Die Grössten am Brett

Zahlreiche Legenden haben das Schach-Spiel geprägt, seit 1851 in London das erste grosse Turnier ausgerichtet wurde. Magnus Carlsen ist nun auf dem besten Weg, der 18. Weltmeister zu werden. Unser Autor trifft seine subjektive Auswahl der zwölf bedeutendsten Schachspieler – neben der Leistung am Brett zu ihrer Zeit spielen in der Wertung auch ihr Beitrag zur Entwicklung des Denksports und ihr Charisma eine Rolle.

José Raùl Capablanca (1888-1942)

Zahlreiche Legenden haben das Schach-Spiel geprägt, seit 1851 in London das erste grosse Turnier ausgerichtet wurde. Magnus Carlsen ist nun auf dem besten Weg, der 18. Weltmeister zu werden. Unser Autor trifft seine subjektive Auswahl der zwölf bedeutendsten Schachspieler – neben der Leistung am Brett zu ihrer Zeit spielen in der Wertung auch ihr Beitrag zur Entwicklung des Denksports und ihr Charisma eine Rolle.

1. Garri Kasparow (geboren 1963)

«Das Ungeheuer von Baku» entthronte 1985 Anatoli Karpow als Weltmeister und verteidigte bis 2000 den Titel – sorgte aber 1993 für eine Abspaltung vom Schach-Weltverband Fide. Nach seiner Niederlage gegen Wladimir Kramnik blieb der Russe bis zu seinem Rücktritt 2005 die Nummer eins der Weltrangliste. Kasparow stellt sich in seinem Heimatland Wladimir Putin entgegen und will Fide-Präsident werden – viele lehnen das ab, weil der 50-Jährige sich oft genug als cholerischer Despot entpuppt hat. Wegen der Probleme mit Putin beantragte Kasparow am 6. November auch den lettischen Pass. Am Brett entwickelte der Ausnahmekönner wie kein Zweiter die Eröffnungstheorie – litt aber auch unter den Computer-Geistern, die er rief: Als erster Weltmeister unterlag der Russe 1997 dem IBM-Rechner Deep Blue in einem millionenschweren Zweikampf.

2. Robert James Fischer (1943-2008)

Carlsen erhöht auf 6:3

Auch die neunte Partie geht an der Schach-WM im indischen Chennai an den Herausforderer Magnus Carlsen. Schon heute, Freitag (ab 10.30 Uhr MEZ), kann der Herausforderer den letzten nötigen halben Punkt holen, um Viswanathan Anand zu entthronen.
Unter anderem auf der WM-Webseite kann man die Partien live verfolgen, vertieft geht es beim  Schach-Software-Konzern Chessbase zu und bei Sportal.de ist der Ticker auch jenen verständlich, die keine Grossmeister sind.

Der Spielplan
Die Liste der Weltmeister

Bobby Fischer 2005 in Island.

Bobby Fischer 2005 in Island. (Bild: Keystone/KATSUMI KASAHARA)

Kein anderer Grossmeister brachte den Denksport so in die Schlagzeilen wie Bobby Fischer: Im «Kampf des Jahrhunderts» 1972 bezwang der Einzelgänger Weltmeister Boris Spasski und die ihn unterstützende geballte Sowjet-Macht. Das Match der Systeme – Ost gegen West, USA gegen UdSSR – machte Fischer noch nervenaufreibender, indem er wegen ihm nicht passender Rahmenbedingungen die erste Partie kampflos abgab und die zweite durch einen bis heute immer wieder analysierten Patzer verlor. Dank einer unglaublichen Serie von 19 Siegen in Folge gegen hochkarätige Gegner hatte sich Fischer für die WM qualifiziert und seine Weltranglistenzahl auf 2780 Elo getrieben. Das wäre ohne die Elo-Inflation über die Jahrzehnte bis heute ein Rekord. Fischer drehte nach seinem WM-Sieg durch und spielte nie mehr – bis zu seinem «Revanche-Match» 1992 gegen Spasski, das die Organisatoren im auseinanderfallenden Jugoslawien in den Kriegsjahren zur Propaganda nutzten und dafür gerne Millionen zahlten. Weil ihn danach die USA verhaften wollten, flüchtete Fischer nach Island, wo er ob seiner Verdienste von 1972 Asyl bekam. Dort starb Fischer im Januar 2008 – kein anderer Schachspieler hat so viele Verehrer wie der Amerikaner.

3. José Raùl Capablanca (1888-1942)

Der Kubaner war das erste Wunderkind und erster Superstar mit Glamour-Faktor. Der vor 125 Jahren geborene José Raúl Capablanca wurde bereits mit zwölf Landesmeister. 1911 in San Sebastian feierte der Unbekannte seinen internationalen Durchbruch. Die «Schachmaschine», die kaum Fehler machte und so wenige Partien wie kein anderer Grossmeister verlor, wurde 1921 Weltmeister. 1927 unterlag er überraschend Alexander Aljechin, der ihm aus gutem Grund nie eine Revanche gönnte. Kuba ernannte den Salonlöwen zum Diplomaten, was ihm ein sorgenfreies Leben garantierte. Capablanca starb bereits mit 54 Jahren an einem Schlaganfall. Der Kubaner erzielte eine historische Elo-Zahl (diese gab es zu seinen Zeiten noch nicht) von 2877 – mehr als Magnus Carlsen heute hat.

Vor Magnus Carlsen: Wo kommen die 17 Schach-Weltmeister seit 1886 her? Zur interaktiven Karte der Schwäbischen Zeitung:

4. Anatoli Karpow (geb. 1951)

Nach dem Russen, der nach eigener Zählung weit über 150 Turniere und Zweikämpfe in seiner Karriere gewann, ist sogar ein Komet benannt. Anatoli Karpow kam 1975 kampflos auf den WM-Thron, weil Fischer nicht antrat. Bis 1985 und von 1993 bis 1999 war er FIDE-Weltmeister (wegen der Titelabspaltung seines Bezwingers Kasparow). In legendären Kämpfen schlug Karpow 1978 und 1981 den aus der Sowjetunion geflüchteten Viktor Kortschnoi. Karpow spielt seit Jahren nur noch gelegentlich Schaukämpfe oder ein, zwei Partien in der deutschen Bundesliga. Jüngst verpasste der 62-Jährige beim «Karpov Cup» im französischen Cap d’Agde einen weiteren Turniersieg und verlor erst im Finale gegen den Franzosen Etienne Bacrot.

5. Emanuel Lasker (1868-1941)

Der Mathematiker und Philosoph aus Berlinchen war so lange Weltmeister wie kein anderer: Von 1894 bis 1921 hielt sich Emanuel Lasker auf dem Thron. Der Deutsche erfand auch andere Spiele und galt als Pragmatiker und gewiefter Psychologe, der die Konkurrenten mit für sie unangenehmen Partie-Stellungen konfrontierte. Während seiner Zeit in den USA diskutierte Lasker häufiger mit seinem Bekannten Albert Einstein physikalische Probleme. Seine historische Elo-Zahl lag mit 2878 auch über der von Carlsen.

6. Alexander Aljechin (1892-1946)

Das Kombinationsgenie überraschte 1927 Capablanca mit seiner besseren Vorbereitung auf die WM und setzte sich in Buenos Aires mit 6:3 durch (bei 25 Unentschieden). Der Russe war ein schwieriger Charakter und kooperierte trotz seiner Internierung zu Beginn des Ersten Weltkrieges, der während des Turniers in Mannheim 1914 ausbrach, später mit Nazi-Deutschland. Der Grossmeister mit französischem Pass blieb auch wegen des Zweiten Weltkriegs bis 1946 Weltmeister. Dann starb er mit 54 im portugiesischen Estoril.

7. Wilhelm Steinitz (1836-1900)

Der erste Weltmeister: Wilhelm Steinitz, hier 1880 in Havanna am Brett mit Michail Tschigorin.

Der erste Weltmeister: Wilhelm Steinitz, hier 1880 in Havanna am Brett mit Michail Tschigorin. (Bild: Sammlung Mädler)

Der gebürtige Prager gewann 1886 die erste offizielle WM gegen Johannes Zukertort. Steinitz ging revolutionär wie bis dahin keiner an die Schachtheorie heran und verteufelte die bis dahin dominierenden riskanten Opfer-Orgien und -Angriffe. Mit solider Verteidigung schlug er die «Romantiker». Die von ihm formulierten strategisch-positionellen Grundsätze gelten bis heute, zuweilen übertrieb er seine Dogmen jedoch auch, indem er zum Beispiel die «starke Figur König» zu früh ins Schlachtengetümmel warf. 1894 unterlag Steinitz dem jungen Lasker.

8. Adolf Anderssen (1818-1879)

Der Professor für Mathematik gewann das erste offizielle Schachturnier 1851 in London. Adolf Anderssen galt fortan als inoffizieller Weltmeister. Der Breslauer spielte fantastische Opfer-Partien, die noch heute Spieler aller Klassen begeistern. Sie tragen blumige Namen wie «Die Unsterbliche» oder «Die Immergrüne».

9. Viswanathan Anand (geb. 1969)

Der Inder ist seit 2007 alleiniger Weltmeister. Bereits in den 90er Jahren begeisterte «Speedy Gonzales», wie er wegen seiner früher kaum verbrauchten Bedenkzeit auch genannt wurde, besonders im Schnell- und Blitzschach. Der Brahmane machte Schach, dessen Ursprünge vom indischen Tschaturanga stammen, zum Nationalsport in seiner Heimat.

10. Michail Botwinnik (1911-1995)

Der Übervater der sowjetischen Schachschule baute diese auf und dominierte sie. 1948 gewann er den vakanten Titel nach dem Tod Aljechins und verteidigte diesen bis 1957. Der akribische Wissenschaftler Botwinnik bereitete sich auf Revanchekämpfe besonders gut vor und holte als einziger Weltmeister den Titel zurück Das Kunststück gelang ihm 1958 und 1961, wonach er jeweils zwei weitere Jahre Weltmeister blieb.

11. Viktor Kortschnoi (geb. 1931)

Kortschnoi

Kortschnoi

Der gebürtige Russe ist der einzige Spieler in dieser Liste, der nie als die absolute Nummer eins seiner Zeit galt. Er war zur falschen Zeit geboren – und stand so hinter Karpow, dem er zweimal bei der WM unterlag. Der 1991 im aargauischen Wohlen eingebürgerte Kortschnoi fungierte aber bis vor kurzem als «Wundergreis», der selbst mit über 70 Jahren noch mit der Weltklasse mithielt und dem Nachwuchs die Grenzen aufzeigte. Nach einer schweren Erkrankung wird der 81-jährige Aargauer aber nicht mehr ans Brett zurückkehren.

 

12. François-André Danican Philidor (1726-1795)

Der Komponist war der erste Vordenker des Schachspiels. Es gibt unter anderem die nach ihm benannte Philidor-Verteidigung. In seinem Buch «L’Analyse des Echecs» von 1749 formulierte der Franzose zahlreiche Lehrsätze. Bis heute berühmt ist «Die Bauern sind die Seele des Spiels».

Die Elo-Zahl

Die Elo gibt seit 1970 die Spielstärke von Schachspielern an. Der Ungar Arpad Elo entwarf dieses mathematische System, um die Leistungen der Akteure in Zahlen zu giessen. Magnus Carlsen führt mit 2870 Elo die Weltrangliste an. Auf Rang zwei folgt der Armenier Lewon Aronjan mit 2801 Elo. Weltmeister Viswanathan Anand steht mit 2775 nur auf Position acht.

Rund 80 Elo Differenz bedeuten einen Leistungsunterschied von etwa zehn Prozent. Das bedeutet, dass Carlsen den Weltmeister mit 6,5:4,5 schlagen muss, will er keine Elo-Punkte verlieren. Bei einem höheren Sieg nimmt der Norweger Anand Elo ab, bei einem knapperen Ergebnis legt die Elo-Zahl des Inders auf Kosten des Herausforderers zu.

Um Grossmeister des Schach-Weltbandes FIDE zu werden, muss der Anwärter bei drei Turnieren besonders überzeugen und mindestens einmal 2500 Elo erreichen. Ein Internationaler Meister benötigt 2400 Punkte, ein FIDE-Meister 2300 Elo, um den Titel zu bekommen.

Die Elo-Inflation hat zu einer Flut an Titelträgern geführt. Die schwächeren Spieler, die oft zu hoch einstiegen in das System, gaben ihre Elo-Punkte nach oben an die Spitze ab. Die 2780 Elo von Bobby Fischer aus dem Jahre 1972 gelten daher bis heute als das Nonplusultra. Fischer musste 19 Siege in Folge gegen Weltklasse-Grossmeister erringen, um die astronomische Zahl zu erreichen – damals gab es nur fünf Grossmeister über 2600 Elo.

Heute haben die ersten 100 der Weltrangliste alle über 2650 Elo und 49 über 2700. Der beste Schweizer, Vadim Milov von Vizemeister SG Riehen, weist aktuell 2618 Elo auf und ist damit die Nummer 172 der Aktiven. Yannick Pelletier (SG Zürich) steht mit 2575 Elo auf Position 302 der Weltrangliste.

Die Nationalen Wertungszahlen in vielen Ländern sind der Elo ähnlich. Sie erfassen aber auch wie in der Schweiz Anfänger und schwächere Vereinsspieler. Früher rückte man erst mit 2200 Elo in die Weltrangliste der FIDE auf. Diese Grenze wurde inzwischen nach unten abgesenkt.

Das Elo-Ratingsystem wurde von anderen Sportarten adaptiert und führte zum Beispiel im deutschen Tischtennis binnen drei Jahren zu einem regelrechten Statistik- und Zahlen-Hype um die Spielstärke.

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