Die erschummelte Weinkaraffe

Im US-Golf hofft man, dass die traditionsschwangeren British Open das Comeback ihrer Golfer einläuten. Allerdings hätte der amerikanische Sieger Zach Johnson disqualifiziert werden müssen.

United States� Zach Johnson poses with the trophy after winning a playoff after the final round at the British Open Golf Championship at the Old Course, St. Andrews, Scotland, Monday, July 20, 2015. (AP Photo/Alastair Grant)

(Bild: Keystone/ALASTAIR GRANT)

Im US-Golf hofft man, dass die traditionsschwangeren British Open das Comeback ihrer Golfer einläuten. Allerdings hätte der amerikanische Sieger Zach Johnson disqualifiziert werden müssen.

In St. Andrews, wo angeblich das Golfspiel erfunden wurde, wo der älteste Club weltweit residiert und die obersten Regelhüter akribisch über jeden Grashalm wachen, ist alles hochheilige Tradition. Für die besonders traditionellen Traditionalisten war 2015 ein besonders historisches Turnier. Der fünfmalige Open-Sieger Tom Watson (65), Liebling der Fans, spielte hier das letzte Mal und inszenierte seinen Abgang mit den letzten Strahlen der Abendsonne winkend auf der steinernen Swilcan Bridge. Das ist die berühmteste Brücke der Golfwelt, angeblich stammt sie noch aus Römerzeit.

Und da war der Starter an Tee 1, der weisshaarige Ivor Robson (70). Er war glücklich, dass es ein Stechen gab. Denn so konnte er nach 41 Jahren British Open und etwa 25’000 Ansagen in der immer exakt gleichen Art («On the Tee … – from Germany… – Börnett Längr») seinen Job um drei Ansagen verlängern.

Passend: Zach Johnson, der spätere Triumphator, war der letztgenannte Name seiner Karriere. Das hohe Timbre von Robsons Stimme hatte Legendenstatus. Seine Bestleistung übrigens war «… from spain … Josemariaolazabal». Dabei sprach er den Namen wie in einer Silbe in wenigen Sekundenbruchteilen. Einige Spieler hatten am Finaltag die Musse für ein gemeinsames Abschiedsfoto mit Britanniens Ikone.

Sturmopfer bei aufbrausenden Winden

Jedes sportliche Fazit klingt banaler: Europa hat derzeit ausser dem fussmaladen Rory McIlroy keinen Siegspieler für die Majors. Alle drei Titel 2015 gingen an US-Schlägerschwinger, eine Trendumkehr nach Jahren weitgehender Erfolglosigkeit. Aber bitte, das ist zunächst nur eine Momentaufnahme.

Wie sehr das lange gedemütigten Land nach Golfsiegen lechzt, bewies Paul Dunne, 22. Der unbekannte irische Amateur hatte nach drei Tagen das Klassement sensationell angeführt. Der Geist von Bobby Jones, hiess es, schwebe über der Platz. Jones war der letzte Amateursieger; 1930 war das.



United States� Zach Johnson celebrates with members of the public as he holds the trophy after winning a playoff after the final round at the British Open Golf Championship at the Old Course, St. Andrews, Scotland, Monday, July 20, 2015. (AP Photo/Alastair Grant)

Zach Johnson, der Sieger der British Open 2015, feiert seinen Titel. (Bild: Keystone/ALASTAIR GRANT)

Die US-Sender adoptierten Dunne schon. Gut, er sei Ire, hiess es, aber seit Jahren College-Golfer in Birmingham, Alabama. Also quasi ein Amerikaner, der halt mal bei Dublin geboren wurde.

Besonderer Leidtragender der schottischen Wetterkapriolen und Sintfluten war US-Jungstar Jordan Spieth, der «ein wahnsinniges Turnier» erlebt hatte. Stets musste der Sieger der beiden ersten Majors 2015 im besonders intensiven Regen raus, einmal wurde sein Ball auf dem Grün Sturmopfer. Auch am Finaltag war das Wetter anfangs überraschend ok, dann starteten Spieth, der Regen und der wieder aufbrausende Wind gleichzeitig.

Mit Sonnenbrille im schottischen Windgebraus

Der schottische Wettergott wollte offenbar keine Chance auf den ersten Grand Slam seit 75 Jahren. Sondern lieber einen Sieger wie Zach Johnson.

» Die Resultate der British Open 2015

Er war der Einzige, der auch im grauen schottischen Windgebraus mit Sonnenbrille spielte, als wäre man irgendwo daheim in Kalifornien, Florida oder in seinem Heimatkaff Cedar Rapids, Iowa.

Zach Johnson, ja, der ist vierfacher Rydercup-Spieler, aber auch viermaliger Verlierer des grossen Prestige-Kontinentalvergleichs, den die Europäer zuletzt in acht der letzten zehn Duelle gewannen, zudem oft demütigend deutlich. Johnson zählte trotz seines Masters-Sieges 2007 (auch im dort selten miesen Wetter) immer als glamourfreier Akteur der zweiten Reihe.



United States� Zach Johnson talks with an official before putting on the 18th during a playoff after the final round at the British Open Golf Championship at the Old Course, St. Andrews, Scotland, Monday, July 20, 2015. (AP Photo/David J. Phillip)

Zach Johnson (links) diskutiert mit einem Offiziellen am 18. Loch. Es geht um eine Delle, Johnsons Regelverstoss erfolgt unmittelbar danach – siehe weiter unten im Video. (Bild: Keystone/DAVID J. PHILLIP)

Die «Washington Post» freute sich gestern weniger über den glamourarmen Sieger, sondern trauerte mehr der vergebenen Chance auf einen Grand Slam nach und wechselte schnell die Sportart: «Jetzt steht Serena Williams alleine da.»

Aber dann passierte es

Zudem fällt Zach Johnson das Reden schwer – anders als Tiger Woods, Michelson, Bubba Watson, neuerdings Spieth. Kein Medientyp, keiner für die grosse Show. «Ich bin nicht besonders charismatisch, emotional oder spassfixiert», sagte er nach den Freudentränen, «sondern nur ein ganz normaler Junge aus Iowa.»

Der normale Junge hatte im Übrigen grosses Glück. An Bahn 18 monierte er in seiner Puttlinie eine nicht ausgebesserte Delle im Teppichgrün. Diskussion mit einem Offiziellen, ob diese als zufälligen Platzfehler, Spikesabdruck oder als nicht ausgebesserte Ballmarke eines anderen Spielers anzusehen sei. Der unsichere Offizielle rief den Oberschiedsrichter. Der begutachtete die monierte Stelle und befand, sie dürfe begradigt werden.

Johnson tat das. Soweit war alles in Ordnung.

Aber dann passierte es: Johnson ging Richtung des Lochs, um sich die Puttlinie genau anzusehen. Und er klopfte mit seinem Schläger en passant zwei Meter vor dem Loch auf eine zweite Stelle. Das ist laut Regel 16.1 streng verboten und hätte einen Strafschlag nach sich ziehen müssen. Diesen notierte sich Johnson nicht. Also unterschrieb er die falsche Schlagzahl und hätte disqualifiziert werden müssen.

Die Szene mit den Offiziellen beginnt bei 11:30 Minuten, der eigentliche Regelverstoss bei 12:56

Die Blindheit der heiligen Regelgötter

Die heiligen Regelgötter aber, sie bemerkten die Missetat vor der eigenen Haustür nicht. Beim Deutschen Golfverband windet man sich um eine Stellungnahme; klar sei Johnsons Tun nicht statthaft gewesen («das ist so, das durfte er nicht»), aber man wolle sich, sagt ein Offzieller, «nicht im Nachhinein in die Hoheitssphären der Platzrichter einmischen».

Das Stechen über vier Loch mit drei Spielern war, so die Londoner «Times», «ein Drama, das den Kern menschlichen Daseins freilegte». Johnsons wahres Drama könnte durchaus noch folgen. Eine Disqualifikation wäre auch nachträglich möglich, das hiesse: Den Siegerpokal Claret Jug, die pömpelscheussliche Weinkaraffe, leertrinken, spülen, abtrocknen, zurückgeben.

Open-Sieger wäre Louis Oosthuizen aus Südafrika. Auch dort gibt es gute Weine.

Und noch eines ausser entscheidender Unaufmerksamkeit zeigte St. Andrews 2015 bei aller Tradition: Der Platz mag ein machtvolles Tribut an die Vergangenheit sein, aber so recht zeitgemäss ist er nicht mehr. Fast 80 Spieler lagen am Ende trotz widriger Wetterbedingungen unter Platzstandard (Par).

Ein Zeichen, wie leicht sich der ehrwürdigste aller Golfplätze mit seinen Riesengrüns, breiten Fairways und kaum Vegetation spielt.



Zach Johnsons Gang über die Swilcan Bridge, die berühmteste Brücke der Golfwelt.

Zach Johnsons Gang über die Swilcan Bridge, die berühmteste Brücke der Golfwelt. (Bild: Keystone/FACUNDO ARRIZABALAGA)

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