David Luiz siegt, trocknet Tränen und sieht gerne Kinder mit seiner Frisur. Und sonst? Spielt er eine grossartige WM. Ein Porträt.
Der beste Spieler auf dem Platz nahm den zweitbesten in die Arme. David Luiz und James Rodríguez waren Gegner gewesen in einem Spiel, das die meisten Fouls des Turniers gesehen hatte, mit der Verletzung von Brasiliens Nationalheld Neymar endete und später zu einem Festival der Brutalität stilisiert werden sollte. David Luiz hatte gewonnen, ein weiteres Kapitel auf dem Weg zum ersehnten Sieg bei der Heim-WM erfolgreich bestritten. Aber David Luiz dachte vor allem anderen an seinen Gegner; er trocknete dem jungen Kolumbianer buchstäblich die Tränen.
«Wir müssen nicht nur an den Fussball, sondern auch an das Leben denken», sagte Luiz, als beide zusammen später in den Stadionkatakomben standen. «Die Kinder wollen sein wie wir, spielen wie wir, unsere Frisuren tragen und so weiter, aber sie sollen auch in anderer Hinsicht ein Vorbild sehen.» Bemerkenswerte Worte nicht nur angesichts des intensiven Spiels zuvor, sondern auch der martialischen Rhetorik seines Trainers Luiz Felipe Scolari («Dürfen nicht mehr so freundlich zu unseren Gegnern sein») und des generellen Eindrucks dieser WM, dass Fairplay zwar in offiziellen Bannern und Durchsagen ausdauernd beschwört, aber realiter kaum gelebt wird.
Die Summe des Besten von Brasilien
Gewissermassen repräsentiert David Luiz, 27, das Beste an Brasilien. In seiner Freundlichkeit, seiner Aufgeschlossenheit und seinem Humor. Aber auch auf dem Platz. Nicht erst seit seinem formidablen Freistosstor zum 2:0 gegen Kolumbien gilt er als Leader der Seleção, als ihr Kopf. Heute gegen Deutschland wird er mehr denn je für alles zuständig sein, ohne Neymar und ohne den Kapitän Thiago Silva, der gelbgesperrt fehlt.
David Luiz wird voraussichtlich statt seiner die Binde tragen. Ein wenig ironisch ist es trotzdem, dass die Hoffnungen der ruhmreichsten Fussball-Nation der Welt beim Halbfinale einer Heim-WM auf einem Innenverteidiger liegen. Aber David Luiz ist halt alles andere als ein handelsüblicher Vertreter seiner Zunft.
Alleingänge über das ganze Feld, Steilpässe in Serienproduktion und die Freistosskunst: nicht zuletzt seine Spezialeigenschaften machten ihn kürzlich zum teuersten Verteidiger der Welt. 50 Millionen Euro zahlte Paris St. Germain an Chelsea, um ihn auch im Klub mit Thiago Silva zu vereinen. José Mourinho wiederum, der Trainer der Londoner, lässt ihn gehen, weil ihm der Hang zur Anarchie suspekt ist. Vorige Saison setzte er ihn kaum als Verteidiger, sondern im defensiven Mittelfeld ein. Auch sein offenes Wesen ist kaum nach Geschmack des kontrollverliebten «Special One».
Medienkonferenzen dauern auch mal eine Stunde mit Luiz
Den schlagfertigen Luiz einzufangen, ist selbst für superiore Wesen ein aussichtsloses Unterfangen. Pressekonferenzen mit dem Lockenkopf, den seine Mitspieler daher «Valderraminha» – den kleinen Valderrama – nennen, dauern schon mal eine Stunde, ohne dass es irgendeinem der Beteiligten langweilig würde. Auch nach dem Kolumbien-Spiel war er wieder der Letzte, der sich von den Reportern verabschiedete: «Jetzt hört mal zu, Jungs, überall habe ich nur zwei Fragen beantwortet, bei euch waren es schon fünf, also macht’s gut, ciao».
Könnte göttlichen Beistand brauchen im Halbfinale gegen Deutschland, lasten doch auf David Luiz nach dem Ausfall von Neymar die Hoffnungen. (Bild: Reuters/NACHO DOCE)
Zu sagen, Luiz hätte Spass an seinem Job, wäre eine schamlose Untertreibung. «Wie sollte ich nicht glücklich sein?», fragte er dieser Tage. «Ich habe schon als Kind gelernt, das Lächeln zu wertschätzen, das Leben zu feiern. Ich habe den besten Beruf der Welt.»
«Wie sollte ich nicht glücklich sein?», fragte Luiz dieser Tage. «Ich habe den besten Beruf der Welt.»
Luiz kommt aus einer Lehrerfamilie. Sein Heimatverein FC São Paulo schickte ihn mit 14 Jahren weg, weil er damals für zu kleinwüchsig befunden wurde (heute misst er 1,89 Meter). Aus dem 2000 Kilometer entfernten Salvador meldete sich der Klub Vitória, der junge David hatte gerade noch Zeit, seine Mutter um einen Kredit für das Flugticket zu bitten: «Später zahle ich dir das Zehnfache zurück.»
Doch auch im Nordosten überzeugte er nicht, man wollte ihn gerade abgeben – als sich ein Verteidiger verletzte und der bis dahin immer im Mittelfeld eingesetzte Luiz in die Abwehr zurückgezogen wurde. Dort entdeckte ihn Benfica, aus Lissabon ging es 2011 zu Chelsea. Einfach war es also nicht. «Ich weiss, dass ich viel kämpfen musste», sagt Luiz.
Dass er viel kämpfen musste, blitzt manchmal auch aus dem ewig lächelnden David Luiz heraus. (Bild: Reuters/STEFANO RELLANDINI)
Das Lächeln verliert er trotzdem nicht, ungeachtet des Drucks («Das ganze Volk erwartet einen Sieg, aber das gibt dir das Gefühl, lebendig zu sein»). Aber wie sollte es auch anderes sein bei einem Typen, der 2012 in der 89. Minute eines Champions-League-Finals die Coolness hatte, seinem Gegenüber Bastian Schweinsteiger vor einem Eckball den bevorstehenden Ausgleich anzukündigen: «And now Goal!» Und nach von Didier Drogba vollzogener Prophezeiung auf dem Rückweg in die eigene Spielhälfte mit den Achseln zu zucken und hinzuzufügen: «Sorry!»