Derdiyok: «Ich habe einen neuen Schub gebraucht»

Fast schon ein bisschen unsterblich gemacht hat sich der Eren Derdiyok mit seiner Tor-Triplette beim 5:3 der Schweiz gegen Deutschland. Ein glücklicher Tag für den Basler, der in der Nationalmannschaft noch nicht viel und zuletzt in Leverkusen gar nichts mehr zu lachen hatte. 

Vier Arme, drei Tore: Eren Derdiyok. (Bild: Sacha Grossenbacher)

Fast schon ein bisschen unsterblich gemacht hat sich der Eren Derdiyok mit seiner Tor-Triplette beim 5:3 der Schweiz gegen Deutschland. Ein glücklicher Tag für den Basler, der in der Nationalmannschaft noch nicht viel und zuletzt in Leverkusen gar nichts mehr zu lachen hatte. 

Oben, auf den besseren Plätzen im St.-Jakob-Park sass Doublegewinner, Urlauber und Bald-Vater Alex Frei an der Seite seiner Frau und führte sich die Nationalmannschaft zu Gemüte. Der Rekordtorschütze der Schweiz dürfte nicht schlecht gestaunt haben über Eren Derdiyok, der mit an Frei erinnernder Effizienz und Kaltblütigkeit drei Tore gegen die deutsche Mannschaft beisteuerte und hinterher auf die Frage, ob dies das «Spiel seines Lebens» gewesen sei, etwas ungelenk meinte: «Das kann man laut ansprechen.»

Alex Frei hat viel geschafft in seiner Karriere, in 84 Länderspielen 42 Tore erzielt, ist vor 13 Monaten gekränkt zurückgetreten aus dem Nationalteam, weil er nicht mehr genug Wärme, Freude und Wertschätzung verspürte, er hat gerade im Trikot des FC Basel sein 300. Meisterschaftstor als Profi erzielt, ist zum zweiten Mal hintereinander Torschützenkönig der Super League geworden und erlebt einen goldenen Herbst mit fünf Titeln, die er mit dem FCB in den letzten drei Jahren gewonnen hat. Und wenn ihn vor ein paar Wochen Ottmar Hitzfeld und der SFV auf Knien gebeten hätte, zurückzukommen – wer weiss.

Am Samstag hat Alex Frei aber gesehen, dass es ihn vielleicht wirklich nicht mehr braucht. Weil da einer den Knoten aufgemacht, dem man zugetraut hat, die Lücke hinter Frei und Vereinskollege Marco Streller zu schliessen, der aber kein gutes Jahr hinter sich hat – weder im Club, noch in der Nationalauswahl.

Frech aufgetreten und belohnt worden

Nach dem nichts weniger als historischen 5:3-Sieg gegen Deutschland, dem ersten seit 56 Jahren und dem dem ersten Heimsieg gegen den grossen Nachbarn seit 71 Jahren, schaute man jedoch in das Gesicht eines gelösten Eren Derdiyok. Drei Tore in einem Länderspiel – das hat natürlich auch Alex Frei vorzuweisen, etwa am 28. März 2001, erzielt in seinem ersten Länderspiel in der Startelf beim 5:0 gegen Luxemburg. Aber gegen Deutschland gewonnen hat Alex Frei nie.

«Wir sind frech aufgetreten und sind belohnt worden», sagte Derdiyok, nachdem die lange Leidenszeit nun mit einem rauschenden Torfestival beendet wurde. Er sagte auch, dass er nachvollziehen könne, dass die deutschen Spieler mitten in der Vorbereitung auf das EM-Turnier schwere Beine gehabt hätten, aber der alte Fahrensmann Miroslav Klose, der sein 115. Länderspiel für Deutschland machte, meinte: «Das ist auch Kopfsache.»

Und da waren die Schweizer für einmal dem stets als übermächtig daherkommenden Deutschland voraus. Allen voran Eren Derdiyok und natürlich der brillante Vorbereiter Tranquillo Barnetta, der seinem scheidenden Leverkusener Clubkollegen die Vorlagen für alle drei Treffer gab. Ottmar Hitzfeld freute sich, nicht darüber, dass seine Mannschaft Geschichte geschrieben hat, sondern auch für Derdiyok: «Er war am Freitag noch leicht angeschlagen und hat sich durchgebissen. Ich freue mich für Derdiyok und auch für Mehmedi, denn sie haben zuletzt keine Spielpraxis gehabt haben. So stelle ich mir Spieler vor, die sich aufdrängen wollen.» 

«Ich habe diesen Schub gebraucht»

Während Barnetta, mit 60 Länderspielen der Nationalspieler mit den aktuell meisten Einsätzen auf dem Buckel, noch mitten in einer Hängepartie steckt, ob er bei Bayer Leverkusen doch noch verlängern will oder nicht, hat Derdiyok schon längst Nägel mit Köpfen gemacht und geht zu 1899 Hoffenheim.

«Ich muss absolut sagen: Durch den Wechsel bin ich mit einem ganzen leichten Bauchgefühl in dieses Spiel gegangen, weil ich befreit bin – und ich bin belohnt worden.» Das sagte Derdiyok immer wieder und versuchte, seine Situation zu erklären: «In Leverkusen bin ich kaum noch zum Einsatz gekommen, was ich nachvollziehen kann, weil der Verein gemerkt hat, dass Interesse von mir an einem Wechsel vorhanden ist. Ich bin überzeugt von diesem Schritt, weil ich mir erhoffe, in Hoffenheim mehr zu spielen. Ich haben einen Neuanfang gebraucht, einen neuen Schub.»

2009 ist er nach 63 Meisterschaftspielen und 17 Toren vom FC Basel in die Bundesliga zum Werksclub gewechselt. Er hatte es nicht einfach im Leverkusener Konkurrenzkampf, war aber mit 32 Einsätzen in der Saison 2010/11 aber immerhin noch der mit Abstand am häufigsten eingesetzte Stürmer des Vizemeisters. In der abgelaufenen Spielzeit, mit dem Rauswurf von Trainer Robin Dutt, wurde er in 25 Spielen 14 Mal eingewechselt. Das reichte zu sieben Toren, womit seine Dreijahresbilanz in Leverkusen bei 89 Spielen und 24 Toren steht.

Für sechs Millionen nach Hoffenheim

Das ist Hoffenheim mit seinem Trainer Markus Babbel die Investition von rund sechs Millionen Euro wert gewesen. 2009 hatte der FC Basel geschätzte 3,8 Millionen bekommen – was damals noch 5,7 Millionen Franken waren und heute noch 4,5 Millionen. Man darf davon ausgehen, dass der FCB sich damals am Weiterverkauf Derdiyoks vertraglich einen kleinen Anteil gesichert hat.

Zu zeigen, dass er dieses Transfergeld wert ist, dieser Druck wird auch im Kraichgau auf ihm lasten. Mäzen Dietmar Hopp, der bereits gegen 250 Millionen Euro in den Club gesteckt hat, nun noch einmal kräftig investiert, mittelfristig aber seinen Geldhahn aufgrund der Uefa-Vorschriften langsam zudrehen will, hat das Ziel schon mal vorgegeben: «Ich bin sicher, dass wir ernsthaft um die internationalen Plätze werden mitspielen können.»

Das gewisse Alte für gewisse Verantwortung

Ein Erfolgserlebnis wie dieser – auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war – epochale Sieg gegen Deutschland kann da nur hilfreich sein. Am 12. Juni wird Derdiyok, der einst bei einem Cupspiel auf der Schützenmatte das Ehrentor für die Old Boys gegen de FCB schoss und quasi vom Fleck von Christian Gross verpflichtet wurde, 24 Jahre alt. «Ich bin zwar noch jung», sagt Derdiyok, «aber in einem gewissen Alter, wo ich gewisse Verantwortung übernehmen muss.»

Seine Nationalmannschaftskarriere begann fulminant, am 24. Januar 2008 im Wembley-Stadion, zwar mit einer 1:2-Niederlage gegen England, aber mit einem aufsehenerregenden Tor zum zwischenzeitlichen 1:1. In den folgenden 37 Einsätzen für die Schweiz kamen jedoch gerade einmal mickrige drei Treffer dazu. Sein zweites Länderspiel war im März 2008 eine diskussionslose 0:4-Niederlage im ausverkauften St.-Jakob-Park gegen Deutschland (Tore: Gomez 2, Klose, Podolski). Nun, vier Jahre später, sagt Derdiyok: «Nach drei Toren gegen Deutschland kann man nur glücklich sein.»

«Die Mannschaft beginnt zu funktioneren»

Er ist derzeit der einzige Schweizer Stürmer, der das Format und Potential zu besitzen scheint, in die grossen Fussstapfen eines Alex Frei zu treten. «Es hat Zeit gebraucht, ich habe einige Spiele gemacht unter Hitzfeld und bin froh, dass ich das Vertrauen zurückzahlen kann», sagt Derdiyok, der in Basel geboren wurde und aufgewachsen ist. «Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber die Mannschaft fängt an zu funktioneren, und ich war eiskalt. So  muss es sein in Zukunft.»

Am Mittwoch steht noch die Partie in Luzern gegen Rumänien an, und Derdiyok verspricht: «Das letzte Spiel vor den Ferein nehmen wir noch ernst.» Mitte August ist dann noch ein weiterer Test gegen Kroatien angesetzt, aber wirklich ernst wird es dann Anfang September mit dem WM-Qualifiaktionsauftakt in Slowenien (Freitag, 7. September) und in Luzern gegen Albanien (Dienstag, 11. September). Es wird dann einen wie Derdiyok brauchen.

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