Die grandiose Finalpartie des Stan Wawrinka

Es war seine Sternstunde, ein Final, den er nicht besser hätte spielen können: Stan Wawrinka bezwingt Novak Djokovic am French Open in vier Sätzen. Doch für den spätberufenen «Stanimal» ist damit noch lange nicht Schluss.

Ein gewaltiger, persönlicher Triumph für Stan Wawrinka: Mit dem Sieg am French Open erringt er seinen zweiten Grand-Slam-Titel.

(Bild: Ian Langsdon)

Es war seine Sternstunde, ein Final, den er nicht besser hätte spielen können: Stan Wawrinka bezwingt Novak Djokovic am French Open in vier Sätzen. Doch für den spätberufenen «Stanimal» ist damit noch lange nicht Schluss.

Im Internet und bei den eigenen Kollegen war er zwei Wochen lang die erste Adresse für bissigen Spott, als «Mann mit der Pyjama-Hose» oder «Unterhosen-Model». Vielleicht war Stan Wawrinka tatsächlich der am schlechtesten angezogene French Open-Spieler, aber eins war er ganz sicher, der einstige Schattenmann von Roger Federer: Der beste Mann in Paris.

Und er war am Ende der erbitterten Rutschpartien im Sand auch der über alle Massen verdiente Grand Slam-König, der sich mit einem hinreissenden 4:6, 6:4, 6:3 und 6:4-Sieg über den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic auf den Thron setzte.

Genau um 18.26 Uhr, nach drei Stunden und 12 Minuten, war das Meisterstück des Eidgenossen perfekt, der den Schläger nach dem verwandelten zweiten Matchball in hohem Bogen über den Kopf warf und dann ein paar Tränen der Rührung verdrückte. «Es ist ein Augenblick, den man für immer festhalten möchte», sagte der 30-Jährige, «ich fühle mich wie in einem Traum, wie in einem Märchen.»



Der Kampf hat sich gelohnt: Stan Wawrinka bezwingt Novak Djokovic in vier Sätzen und gewinnt damit das French Open.

Der Kampf hat sich gelohnt: Stan Wawrinka bezwingt Novak Djokovic in vier Sätzen und gewinnt damit das French Open. (Bild: Robert Ghement)

Der grösste Triumph für Wawrinka

Es war nicht weniger als der grösste Triumph für den spätberufenen Wawrinka, noch grösser als der Triumph vor 17 Monaten gegen einen körperlich maladen Rafael Nadal in der Australian Open-Finalnacht von Melbourne. Und es war zugleich die grösste Enttäuschung im Tennisleben von Novak Djokovic, jener aufs Neue gescheiterte Titelanlauf im Stade Roland Garros, der verpasste letzte grosse Sieg, der Sieg bei diesen für ihn verfluchten French Open.

Es war eer Sieg, den Djokovic mehr wollte als jeden anderen in diesem Jahr. Zwar hatte er bei diesen denkwürdigen Ausscheidungskämpfen des French Open-Jahrgangs 2015 den ewigen Champion Rafael Nadal in einem bravourösen Viertelfinal-Duell heim nach Mallorca geschickt, reif für die Insel – und doch war er der letzte und alles überstrahlende Verlierer des Turniers, er, der Mann des Jahres, der Mann der Saison, der Mann der Stunde, die souveränste Nummer 1, die man sich nur vorstellen konnte.

Djokovics Pech: Er traf in der Stunde der Bewährung und Abrechnung auf einen Gegner, der sich seinen Kosenamen «Stanimal» redlich verdient hatte. Mit tierischer Urwucht einerseits, aber auch mit hellwachem Köpfchen und eiskalten Nerven fegte er den hohen Titelfavoriten förmlich vom Platz, stürmte nach dem unglücklich verlorenen Auftaktsatz unaufhaltsam und unwiderstehlich zum Pokalgewinn.

Ein legendärer Finalauftritt

«Besser kann man es nicht spielen. Das war unmenschlich», sagte der frühere schwedische Star Mats Wilander, «ein Auftritt, den man so schnell nicht vergessen wird.» Einen legendären Finalauftritt, aber auch einen Zieldurchlauf des Dreissigers, bei dem er zum ersten Mal bei einem Grand Slam-Turnier Roger Federer im Viertelfinale geschlagen hatte, das eigene, überlebensgrosse Idol. Und dann auch noch im Halbfinale Jo-Wilfried Tsonga bezwang, die grosse französische Hoffnung. «Mit dem Selbstbewusstsein aus diesen beiden Matches bin ich ins Finale gegangen, mit breiter Brust», sagte Wawrinka, «ich glaubte an mich, in jeder Sekunde.»

Tatsächlich erinnerte nichts an diesem 7. Juni 2015 an den Wawrinka früherer Tage, an den zaudernden und zögernden Wettkämpfer, an den Mann, der in der Heimat gern als Weltmeister der verpassten Chancen abgekanzelt wurde. Zwölf Jahre nach seinem Sieg im Juniorenturnier war er nun in Paris auch der Champion bei den Grossen, einer, der sich auf dem langen Weg zum starken, sogar herausragenden Professional nie aufgegeben hatte.

«Ich habe viele Täler durchschritten, aber den Glauben an mich habe ich nie verloren», sagte der kraftvolle Athlet, der sich endgültig als zweiter Schweizer von Weltklasseformat etabliert hat. Gleich zwei Eidgenossen grüssen am Montag unter den Top 4 der Weltrangliste: Federer als Nummer zwei, der langjährige Wawrinka-Mentor, der Förderer und Berater. Und Wawrinka selbst als Nummer 4, im Gepäck den Titel dieser denkwürdigen Internationalen Meisterschaften.



Denkwürdige Siegerehrung: Novak Djokovic gratuliert Stan Wawrinka zum Sieg am French Open.

Denkwürdige Siegerehrung: Novak Djokovic gratuliert Stan Wawrinka zum Sieg am French Open. (Bild: Francois Mori)

Djokovics Rendezvous mit der Ewigkeit verhindert

Nicht einmal eine bisher klägliche 3:17-Bilanz gegen Djokovic konnte Wawrinka in seiner Überzeugung stoppen, den Frontmann an diesem Tag auszubremsen – an einem Tag, der als Djokovics Rendezvous mit der Ewigkeit gedacht war. Denn als erst achter Spieler nach Fred Perry, Donald Budge, Roy Emerson, Rod Laver, Andre Agassi, Roger Federer und Rafael Nadal hätte der 28-jährige Serbe das Kunststück schaffen können, wenigstens einmal alle vier Majortitel zu gewinnen.

Doch daran glauben konnten er und sein Cheftrainer Boris Becker nur einen Satz lang, danach zerstob die Hoffnung – und zwar mit jedem dieser monströsen Gewinnschläge, die Wawrinka mit Regelmässigkeit auf dem Roten Platz in den Sand setzte. «Stan ist ein würdiger Champion, einer mit Charakter», sagte Djokovic später unter Tränen, bei der offiziellen Siegerehrung. Minutenlang spendeten ihm die Fans tröstlichen Applaus, auch für seine Fairness in diesem heissen, spannnungsgeladenen Duell, feierten einen Verlierer, der irgendwie auch als Gewinner diese Bühne verliess.

Faktisch allerdings war das nur einer: Stan Wawrinka. Stan, the Man. Einer unter vielen in dieser neuen Tennis-Welt, der seine ganzen Kräfte und Fähigkeiten erst um die Dreissig entdeckte. Und noch nicht lange genug hat, nun, nach zwei Grand Slam-Titeln: «Ich bin glücklich, sehr glücklich mit dem, was ich erreicht habe. Aber ich will noch mehr», sagte Wawrinka, «meine Reise hat vielleicht gerade erst begonnen.»

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