bern zurück war in der Stadt. Und die Spieler liessen sich nicht lumpen.

Animiert von Benjamin Huggel, dem grossen ­alten Mann, der in seinem letzten Spiel für den FCB mit einem Tor den Weg wies, wurde das gesamte Repertoire Basler Fussballausgelassenheit abgespult, mit einer gewissen Routine, aber deswegen nicht weniger intensiv.

«Ich liebe euch alle»

Ein emotional angefasster Bernhard Heusler erklärte erst alle für verrückt, die Fans auf dem Barfi, die Mannschaft, und um drei Uhr rief der FCB-Präsident auf den Platz hinunter: «Ich liebe euch alle, ich liebe diese Mannschaft!» Damit hatte er den heikelsten Moment überspielt, weil ihn Benjamin Huggel maliziös über das Mikrofon aufgefordert hatte: «Berni, zünd emol! Das Anwaltspatent ist scheissegal.»

Der Cupsieg ist der fünfte Titel in der jüngsten Zeitrechnung beim FC Basel, jener nach der Ära Christian Gross, in der in sieben Jahren acht ­Titel gewonnen wurden. In der Nacht noch erreichte Heusler ein Glückwunsch von Gross per Kurznachricht. Aber die Erfolgsserie nun ist einzigartig: drei Meisterschaften in drei Jahren, der erste Hattrick in der Clubhistorie, dazu zwei Cupsiege. Was unter Thorsten Fink begonnen wurde, ist nun unter Heiko Vogel in unvermindertem Tempo fortgesetzt worden. «Pure Freude, Stolz und Zufriedenheit» – das sagte der nächste Double-Trainer des FC Basel in dieser Nacht immer wieder. Und: «Diese Stadt ist crazy.»

Eine vergleichbare Anzahl Meisterschaften und Cupsiege in der Zeit­-spanne von drei Spielzeiten wurde im Schweizer Fussball erst einmal gewonnen. Die Serie stammt – von wem auch anders – von Rekordmeister Grass­hoppers. Doch sie liegt weit zurück: In den Kriegsjahren 1941 – 43 gewann GC drei Cupsiege und zwei Meisterschaften.

Das letzte Argument des FCB

Ehe die Basler den 6,86 Kilogramm schweren Silberhumpen aus Bern wegschleppten, hatten sie im Stade de ­Suisse ein paar bange Momente zu überstehen. Der FC Luzern spielte gut, aber nicht gefährlich genug, um den FC Basel in die Knie zu zwingen.

Dieser Cupfinal stand auf Messers Schneide, es war ein Abnützungskampf, bei dem die Basler in der halben Stunde Verlängerung mehr Reserven im Tank hatten als ihre krampfgeschüttelten Luzerner Widersacher. «Dieser Trainer passt die Dosierung im Training perfekt an», schwärmt Peter Hohl, der als Physiotherapeut seit sieben ­Jahren beim FCB dabei ist, «wann man mehr machen muss und wann weniger – das entscheidet der Trainerstab sehr intelligent.»

Erst zum fünften Mal in der auf 1925 zurückgehenden Cuphistorie mündete ein Final im Penaltyschiessen. Und dort war das letzte Argument einer hoch begabten und tief verschworenen Mannschaft ihr Torhüter. «Ich wusste, dass er im Minimum einen hält», sagte Xherdan Shaqiri, der selbst bei seinem Elfmeterschuss Glück hatte. Yann Sommer verliess sich einzig und allein auf die Intuition eines 23-jährigen Goalies: «Ich habe überlegt, ob ich den Zettel anschauen soll, wohin die Luzerner Spieler in der Vergangenheit hin­geschossen haben. Und dann entschieden: Mach es besser nicht, dann überlegst du nicht zu viel.»

Yann Sommers lose Zunge

Was dagegen sehr wohl kalkuliert war, ist Yann Sommers Psychotrick. Die ­herausgestreckte Zunge und das Hampeln auf der Torlinie vor dem alles entscheidenden Schuss passen zwar nicht zum smarten Sunnyboy Sommer, dürften aber in der Erzählung über den Schweizer Fussball einen ebenso festen Platz bekommen wie jener berühmte, nervöse Zungenschlag von Marco Streller beim Elfmeterdesaster von Köln an der WM 2006. Jenes Strellers, der seinen Elfmeter sechs Jahre später im Stade de Suisse souverän im Lu­zerner Tor unterbrachte.

(Der entscheidende Moment, aufgenommen im Gare du Nord in Basel)

 

Sommers Fratze, von den TV-Kameras eingefangen, war das eine in dieser kalten Mai-Nacht in Bern, doch seine lose Zunge machte dem Gegenüber auch unverblühmt klar, worum es geht: «Wenn Florian Stahel trifft, geht es weiter, verschiesst er, haben wir den Pokal – das habe ich ihm einfach noch mal klargemacht: Wenn du verschiesst, haben wir den Pokal, weisst du das?» Stahel wusste es und liess sich beeindrucken. Der Captain der Luzerner schoss schlecht – und Sommer wählte die richtige Seite. «Beide Spieler standen unter grossem Druck», rechtfertigt Sommer den Trash-Talk, «das gehört in einer solchen Situation einfach dazu.»

Das Basler Glück auf dem Beutezug im Cup

Und so kam es, dass es den Baslern wahlweise «wurscht» oder «egal» war, ob dieser 5:3-Sieg nach Penaltyschies­sen als verdient oder nicht ein­geordnet wurde. In der Liga alles andere als überragend, haben sie im Cup Wettkampfglück genossen, in Wil im Achtelfinal vom umstrittenen Tor Phi­lipp Degens profitiert und im Halbfinal von Winterthur davon, dass der Schiedsrichter Sommer nicht vom Platz gestellt hat.

Diese Mannschaft, die als «Jahrhundertteam» gepriesen wird, als das Beste, was der FC Basel je hervorgebracht hat, hat auch den letzten Skalp auf dem Beutezug durch die strube Schweizer Fussballsaison 2011/12 genommen. The Winner Takes It All.

 

 

Alle Sieger im Schweizer Cup 

2012 FC Basel • 2011 FC Sion • 2010 FC Basel • 2009 FC Sion • 2008 FC Basel2007 FC Basel • 2006 FC Sion • 2005 FC Zürich • 2004 FC Wil • 2003 FC Basel2002 FC Basel • 2001 Servette FC • 2000 FC Zürich • 1999 FC Lausanne-Sport • 1998 FC Lausanne-Sport • 1997 FC Sion • 1996 FC Sion • 1995 FC Sion • 1994 Grasshopper Club • 1993 FC Lugano • 1992 FC Luzern • 1991 FC Sion • 1990 Grasshopper Club • 1989 Grasshopper Club • 1988 Grasshopper Club • 1987 BSC Young Boys • 1986 FC Sion • 1985 FC Aarau • 1984 Servette FC • 1983 Grasshopper Club • 1982 FC Sion • 1981 FC Lausanne-Sport • 1980 FC Sion • 1979 Servette FC • 1978 Servette FC • 1977 BSC Young Boys • 1976 FC Zürich • 1975 FC Basel • 1974 FC Sion • 1973 FC Zürich • 1972 FC Zürich • 1971 Servette FC • 1970 FC Zürich • 1969 FC St. Gallen • 1968 FC Lugano • 1967 FC Basel • 1966 FC Zürich • 1965 FC Sion • 1964 FC Lausanne-Sport • 1963 FC Basel • 1962 FC Lausanne-Sport • 1961 FC La Chaux-de-Fonds • 1960 FC Luzern • 1959 FC Grenchen • 1958 BSC Young Boys • 1957 FC La Chaux-de-Fonds • 1956 Grasshopper Club • 1955 FC La Chaux-de-Fonds • 1954 FC La Chaux-de-Fonds • 1953 BSC Young Boys • 1952 Grasshopper Club • 1951 FC La Chaux-de-Fonds • 1950 FC Lausanne-Sport • 1949 Servette FC • 1948 FC La Chaux-de-Fonds • 1947 FC Basel • 1946 Grasshopper Club • 1945 BSC Young Boys • 1944 FC Lausanne-Sport • 1943 Grasshopper Club • 1942 Grasshopper Club • 1941 Grasshopper Club • 1940 Grasshopper Club • 1939 FC Lausanne-Sport • 1938 Grasshopper Club • 1937 Grasshopper Club • 1936 SC YF Juventus Zürich • 1935 FC Lausanne-Sport • 1934 Grasshopper Club • 1933 FC Basel • 1932 Grasshopper Club • 1931 FC Lugano • 1930 BSC Young Boys • 1929 FC UGS Genève • 1928 Servette FC • 1927 Grasshopper Club • 1926 Grasshopper Club

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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