Conor McGregor vereint die Gewalt einer Kampfmaschine, die Grazilität eines Tänzers und das Körperbewusstsein eines Yoga-Lehrers. Der irische Mixed-Martial-Arts-Kämpfer ist in seiner Flexibilität ein Sinnbild seiner Zeit.
Am Ende liegt Conor McGregor rücklings auf dem Boden des achteckigen Kampfkäfigs. Über ihm kniet der blutüberströmte Gegner und schlägt mit voller Wucht auf sein Gesicht ein, es ist kaum mitanzusehen, ein Hagelschlag entlädt sich über McGregor, er windet sich, will sich in Schutz bringen, kehrt seinem Gegner den Rücken zu. Das ist fatal. Er ist augenblicklich gefangen in einem «Rear Naked Choke», einem Würgegriff, der nicht den Atem abschnürt, sondern dem Gehirn das Blut und in wenigen Sekunden das Bewusstsein nimmt. McGregor klopft sofort ab, gibt auf.
Nach sieben Siegen in Folge und einem unvergleichlichen Aufstieg zum bekanntesten Protagonisten der Mixed-Martial-Arts-Szene hat er erstmals in der Ultimate Fighting Championship (UFC) verloren. Im Weltergewicht, gegen Nate Diaz, einen 30-jährigen Amerikaner.
Es war, als hätte der drei Jahre jüngere Ire McGregor in diesem entscheidenden Moment der Wirklichkeit den Rücken zugekehrt. Einer Wirklichkeit, die er in den letzten Jahren selbst geschaffen, die er herbeigeredet, immer wieder visualisiert, die er sich erkämpft hat. Doch an diesem vergangenen Samstagabend in Las Vegas hat sie ihm mit ihrem ganzen Gewicht den Blutstrom abgeklemmt.
Die Sekunden, bevor für Conor McGregor (unten) der Kampf verloren geht: Nate Diaz hat den Iren unter Kontrolle. (Bild: Keystone/ERIC JAMISON)
Noch im Dezember hatte sich «The Notorious», wie McGregor genannt wird, mit einem Knockout-Sieg nach nur 13 Sekunden gegen einen über eine Dekade lang ungeschlagenen Kämpfer zum Champion im Federgewicht (bis 65,8 Kilogramm) gekürt – und soll dabei etwa 1,3 Millionen US-Dollar pro Sekunde verdient haben. Danach war es zu viel, dass er über zehn Kilogramm zunahm – um als erster Kämpfer in der Geschichte der UFC Titelhalter in zwei Gewichtsklassen zu werden.
Im Zeichen der Deregulierung
Die Mixed Martial Arts (MMA), die gemischten Kampfkünste, begannen sich Anfang der 1990er-Jahre parallel zur Entfesselung des Kapitalismus in den USA und Grossbritannien durchzusetzen. Und auch sie standen im Zeichen der Deregulierung: In den MMA ist das ganze Arsenal an Vollkontakttechniken erlaubt und so wenig wie möglich verboten, auch wenn das Regelwerk nicht mehr ganz so knapp ist wie in den Anfängen. Es sollte sich zeigen, so die Ursprungsidee, welcher Kampfstil der effizienteste sei. Doch darum geht es heute nicht mehr. Der Sumo-Ringer tritt nicht mehr gegen den Karateka an. Es geht vielmehr um die Suche nach dem effizientesten, komplettesten MMA-Kämpfer.
Die US-amerikanische Ultimate Fighting Championship (UFC) ist die wichtigste und erfolgreichste Organisatorin und Promoterin von MMA-Kämpfen. Und Conor McGregor ihr bislang grösster Star. Einige behaupten, dass die UFC dem Boxen in punkto Popularität und Profit bald den Rang ablaufen wird. Zum Vergleich: Der Boxkampf zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao hat die Rekordzahl von 4,4 Millionen Pay-Per-Views erreicht, McGregors Titelkampf vom Dezember 1,2 Millionen.
Einmarsch des Exzentrikers: Conor McGregor kurz bevor seinem Kampf gegen Nate Diaz. (Bild: Keystone/ERIC JAMISON)
Der Ire spielt bei der Entwicklung seiner Kampfsportart eine wichtige Rolle. Er ist das Vehikel, das die UFC endgültig in den Mainstream hieven soll.
Und McGregor ist ein vorzügliches Beispiel für die Idee des Ökonomen Adam Smith, dass die Allgemeinheit vom Egoismus des Einzelnen profitiert: Keiner geht ähnlich ruchlos seinen eigenen Weg wie McGregor: «Ich bin mein eigener Herr, und ich bin auf meinem eigenen Weg», wie er oft genug und gerne betont.
Gerade dadurch verschafft er der UFC und ihren Kämpferinnen und Kämpfern nie gekannte mediale Aufmerksamkeit und Pay-Per-View-Zahlen. «Ich habe in diesem Spiel mehr Millionäre gemacht als irgendjemand sonst», flachste er in einem CNBC-Interview kurz vor seinem jüngsten Kampf. Wer gegen McGregor antritt, verdient gutes Geld. Nicht zuletzt, weil den Kämpfern ein fixer Anteil US-Dollar pro zahlendem TV-Kunden in die eigene Tasche fliesst.
Gewalt und Grazilität
Jede Zeit bringt ihre spezifischen Formen der Unterhaltung, des Wissens und der Arbeit hervor – und auch ihre spezifischen Körper. Und vielleicht ist es so, dass körperliche Gesten und Bewegungen mehr über die jeweilige Zeit aussagen, als es die Sprache kann.
McGregor verkörpert den flexiblen Menschen im Spätkapitalismus auf sinnbildliche Weise: In ihm steckt nicht nur die Gewalt einer Kampfmaschine, in ihm steckt auch auch die Grazilität eines Tänzers, die Körperbeherrschung eines Kunstturners und das Körperbewusstsein eines Yoga-Lehrers.
Szenen des letzten Kampfes Conor McGregors. Der 27-Jährige trifft Nate Diaz am Kopf. (Bild: Keystone/ERIC JAMISON)
In seinem Sport, der für McGregor kein Sport ist, sondern «etwas Reineres», muss er sowohl völlig auf der Hut als auch bereit sein, volles Risiko einzugehen – und das pausenlos. Er muss jede Möglichkeit zum Erfolg gnadenlos ausnutzen und darf keine Angriffsfläche bieten – in keinem anderen Sport hat ein Fehler fatalere Konsequenzen als in den MMA.
McGregor boxt, kickt und ringt in einer Mischung aus Kampfroutinen und -techniken, die ganz neue, nie gesehene Bewegungen entstehen lässt. Sein Aufwärmprogramm ist schon jetzt legendärer Stoff, von Avantgarde ist die Rede. «Ich liebe es, mich zu bewegen», erklärte er dem GQ-Magazin, «die Energie, die ich ziehe aus meiner Art, wie ich mich bewege, die Kontrolle, die ich erlange, weil ich meinen Körper wahrnehme und weiss, wie er funktioniert» – McGregor versteht sich nicht als einer, der einen Kampfstil ausführt. Er führt Bewegungen aus.
Bewegung von Körpern und Kapital
Es ist ein energetisches Konzept, in dem alles in ständigem Fluss ist: Es sei ein Mangel an Energie und Effizienz gewesen, der ihm den Sieg gegen Diaz gekostet habe – und nicht etwa ein Schlag oder Griff, der ihm im Repertoire gefehlt hätte.
Bezeichnenderweise setzt McGregor die Bewegung des Körpers in Beziehung zur Bewegung von Kapital: «Mich zu bewegen, motiviert mich. Und mich motiviert Geld. Und die Bewegung von Geld.»
Alles ist eine Frage der Flexibilität, der Balance zwischen Beweglichkeit und Kraft und völliger Kontrolle über Körper und Kopf: «Du musst schlagen können, treten, raufen und ringen. Aber für mich spielt sich so vieles davon im Kopf ab, im Gefühl, die totale Kontrolle über den dich umgebenden Raum zu haben, und jeden Moment zu wissen, was zu tun ist.»
Zukunft als Obsession
McGregor hat sich einen Namen gemacht als «Mystic Mac» – in Anlehnung an «Mystic Meg», Grossbritanniens populärste Astrologin –, weil er wiederholt korrekt vorausgesagt hat, wie und wann er seine Gegner niederstrecken wird. Die Erfindung der Zukunft sei der beste Weg, um sie zu kontrollieren, sagt er in einer ihm gewidmeten und sehenswerten Doku-Serie.
Im Käfig, der die Welt der Mixed Martial Arts bedeutet. (Bild: Keystone/ERIC JAMISON)
So, wie McGregor die Zukunft denkt, so rechnet der Kapitalismus mit ihr. Es erstaunt nicht, dass die Zukunft für McGregor zur Obsession geworden ist. Als früherer Sanitärinstallateur gehörte McGregor in Dublin zum Prekariat; einer Gesellschaftsschicht, die kaum Möglichkeiten hat, sich eine bessere Zukunft zu erarbeiten. Auch mit seinem exquisiten Kleidungsstil grenzt sich McGregor markant davon ab.
Im Überlebenskampf
Jede Zeit bringt auch das hervor, was sie verdient. Im Oktagon der MMA-Kämpfe entblösst sich das survival of the fittest auf bislang ungekannt ungeschönte Art. Der Käfig ist der Marktplatz, auf dem der Überlebenskampf stattfindet. Und es ist ein brutales, reizvolles Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Nie ist ganz klar, ob der trash talk im Vorlauf zu den Kämpfen nun doch echt ist, ob die Kämpfe aus echter Aggression geführt werden oder ob es nur Schauspiel ist. Im Grunde funktioniert unser meritokratisches Gesellschaftssystem ganz ähnlich: Wir wissen nie eindeutig, ob wir uns nun in einer fantastischen Fiktion oder einer ruchlosen Realität aufhalten.
McGregor jedenfalls ist überzeugt, dass sich harte Arbeit auszahlt – wenig überraschend baut er auf eine der letzten grossen Erzählungen, die unserer postmodernen Gesellschaft noch bleiben. Es ist aber keine Ethik der Arbeit, die der Motor dieser Erzählung ist. Es ist schlichte, kalte Professionalität. UFC-Kämpfer sind Hochleistungssportler, und nicht rüpelhafte Strassenkämpfer, als die sie gerne dargestellt werden.
Das Ende einer Wirklichkeit
Mit McGregors erster Niederlage in der UFC findet eine Wirklichkeit ihr vorläufiges Ende, die dadurch entstand, dass ein Individuum sich selbst mit voller Kraft und unbändigem Selbstbewusstsein zum Zentrum gemacht hat.
Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Gerade in einer Zeit und Verwertungslogik, in der wir alle vermeintlich vor die Aufgabe gestellt sind, ein vortreffliches Bild von uns selbst zu entwerfen. Eine Zeit, in der Reputation wichtiger scheint als Qualifikation.
Vielleicht ist McGregors Weg heute deshalb so faszinierend, weil wir ihm dabei zusehen können, wie er seinen Entwurf im puren Kampf erfüllen muss. In diesem Sinne hat seine Niederlage eine ikonoklastische Qualität, die auch das ungläubige Staunen erklärt, das sich nach dem Kampf vielstimmig in den sozialen Medien artikulierte.
«Erlittenes Ungemacht sollte man feiern, weil du daran wächst und es dich stärker macht», sagte McGregor in einem Interview kurz nach dem verlorenen Kampf. «The Notorious» wird wohl zurück ins Federgewicht wechseln, und dort weiterkämpfen. Um Titel. Und um Geld.