Di Matteo: Der nächste Trainer im Chelsea-Monopoly

Der FC Chelsea bricht den Reformprozess mit dem Portugiesen André Villas-Boas ab und übergibt die Mannschaft dem aus Schaffhausen stammenden Roberto di Matteo. Viel Goodwill scheint der jedoch auch nicht zu besitzen.

Aus dem Hintergrund ins Scheinwerferlicht: Roberto di Matteo (rechts unten) ersetzt beim FC Chelsea interimistisch den geschassten André Villas-Boas. (Bild: Reuters)

Der FC Chelsea bricht den Reformprozess mit dem Portugiesen André Villas-Boas ab und übergibt die Mannschaft dem aus Schaffhausen stammenden Roberto di Matteo. Viel Goodwill scheint der jedoch auch nicht zu besitzen.

André Villas-Boas fand nach dem erbärmlichen 0:1 bei West Bromwich Albion am Samstagabend, dass es in dieser schweren Krise nicht damit getan war, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Der 34-Jährige drehte die Sache, wie schon öfters in den vergangenen Wochen, um – und übernachtete auf dem Trainingsgelände in Cobham.

So konnte der Portugiese schon früh am Sonntagmorgen sehen, wie Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch mitsamt einer stattlichen Entourage aus Bodyguards eintraf. Die Anwesenheit von Eugene Tenenbaum, dem Mann fürs Grobe in der Chefetage, nahm den Ausgang der Unterredung vorweg. Nach 256 Tagen im Amt war das Projekt «AVB» bei den Londonern offiziell beendet.

«Wir bedauern, dass die Beziehung so früh in die Brüche ging», liess der Verein süss-säuerlich verlauten. Die Demission von Villas-Boas hatte sich spätestens nach dem 1:3 im Champions-Leagues-Achtelfinal gegen den SSC Neapel am 21. Februar angekündigt, doch zunächst war man davon ausgegangen, dass der junge Trainer zumindest bis zum Rückspiel in acht Tagen versuchen dürfte, die statistisch schlechteste Saison der Blauen seit der Übernahme durch Milliardär Abramowitsch im Sommer 2003 zu retten.

Die Chelsea-Truppe gilt als untrainierbar

Die Niederlage bei West Brom brachte beim Tabellenfünften der Premier League (drei Punkte Rückstand auf Arsenal, Platz vier) jedoch die Qualifikation für die Königsklasse so stark in Gefahr, dass der Oligarch intervenierte. Man traute dem sich zunehmend in Trainerkauderwelsch flüchtenden Villas-Boas nicht mehr zu, bei der Mannschaft jene «300 prozentige Verbesserung der Leistung» zu bewirken, die er am Samstag für notwendig befunden hatte.

Abramowitsch forderte im Anschluss das seit Wochen unmotiviert wirkende Team auf, schleunigst die Arbeitsstellung zu überdenken und drohte einigen Stammspielern indirekt mit dem Rauswurf zu Saisonende. Die letzten Auftritte hatten nicht von ungefähr einen Hauch von Dienstverweigerung verströmt, vielen Beobachtern gilt die Truppe seit dem Abschied der blauen Überfigur José Mourinho gar als untrainierbar.

Mit Villas-Boas ging der fünfte Coach seit September 2007. Allein in den vergangenen vier Jahren wurden an der Stamford Bridge 77 Millionen Euro für die Verpflichtung und Entlassung von Übungsleitern ausgegeben, die Gehälter nicht inbegriffen.

Das Kontroll-Vakuum

Die Macht der Kabine, in der sich bis auf Captain John Terry und eine kleine portugiesische Gruppe alle wichtigen Männer gegen ihn positioniert hatten, war zu letztlich gross für den relativ unerfahrenen, von der komplexen Fülle der Job-Anforderungen – ein Umbruch, mit Titeln und schönem Fussball, bitte schön – überforderten Mann.

Aber es wäre zu kurz gegriffen, die Schuld an der Malaise allein bei einer Verschwörung der Platzhirsche zu suchen. Im auch für Nahestehende kaum zu durchschauenden System Abramowitsch klafft von dem geduldsarmen Russen abwärts ein derartiges Kontroll-Vakuum, dass die wichtigsten Spieler zwangsläufig zu gefühlten Funktionären avancieren mussten. «Der Aufmüpfigkeit der Profis ist nur das Symptom eines Konstrukts, in dem der Trainer der austauschbarste Mann ist, nicht der wichtigste», hat die «Times» erkannt.

Mit den Spielern überworfen

Villas-Boas’ überambitionierter Reform-Kurs war möglicherweise bereits im Sommer zum Scheitern verurteilt, als er es versäumte, auf eine nachhaltige Verstärkung des Kaders zu bestehen. Er musste so die von Mourinho konzipierte, jedoch am Verschleiss der wichtigsten Teilchen leidenden Ergebnismaschine bei laufendem Betrieb umbauen – ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem fehlte es dem mit Sicherheit hochtalentierten Jungtrainer an Moderationskunst. Den Mangel an natürlicher Autorität kaschierte er häufig mit überharten Entscheidungen, denen Arroganz anhaftete.

Gleichaltrige Spieler wie Didier Drogba oder Frank Lampard fühlten sich von seinen Wechselmanövern vor den Kopf gestossen. Wie die «Daily Mail» berichtete, fanden es es die Spieler irritierend, dass er von einem Balkon persönlich aus überwachte, dass sie pünktlich zum Training vorfuhren; darüberhinaus traf im Team der rigorose Umgang mit Nicolas Anelka und Alex, die der Coach vor ihren Transfers im Januar vom Trainingsbetrieb und sogar von der Weihnachtsfeier ausschloss, auf grosses Unverständnis.

Di Matteo: Ähnlich unbeliebt wie Villas–Boas

Den Traum vom «blauen Barcelona», den Villas-Boas erfüllen sollte, hat Abramowitsch nicht aufgegeben. Pep Guardiola, der Trainer der Katalanen, gilt als Wunschkandidat für die nächste Spielzeit, aber auch dessen natürlicher Gegenpart Mourinho ist wieder in West-London im Gespräch.

Bis Mai soll der Villas-Boas’ Assistent, der gebürtige Schweizer Roberto Di Matteo die Geschicke leiten. Ob unter dem 41-Jährigen der grosse Kabinenfriede ausbrichts, ist allerdings zweifelhaft. Der ehemalige Chelsea-Spieler sei bei den aktuellen Profis ähnlich unbeliebt wie der geschasste Vorgänger, kolportierte am Montag der Boulevard.

Roberto Di Matteo – Meister mit dem FC Aarau
In Schaffhausen geboren, schuf Roberto Di Matteo in der Schweiz die Grundlage für seinen späteren Wechsel in das Land, für das das er 34 Länderspiele bestritt: Italien. Vom FC Schaffhausen (1988-1991) ging er für eine Saison zum FC Zürich und stand ein weitere Saison später (1992/93) in der Meistermannschaft des FC Aarau unter Rolf Fringer. Es folgte der Transfer zu Lazio Rom (87 Spiele/7 Tore) und 1996 zum FC Chelsea, für den er in der Ära der Gianfranco Zola und Jimmy Floyd Hasselbaink 175 Spiele bestritt und 16 Tore erzielte, zwei Cup-Siege feierte und den Europacup der Cupsieger gewann (1998).
Bei den Chelsea-Fans blieb Di Matteo eine beliebte Figur; in den Geschichtsbüchern wird er mit dem schnellsten Tor in einem FA-Cup-Final (1997 gegen Middlesbrough) und dem letzten Tor in einem Cupfinal im alten Wembley-Stadion geführt.
Seine Trainerkarriere begann diue Matteo bei Milton Keynes Dons in der dritthöchsten englischen Liga. Mit West Bromwich Albion stieg er 2010 in die Premier League auf. Nach vielversprechenden Saisonstart wurde er in Birmingham am 6. Februar 2011, nach einem Sieg aus zehn Spielen, entlassen.

 



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