Holland übt bereits seit über einem Jahr erfolgreich mit Video-Schiedsrichtern. Jetzt wollen auch andere Ligen die Neuerung in Angriff nehmen. So auch die Bundesliga.
Die Fussballwelt dreht sich wie wild: Präsidenten rutschten von der Spitze – so bei der Fifa, der Uefa und auch beim Deutschen Fussball-Bund (DFB). In diesem Jahr der Umbrüche herrscht ein Klima, in dem Meinungen ziemlich schnell vom einen Extrem ins andere kippen.
Zum Beispiel beim DFB. Lange hat man da zwar für die Einführung der mittlerweile etablierten Torlinientechnik plädiert; weitere Schiedsrichterhilfen, wie den Videobeweis, hat man aber rigoros abgelehnt. Noch wenige Wochen, bevor Wolfgang Niersbach letzten Herbst als DFB-Präsident zurücktrat, sagte er: «Der Videobeweis führt doch nicht zum Erfolg!» Der Videobeweis werde nicht kommen, «weil es am Ende so viele strittige Szenen gibt».
DFB schwenkt um
Die Schiedsrichter-Verantwortlichen beim DFB beobachteten bestehende Experimente mit Video-Schiedsrichtern, wie es sie in Holland seit anderthalb Jahren gibt, ebenfalls mit grosser Skepsis. Doch das hat sich im Laufe dieser Saison mit ihren vielen drastischen Fehlentscheidungen fundamental geändert. Mittlerweile sagt der DFB-Schiedsrichterchef Herbert Fandel, man habe sich im Verband «nach intensiven Überlegungen darauf verständigt, (…) an das bereits bestehende Pilotprojekt des Niederländischen Fussball-Verbandes anknüpfen zu wollen». Dies, um sich «an die Spitze einer Entwicklung zu setzen».
Auf einer Sitzung Anfang März im walisischen Cardiff wird das International Football Association Board (Ifab) entscheiden, wie es weitergehen soll. Lange galt dieses Board als konservativ, ja starrsinnig – aber auch hier dreht der Wind. Die Trockenversuche in Holland, wo der Video-Schiedsrichter seine Erkenntnisse noch nicht an den Unparteiischen auf den Platz übermitteln durfte, gelten als Erfolg. Jetzt gehe es um den nächsten Schritt, heisst es im Umfeld des Ifab: Der Versuch soll tatsächlich ausgeweitet werden.
Selbstverständlich ist allen klar, dass alle Szenen sich nie aufklären lassen werden – aber wenigstens die gröbsten Ungerechtigkeiten könnte man beseitigen. Das Ziel soll also sein, Schiedsrichterentscheidungen zu korrigieren, die das TV-Bild innerhalb weniger Sekunden klar als Fehler entlarvt.
Wie Video-Schiedsrichter eingreifen könnten
Das Ifab hat zwei Varianten ernsthaft ins Auge gefasst: Eine erste Möglichkeit wäre, dass der Schiedsrichter auf dem Rasen in Momenten der Unsicherheit zu einem Videooperator am Spielfeldrand läuft, sich eine Szene aus zwei, drei Perspektiven zeigen lässt und dann seine endgültige Entscheidung trifft.
Die zweite Möglichkeit würde sich am holländischen Modell anlehnen: Ein mit Technik ausgestatteter Kleinbus steht vor dem Stadion; darin sitzt ein speziell ausgebildeter Schiedsrichter, der strittige Szenen aus den günstigsten Kameraperspektiven betrachtet. Seine Erkenntnisse funkt er zum Kollegen auf dem Rasen, der dann entscheiden muss, ob er die Empfehlung aus dem Kleinbus umsetzt.
Wichtig ist, dass keine zusätzlichen Spielunterbrechungen entstehen und dass der Hauptschiedsrichter weiterhin das letzte Wort hat. Sofern die TV-Bilder keine eindeutige Aufklärung liefern, passiert nichts, strittige Szenen wird es also weiterhin geben. Möglich wäre übrigens auch, dass die Video-Schiedsrichter beispielsweise in der DFB-Zentrale in Frankfurt sitzen oder bei der Firma Sportcast in Köln, die die TV-Bilder für die Bundesliga produziert.
DFB: Reicht der Mut?
Beworben haben sich für neue Tests neben den Holländern, die ihr Projekt ausweiten wollen, auch die Verbände aus Brasilien, den USA und eben der DFB. Wobei immer noch nicht ganz klar ist, wie ernst es die Deutschen mit der Sache meinen. «Wir werden, so es dazu kommt, zunächst hinter den Kulissen testen und Erfahrungswerte sammeln, ohne dass der Schiedsrichter und die Mannschaften etwas davon mitbekommen oder das Spiel beeinflusst wird», sagt Schiedsrichterchef Fandel.
Mit diesem Plan würde sich der DFB allerdings keineswegs an die Spitze einer Entwicklung setzen – in Holland wurden ja schon viele theoretische Erkenntnisse gesammelt. Jetzt muss ausprobiert werden, wie der Videoschiedsrichter funktioniert, wenn seine Erkenntnisse auch zur Anwendung kommen. Vieles deutet darauf hin, dass das Ifab genau das ausprobieren möchte. Doch bringt die Bundesliga tatsächlich den Mut auf, vorweg zu gehen, kommt im Sommer auch hier die Fussballnation mächtig in Bewegung.
Tests in unteren Ligen oder im Pokalwettbewerb sind übrigens nicht zu erwarten. Denn dort zeichnen in der Regel nur wenige Kameras die Spiele auf. Für die Arbeit eines Video-Schiedsrichters reicht das eher nicht.