Die Grenzen für diesen FC Basel sind sehr weit gesteckt

Grosses Fussballkino in Basel: Der FCB schlägt den englischen Rekordmeister Manchester United sensationell mit 2:1 (1:0) und steht in den Achtelfinals der Champions League, die am 16. Dezember ausgelost werden. Die Geschichte und die Bilder zum Spiel.

Die beiden Routiniers haben es für den FCB gerichtet: Torschützen Frei und Streller (Bild: Keystone)

Grosses Fussballkino in Basel: Der FCB schlägt den englischen Rekordmeister Manchester United sensationell mit 2:1 (1:0) und steht in den Achtelfinals der Champions League, die am 16. Dezember ausgelost werden. Die Geschichte und die Bilder zum Spiel.

Wohin mit all den Gefühlen und den Gedanken, gerade das Unvorstellbare zu erleben? In der 78. Minute versandet ein weiteres Mal einer der ungezählten Anläufe, die Manchester United unternommen hat. Der Ball rollt in die andere Richtung, und Wayne Rooney, der ihn verloren hat, hebt das Trikot und versteckt sein Gesicht darin. Es ist eine Szene mit Symbolcharakter, weil sie schon resignative Züge trägt.

Im St.-Jakob-Park herrscht zu diesem Zeitpunkt eine merkwürdige Atmosphäre. Die Muttenzerkurve unentwegt singend, der Rest der 36’000 Zuschauer, die englischen eingeschlossen, noch ungläubig. Es bahnt sich eine der grössten Überraschungen an, die der europäische Clubfussball in jüngster Vergangenheit erlebt hat. Der Schweizer Meister ist auf dem Weg, den Rekordmeister von der Insel, der Finalisten vom Mai 2011, aus der Champions League zu werfen.

Teil eins des grossen Basler Fussballkinos

Die Basler haben bis dahin an einem perfekten Drehbuch gearbeitet. Sie lassen sich in den ersten Minuten dominieren von einem sehr konzentriert auftretenden Manchester United, das zu erkennen gibt, dass es weiss, was auf dem Spiel steht. Und mit dem ersten zügigen Angriff, ausgehend von Fabian Frei und Markus Steinhöfer, erzielt der FCB die frühe Führung. Xherdan Shaqiri erläuft nicht zum letzten Mal an diesem Abend mit grossem Einsatz einen abgewehrten Ball, passt scharf zur Mitte, wo Torhüter David de Gea ungenügend mit dem Fuss interveniert.

Aus dieser Situation macht Marco Streller Teil eins des grossen Fussballkinos, das sich am Mittwoch abspielt. Seine Volleyabnahme schlägt aufsetzend hoch ins Netz ein. In Basel werden Erinnerungen wach an andere grosse Europacup-Nächte, ebenfalls gegen Mannschaften von der Insel. Diese Kräftemessen scheinen wie geschaffen für epische Erzählungen. Das 3:3 nach 3:0-Halbzeitführung gegen Liverpool 2002, das damit verbundene Weiterkommen in der Champions League. Und das darauf folgende 1:3 gegen eben dieses Manchester, nach einem Führungstor nach 32 Sekunden und dem Einbruch in der zweiten Halbzeit innert sieben Minuten.

Das lange Warten auf die Schlusspointe

All das kommt in den Sinn, und es sind erst neun Minuten gespielt und noch lange hin bis zur Schlusspointe. Jeder Versuch von Manchester, den Basler Riegel zu überwinden, scheint das Publikum in Bann zu schlagen. Bis zum Schluss hält eine fast ehrfürchtige Haltung auf den Rängen Bestand, dass es doch noch jenen Moment über die Rotblauen hineinbrechen könnte. Manchmal wirken die Ballpassagen der Engländer wie ein Überzahlspiel im Eishockey oder das geduldige Umkreisen im Handball. Doch es passiert nicht. Rooney als einzige Spitze bleibt stumpf, Young wird von Steinhöfer gezähmt, Nani findet das Tor auch nicht, und Ryan Giggs’ Pässe finden den Adressaten kaum einmal.

Unter dem Strich sind die wirklich guten Chancen von ManU an einer Hand abzuzählen. Im ersten Druchgang hat Ju-Sung Park die beste, doch er kommt nicht richtig hinter den Ball, und Yann Sommer hält. 53 Prozent Ballbesitz für Manchester weist die Statistik der Uefa bei Seitenwechsel aus. Gefühlt scheint es mehr. Kurz vor dem Seitenwechsel scheidet Captain Nemanja Vidic aus. Streller fällt im Zweikampf auf sein rechtes Knie. Es sieht nach einer schweren Verletzung aus.

Der FCB mit dem Glück im Bunde

Schon das Zwischenresultat zur Pause ist ein Achtungserfolg einer Mannschaft, deren Grenzen in dieser Saison sehr weit gesteckt zu sein scheinen. Mit welcher Abgeklärtheit sie die zweite Halbzeit gestaltet, macht auch auf den Gegner Eindruck. Fast wütend sind die ersten Versuche von Manchester, doch der Ausgleich rückt kaum in greifbare Nähe. Im Gegenteil: Mit jedem abgefangenen Ball, mit jedem Ball, den die Basler aus der Gefahrenzone stochern, wächst der Glaube an die Sensation. Und als Markus Steinhöfer der Ball an die Lattenunterkante des eigenen Tore springt, ist eines auch klar: Der FCB steht an diesem Abend mit dem Glück im Bunde. Das ist Hilfe von ganz oben, die FCB-Trainer Heiko Vogel tags zuvor als nötige Zutat für etwas ganz Grosses bezeichnet hatte. 

Die Zuschauer jenseits der Muttenzerkurve erheben sich zehn Minuten vor dem Ende von ihren Sitzen, klatschen stehend, während der FCB mit seiner Ziehharmonika-Taktik wieder einen seiner Nadelstiche setzt. Shaqiri flankt von der rechten Seite, Streller erwischt den hohen Ball nicht, doch weit hinten, am zweiten Pfosten, lauert einer, der bis auf einen prächtig parierten Freistoss wenig zur Geltung gekommen ist zwischen den hünenhaften Verteidigern. Alex Frei hechtet in die Flugbahn des Balles und lenkt ihn mit dem Kopf ins Tor.

Der St.-Jakob-Park steht Kopf. Heiko Vogel, der dem «Tagesanzeiger» vor dem Spiel gesagt hatte, dass er durchdrehen würde, falls der FCB gewinnt, rudert energisch mit den Armen, um wild jubelnde Spieler, Reservisten und Betreuer aus der Jubeltraube zurückzubeordern. Dann trifft Manchester in der 89. Minute doch noch. Der Schiedsrichter pfeift nach drei Extra-Minuten ab – und Heiko Vogel dreht nicht durch. Er schlägt die Hände vors Gesicht, läuft aufs Spielfeld, umarmt als erstes Shaqiri, dreht sich um, geht auf Alex Ferguson zu, der ihm die Hand reicht: «Gratulation und viel Glück im Achtelfinal.» Der Rest des Abends sind grosse Emotionen.

Die Superlative überlässt Vogel anderen

Was sagen nach dem wertvollsten Erfolg in der Basler Europacup-Geschichte? «Ich kann es noch gar nicht fassen», sagt Heiko Vogel. Seit 56 Tagen ist er ad interim der Cheftrainer des FC Basel. Und mit dem Selbstverständnis, mit dem die Clubführung ihm aus tiefer Überzeugung das Vertrauen geschenkt hat, mit diesem Selbstverständnis führt Heiko Vogel eine Mannschaft, die die Klasse und Reife besitzt, einen der grössten Clubs der Welt aus dem wichtigsten Wettbewerb zu werfen. «Ich bin unglaublich stolz auf meine Mannschaft», sagt Vogel, «sie hat Aussergewöhnliches geleistet, taktisch, mental und physisch. Das ist verdient, für das, was wir investiert haben.» Die Superlative möchte er anderen überlassen.

Die eigentliche Sensation ist für den Trainer die Art und Weise, wie seine Mannschaft diese Champions-League-Kampagne bestreitet. Der zweite Platz in dieser Gruppe war ein Traum. Dass er auf Kosten von Manchester United wahr wurde, wird Stoff für einen Mythos liefern, der sich um den FC Basel des Jahres 2011 ranken wird.

Sir Alex adelt Frei und Streller

Und das grosse Manchester? Wird im Frühjahr donnerstags Europa League spielen müssen, einen Wettbewerb, den der Club nur vom Hörensagen kennt. «Das ist die Strafe dafür, dass wir uns nicht qualifiziert haben», sagt Alex Ferguson und seine Nase leuchtet noch etwas röter als üblich. «Wir sind sehr enttäuscht. Was kann man mehr sagen? Wir müssen damit umgehen.» Verspielt hätten sie es schon mit dem 3:3 in Old Trafford. Schwer sagen, meint der Sir noch, was für den FC Basel in den Achtelfinals möglich ist. «Ich kann es nicht richtig beurteilen. Aber mit zwei Stürmern wie Streller und Frei hat man immer eine Chance.»

In diesen Achtelfinals wird der FCB als Gruppenzweiter auf einen der acht Gruppensieger treffen: auf Bayern München, Inter Mailand, Real Madrid, Arsenal London, FC Barcelona, FC Chelsea oder auf das verblüffende Apoel Nikosia. Benfica als Erster der Basler Gruppe ist ausgeschlossen als möglicher Gegner. Die Partien werden auf acht Termine verteilt sein: Die Hinspiele am 14., 15., 21. und 22. Februar, die Rückspiele am 6./7. und 13./14. März. Ausgelost wird am Freitag, 16. Dezember.  

 

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