Wer geglaubt hätte, der Rekord-Winter von Lindsey Vonn in der Saison 2011/12 würde in die Ski-Historie eingehen und gleich für Jahrzehnte Bestand haben, der irrte gewaltig. Nur ein Jahr später sind die Weltcup-Bestmarken der US-Amerikanerin schon wieder Geschichte. Denn Tina Maze sorgte für einen Winter der Superlative, für einen neuen Punkterekord im Weltcup, und mit ihrer beständigen Hochform so nebenbei bei ihren Gegnerinnen auch noch für kollektives Kopfschütteln.
Dass eine Läuferin in ein, zwei Disziplinen der Konkurrenz um die Ohren fährt, hat es in der Vergangenheit schon öfter einmal gegeben, aber dass eine Athletin gleich alle Bewerbe dominiert, ist in dieser Form einmalig. Tina Maze war in Abfahrt und Slalom, in Super G und Riesentorlauf, und natürlich auch in der Super-Kombination das Mass aller Dinge. Die nackten Zahlen sind Beleg für die Ausnahmestellung der Ausnahmeathletin aus Slowenien: Maze gewann in diesem Winter in allen Disziplinen zumindest einmal, bis zum Weltcup-Finale in Lenzerheide lachte sie bereits 21 Mal vom Siegespodest, die 29-Jährige leistete sich lediglich einen Ausfall (Slalom in Zagreb) und erreichte nur in drei Rennen nicht die Top 5.
Ihr Ehrgeiz und ihr Hang zum Perfektionismus sind Tina Maze schon öfter im Weg gestanden.
Ihr übertriebener Ehrgeiz und ihr fast schon krankhafter Hang zum Perfektionismus sind Tina Maze in der Vergangenheit schon öfter im Weg gestanden. Ihr Verschleiss an Trainern und Servicemännern in 14 Jahren Ski-Weltcup ist beachtlich, ihre Launen sind gefürchtet. Nicht von ungefähr ist die 29-jährige Slowenin als Ski-Diva verschrieen, als komplizierter Dickkopf, der von jedem in ihrem Umfeld Perfektion verlangt.
Kein Zufall also, dass Maze seit einigen Jahren nicht mehr mit der slowenischen Mannschaft trainiert, sondern ein One-Woman-Team gegründet hat. Im Mittelpunkt dabei steht Andrea Massi, ein ehemaliger Leichtathletik-Coach aus Italien, der Tina Maze Beine gemacht und die körperliche Grundlage für die perfekte Fitness der exzentrischen Slowenin gelegt hat.
Anders hätte sie das Monster-Programm – Maze verpasste heuer kein Rennen – auch nie so erfolgreich durchgestanden. «Seine Ideen haben sich immer als gut herausgestellt», erklärt Maze, «auch wenn sie am Anfang unmöglich schienen.» Heute ist Massi für Maze längst nicht mehr nur der Trainer, er ist auch der Lebensgefährte, Mädchen für alles und kümmert sich im Hintergrund auch um das Management.
Der Erfolg der Slowenin, die mittlerweile in Italien lebt («die italienische Lebensart hat mich lockerer gemacht») ist allerdings auch Made in Switzerland. Von der Zusammenarbeit mit Stöckli profitiert Tina Maze vor allem in den Speed-Disziplinen. Jahrelang hatte sie auf den Gleitpassagen stets viel Zeit liegen gelassen, dank der Stöckli-Speed-Ski ist die Allrounderin nun auch auf diesen Streckenteilen stets bei den Schnellsten.
Schneekönig des Winters
Begeisterung trifft Staunen, Ehrfurcht wechselt sich mit Kopfschütteln ab. Wie macht das dieser Marcel Hirscher nur? Wie kann dieses schmächtige Bürschchen mit seinen schmalen Schultern nur Woche für Woche und Rennen für Rennen den immensen Erfolgsdruck der gesamten Ski-Nation Österreich aushalten? Schon jetzt wird Marcel Hirscher (24) in seiner Heimat in einem Atemzug mit Hermann Maier gehandelt. In einem Alter, in dem der Herminator noch ein No-Name war und gerade einmal sein Weltcup-Debüt feiern durfte (erster Sieg im Alter von 24), hat sich Hirscher bereits einen Namen als Superstar gemacht und schon fast alles gewonnen, was es im Ski-Zirkus zu gewinnen gibt.
Besonders beeindruckend war dabei der coole Auftritt an der Heim-WM in Schladming. Das ganze Land hatte von ihm nach dem WM-Fehlstart (keine Medaille in Abfahrt und Super G) Gold gefordert, und Hirscher erfüllte die Pflicht und stillte mit dem WM-Titel im Slalom die goldene Sehnsucht der österreichischen Ski-Fans. Faszinierend aber auch, wie sicher sich der einstige Bruchpilot mittlerweile durch die Slalom- und Riesentorlauf-Kurse bewegt.
Während sich Tina Maze als perfekte Allrounderin präsentierte, genügten dem 24-jährigen Hirscher seine beiden Paradedisziplinen zur Titelverteidigung des Gesamtweltcups. Der Salzburger war auch erst gar nicht angewiesen, im Weltcup fremd zu gehen und sein Glück in Super G oder Abfahrt zu versuchen. Denn Hirscher sammelte über den gesamten Winter in Slalom und Riesentorlauf verlässlich Punkte: Stets hatte der Österreicher das Ziel gesehen, und nur einmal war er dabei vom Erfolgskurs abgekommen und nicht auf das Podest gefahren (Riesentorlauf in Adelboden). «Ich bin früher oft genug ausgeschieden, aber ich habe in den letzten Jahren gelernt am Limit zu fahren und mein Limit immer weiter nach oben zu schieben», erklärt Hirscher, der mittlerweile mit einer traumwandlerischen Sicherheit durch den Slalom-Stangenwald flitzt.
Hirscher, der wie Tina Maze übrigens einen Privatcoach hat (seinen Vater Ferdinand), begeistert die Österreicher nicht nur mit seinem akrobatischen Fahrstil, der Salzburger ist auch beim Apres Ski wortgewandt und im Gegensatz zu vielen seiner Teamkollegen nicht auf den Mund gefallen. Was er zur Grossen Kristallkugel sage, wurde er gefragt. «Depperter Glasbecher», war seine Antwort.
VIP des Winters
Wie siehts aus im Zickenkrieg? Leidet sie möglicherweise unter Depressionen? Ist sie vielleicht schwanger? Hat sie gar eine heisse Affäre mit Tiger Woods? Keine andere Skiläuferin schreibt auch abseits der Ergebnislisten und Rennpisten so viele Schlagzeilen wie Lindsey Vonn. Die US-Amerikanerin ist nicht nur die Speed-Queen, sie ist seit Jahren auch die First Lady der alpinen Society-Gesellschaft.
Keine andere Skiläuferin schreibt auch abseits der Ergebnislisten und Rennpisten so viele Schlagzeilen wie Lindsey Vonn.
Sie inszeniere und produziere sich, beklagen sich mitunter ihre Rivalinnen, weshalb Lindsey Vonn mittlerweile einen neuen Kosenamen verpasst bekommen hat: Drama-Queen. Nicht gespielt waren Enttäuschung und Schmerzen nach ihrem Sturz im umstrittenen Super G an der Weltmeisterschaft in Schladming. Nach dem Kreuzbandriss kämpft die 28-Jährige, die sich trotz des vorzeitigen Saison-Endes die kleine Kristallkugel im Abfahrtsweltcup sicherte, um ihr Comeback in der Olympiasaison.
Aufsteiger des Winters
Der Name Paris weckte bei Ski-Fans bis vor kurzem lediglich Erinnerungen an die Stadt der Liebe oder eine verhaltensoriginelle Hotelerbin mit blondem Haar.
Schnee von gestern. Seit diesem Winter wissen nicht nur Ski-Insider, dass hinter Dominik Paris einer der schnellsten und schrägsten Abfahrer der Welt steckt. Mit Siegen auf den schwierigen Pisten in Bormio und in Kitzbühel gelang dem 23-jährigen Südtiroler heuer der Durchbruch, der durch die WM-Silbermedaille gekrönt wurde. Dieser Dominik Paris ist alles nur kein Ottonormalrennläufer – in der Jugend wurde der Südtiroler aus der Sportschule geworfen, einige Zeit jobbte er als Schafhirte, und wenn er nicht gerade auf den Pisten den Ton angibt, dann würgt er seine Stromgitarre und produziert Heavy Metall der wildesten Sorte.
Aufsteigerin des Winters
Die Sache mit dem Sieger-Sekt muss Mikaela Shiffrin noch lernen. Beim Flaschenöffnen stellt sich die junge US-Amerikanerin nämlich bei weitem nicht so geschickt an wie beim Flitzen durch den Slalomstangen-Wald. Nach ihrem Triumph im prestigeträchtigen Slalom in Zagreb war Shiffrin mit der Magnum-Flasche schlichtweg überfordert, aber wer kann es der 18-Jährigen auch verdenken.
«Daheim in den USA darf ich noch gar keinen Alkohol trinken, dafür bin ich noch zu jung», schmunzelt der sympathische Teenager, der im Weltcup von der Mama begleitet wird. Für Fabelzeiten und Erfolge am laufenden Band ist Mikaela Shiffrin allerdings alt genug, wie sie spätestens mit ihrer Goldfahrt an der WM in Schladming nachhaltig unter Beweis gestellt hat. Die härteste Herausforderung wartet auf den Jungstar aber erst noch: Shiffrin muss im Sommer wieder Prüfungen an der Schule ablegen.
Absteiger des Winters
Keine Medaille an der Weltmeisterschaft in Schladming, nur ein Podestplatz im gesamten Winter (Carlo Janka in der Superkombination), dafür umso mehr Enttäuschungen und Ernüchterungen, Häme und Spott – die Schweiz, jahrelang die Grossmacht im Skizirkus, präsentierte sich in diesem Winter bei den Herren als Niemandsland. Das kollektive Formtief nur auf die lange Verletztenliste und das Karriereende von Didier Cuche zu schieben, wäre zu billig. Experten orten bei den Schweizer Läufern, die zusammen im ganzen Winter weniger Punkte sammeln konnten als Marcel Hirscher oder Aksel Lund Svindal allein, vielmehr skitechnische Mängel und Nachholbedarf im Feintuning. Swiss Ski hat auf den Abwärtstrend bereits reagiert: Herren-Cheftrainer Osi Inglin muss seinen Posten räumen.
Absteigerin des Winters
Noch vor zwei Jahren war Elisabeth Görgl die First Lady von Garmisch/Partenkirchen. Weltmeisterin in der Abfahrt, Weltmeisterin im Super G – an den Titelkämpfen in Garmisch hatte die Österreicherin den Superstars Lindsey Vonn und Maria Höfl-Riesch die Show gestohlen und wurde fortan sogar als potenzielle Weltcup-Gesamtsiegerin gehandelt. Zwei Winter später an der Heim-WM in Schladming verkam die doppelte Titelverteidigerin und österreichische Hoffnungsträgerin zur Randfigur. In den Kampf um die Medaillen konnte Görgl nicht eingreifen, im ganzen Weltcup-Winter fuhr Görgl überhaupt nur fünf Mal in die Top Ten.
Solo des Winters
Was hatte dieser Ted Ligety im vergangenen Sommer nicht gejammert und geflucht, nachdem der Internationale Skiverband (FIS) in seiner Paradedisziplin Riesentorlauf eine Materialreform durchgezogen hatte (die Ski wurden schmäler und länger). Unfahrbar seien diese neuen Ski, hatte der US-Amerikaner gezetert und via Facebook und Twitter der FIS alles nur erdenklich schlechte gewünscht.
Viel Lärm um nichts, denn tatsächlich scheint das neue Material wie gemacht für den Mister Riesentorlauf. Ligety dominierte in diesem Winter nicht nur den Bewerb, er liess die Konkurrenz phasenweise sogar wie Anfänger aussehen. Highlight der One-Man-Show: In Sölden hatte Ted Ligety, der mit drei Goldmedaillen (Super G, Kombination, Riesentorlauf) auch der Superstar der WM in Schladming war, 2,75 Sekunden Vorsprung auf den Zweiten. In Alta Badia lag er nach dem ersten Lauf sogar mehr als sieben Sekunden vor Carlo Janka.