Rafael Benítez wird Trainer bei Real Madrid. Dort hat er einst im Nachwuchsbereich seine grosse Trainerkarriere begonnen und tritt nun die Nachfolge von Carlo Ancelotti an – als einer, der seine besten Jahre hinter sich zu haben scheint.
Rafael Benítez hatte feuchte Augen, was schon erstaunlich war, denn der 55-Jährige gilt eigentlich als Technokrat der Trainerbänke. Wissenschaft, Methodik, Kontrolle, oder konkret: Rotationen, Ernährungspläne, Pulsmesser – so hat Benítez sowohl seine grossen Jahre bestritten, vor allem in Valencia und Liverpool, als auch die nicht ganz so grossen wie zuletzt beim SSC Napoli.
Vorher aber, zu seinen Anfängen, da spielte und trainierte er im Nachwuchsbereich von Real Madrid, und dieser Umstand erklärte natürlich auch die ungewohnten Emotionen: «Ich komme nach Hause zurück», sagte er gestern Mittag im Estadio Santiago Bernabéu: «Für mich schliesst sich hier ein Kreis.»
Da sein Haus nun einmal Real Madrid heisst, wird es mit den Sentimentalitäten bald vorbei sein. Als zehnter Trainer in zwölf Amtsjahren von Präsident Florentino Pérez wurde Benítez gestern präsentiert, und dass er nur bleiben darf, wenn von Anfang an gewonnen wird und ausserdem am Ende der Saison der eine oder andere Titel steht, ist so offenkundig, dass es der Verein gleich in seinen Briefkopf schreiben könnte.
Eben noch mit Napoli die Champions League verpasst
«Real Madrid steht für maximale Anforderungen»: So betete es Pérez und sein prominentestes Sprachrohr, Klubdirektor Emilio Butragueño, auch gestern wieder herunter. Der Ex-Weltklassestürmer schafft es dabei immer, besonders gerissen dreinzuschauen; vielleicht weil er weiss, dass er bald schon den nächsten Übungsleiter begrüssen darf.
Benítez, immerhin, ist der erste mehr als nur interimsmässig beschäftigte Madrilene im Job seit dem mythischen Miguel Múñoz, der es zwischen 1960 und 1974 auf unglaubliche dreizehneinhalb Jahre im Amt brachte. Seine Wurzeln in Stadt und Klub sind in den letzten Tagen in der Endlosschleife durch die klubnahen Zeitungen, Radioprogramme und TV-Stationen gejagt worden, um ihm den Touch von Popularität zu geben, den er eigentlich nicht hatte. Die Fans hätten ja wie die Spieler am liebsten Carlo Ancelotti behalten.
Vorne Reals neuer Trainer Rafael Benitez, hinten der alte, Carlo Ancelotti. (Bild: LEE SANDERS)
Alternativ galt Jürgen Klopp als Lieblingskandidat. Doch wieder einmal zeigte sich, auf welch beeindruckenden Medienapparat der Verein im Ernstfall zurückgreifen kann. Dass Benítez am Sonntag in seinem letzten Spiel mit dem SSC Napoli die Champions League verpasste, ging fast unter in all den Rührstücken von einem, der 1995 auszog, die Welt zu erobern, und nun, 2015, zurückkehrt.
Benítez tingelte zunächst mit unterschiedlichem Erfolg durch die spanische Provinz, ehe er ab 2002 den Valencia CF mit zwei Meistertiteln und einem Uefa-Cup-Sieg in drei Jahren zur erfolgreichsten Epoche seiner Geschichte führte. In Liverpool gelang ihm 2005 auf Anhieb ein sensationeller Titelgewinn in der Champions League.
Nachfolger eines Kinogängers
Die ersehnte Meisterschaft brachte er aber nicht an die Anfield Road, 2010 wurde er bei Inter Mailand als Nachfolger seines grossen Rivalen José Mourinho nach einem halben Jahr entlassen, bei Chelsea kam er trotz eines Europa-League-Titels nicht über eine Statthalterrolle hinaus. In Napoli übernahm er dann eine Champions-League-Mannschaft, schaffte es aber in seinen beiden Amtsjahren nicht, sie zu einer verlässlichen Grösse zu machen und erneut in Europas Königsklasse zu führen.
Kurzum: Bis auf weiteres wirkt Benítez eher wie einer, der seine besten Jahre schon hinter sich hat.
Pérez unterstrich bei der Vorstellung vor allem das Arbeitsethos seines neuen Angestellten – eine kleine Spitze wohl auch gegen den Geniesser Ancelotti, der schon mal damit kokettierte, bei einem wichtigen Spiel des grossen Konkurrenten Barcelona im Kino gewesen zu sein.
Benítez wird das nicht passieren, er ist eher bekannt dafür, seinen Spielern mit seinem taktischen Perfektionismus auf die Nerven zu gehen: So erzählt man sich in Madrid die Anekdote, Reals Ex-Trainer Mourinho habe gegenüber Xabi Alonso und Álvaro Arbeloa, beide vorher unter Benítez bei Liverpool aktiv, geulkt: «Spielt lieber für mich, denn wenn ich entlassen werde, kommt Benítez.»
Kein Versprechen, alle Spieler gleich zu behandeln
Der galt schon lange als Favorit von Generaldirektor José Ángel Sánchez, Pérez wichtigstem Einflüsterer. Der Präsident hingegen, so heisst es, musste sich erst selbst davon überzeugen, dass der eher spröde Benítez der richtige Mann sein könnte. Er habe einen Charismatiker wie Klopp bevorzugt, aber der galt ihm dann letztlich als zu anstrengend. Der Deutsche hätte zu stark in die Kaderarchitektur und andere strategische Fragen eingreifen wollen, so die Befürchtung.
Für die Forderung nach Mitbestimmung war auch Benítez zu seinen Liverpooler Zeiten bekannt, doch jetzt, in einer schwächeren Phase seiner Karriere, fehlt ihm dafür wohl die Statur. Gestern wollte er sich von den Reportern nicht einmal das Versprechen abringen lassen, alle Spieler gleich zu behandeln.
Stattdessen lobte er immer wieder die Qualität des Kaders und präsentierte sich eher als Moderator denn als Entscheider: «Ich tausche mich gern mit den Fussballern aus. Wenn sie denken, dass ihre Idee die richtige ist, dann folgen wir ihr. Wenn nicht, dann suchen wir nach anderen Formeln.»
Ein defensiverer Cristiano Ronaldo
Die symbolisch ausgestreckte Hand an die Spieler war unübersehbar – die Profis für sich zu gewinnen, dürfte nach den vielen Solidaritätsbekundungen des Teams an Vorgänger Ancelotti ein Schlüsselunterfangen werden. Fragen nach der Zukunft der dauerkritisierten Klublegende Iker Casillas wich Benítez hingegen ebenso aus wie solchen nach seinen Transferprioritäten.
Der defensive Mittelfeldspieler Casemiro wird wohl für 7,5 Millionen Euro vom FC Porto zurückgekauft werden und somit das alte Gleichgewichtsproblem beheben helfen. Daneben bleibt abzuwarten, ob Benítez dem Präsidentenliebling Gareth Bale zu mehr Durchschlagskraft verhelfen – und ihn sowie Cristiano Ronaldo zu mehr defensiver Disziplin animieren kann.
Auf den Arbeitsfanatiker wartet viel Arbeit, aber wenigstens seine Rivalität zu Mourinho dürfte anders als einst in Mailand kein grosses Problem darstellen: Ihren Ex-Ex-Trainer konnten die Real-Profis zum Schluss bekanntlich nicht mehr ausstehen.
» Eindrücke aus der Karriere des neuen Trainers im Video von Real Madrid
Gemeinsam in die Zukunft: Rafael Benitez (links) und Reals Präsident Florentino Perez. (Bild: ANDRES KUDACKI)