Die Hand des Märtyrers

Das Schweizer Tennismärchen in Melbourne scheint in greifbarer Nähe. Wenn am Freitag Roger Federer gegen Rafael Nadal triumphiert, stehen zwei Schweizer im Final des Australian Open. Nadal hat im Halbfinal noch einen weiteren Gegner: seine linke Hand.

Eis für die Wunde – Rafael Nadals geplagte Hand. (Bild: Keystone/Andrew Brownbill)

Das Schweizer Tennismärchen in Melbourne scheint in greifbarer Nähe. Wenn am Freitag (ab 9.25 Uhr auf SRF2) Roger Federer gegen Rafael Nadal triumphiert, stehen zwei Schweizer im Final des Australian Open. Nadal hat im Halbfinal noch einen weiteren Gegner: seine linke Hand.

Gibt es jemanden, der mit einer Hand wie dieser Leistungssport treiben kann? Extremtennis bei einem Grand Slam-Turnier, über drei, vier Stunden gegen die Besten der Welt, auch gegen einen wie Roger Federer? «Natürlich», sagt Roger Federer, «wenn es einen gibt, dann ist es Rafael Nadal.» Jener Matador und Schmerz-Weltmeister also, der am Freitagmorgen im Halbfinal der Australian Open anzutreten hat gegen Federer.

Es ist schon schlimm genug, sich diese linke Nadal-Hand anzuschauen, eine Schlaghand, die von Schwielen und Hornhaut übersät ist, eine Hand, deren Finger mit Bandagen umwickelt sind, eine Hand, deren Innenfläche eine blutige, abgescheuerte Wunde ziert. Gut einen Zentimeter groß – und das peinvolle Resultat einer Blase, die immer wieder aufplatzt, weil sie im Kampfgetümmel dieses Turniers nie wirklich heilen kann.

«Schmerzen sind sein täglicher Begleiter.»


Toni Nadal,
Rafael Nadals Trainer und Onkel

Es kann wirklich nur Nadal sein, dieser Beherrscher und Verdränger der Qualen, der nicht aufgibt mit einer Hand wie dieser, einer Hand, die mit dem gewohnten Pathos in spanischen Boulevardblättern schon als «Hand des Märtyrers» beschrieben wird. «Ich habe bei jedem Aufschlag das Gefühl, als fliege mir der Schläger aus der Hand. Mit den Verbänden an der Hand habe ich weniger Kontrolle über mein Spiel», sagt Nadal, «darunter leidet auch ein bisschen das Selbstvertrauen. Du weisst halt, dass du um jeden Ball bis zum Umfallen kämpfen musst.»

Auch sein Knie konnte ihn nicht stoppen

Doch weitermachen will er trotzdem. Bis zum Sonntag am liebsten, bis zum zweiten Sieg in Melbourne. Auch, weil er die Schmerzen und das Schinden kennt wie kein zweiter im Tennis. «Ich behaupte, dass es keinen anderen Spieler gibt, der solche Schmerzen wegstecken kann wie Rafa», sagt sein Onkel und Trainer Toni Nadal, «er spielt seit frühester Jugend immer wieder mit Schmerzen. Und er wird auch bis zum Ende seiner Karriere Schmerzen haben. Schmerzen sind sein täglicher Begleiter.»

Schmerzen hatte Nadal in den vergangenen Jahren meist im linken Knie, so sehr, dass er auch längere Zwangspausen einlegen musste, so wie vom Juli 2012 bis zum Februar 2013. Aber alle, die ihn wegen seiner körperlichen Gebrechen wieder und wieder abschrieben, hat der bullige Fighter eines Besseren belehrt.

Vor einem Jahr war das nicht anders. Als Nadal nach der siebenmonatigen Auszeit in den Tourbetrieb zurückkehrte, war auch die Skepsis bei ihm, dem notorischen Abwiegler und Beschwichtiger, durchaus gross. Aber längst nicht so gross wie bei vielen Experten und Ex-Stars des Wanderzirkus.

Nadal stürmte von Sieg zu Sieg

Nadal, so hiess es, könne froh sein, wenn er sich in den Top 5 hielte, wenn er noch einmal in Reichweite eines Grand Slam-Titels geriete. Was passierte, war dies: Nadal stürmte von Sieg zu Sieg, er gewann die French Open zum achten Mal, was noch keinem anderen Spieler bei keinem anderen Grand Slam überhaupt gelang. Er triumphierte auch bei den US Open, auf einem Hartplatz, der seinem lädierten Knie nicht gerade gut tut. Und er wurde die Nummer 1, der Meister aller Klassen sozusagen.

Das alles ging nicht schmerzfrei ab, aber Nadal kann leiden für den Sieg. So sehr, dass es manchmal weh tut beim Blick auf ihn.

«Ich tippe auf Federer. Aber bei Nadal weiss man nie.»


Boris Becker

Boris Becker, der ins Tennisgeschäft zurückgekehrte Chefanweiser von Novak Djokovic, kennt selbst Schmerzen zur Genüge. Dazu muss man ihn nur einmal beim Gehen beobachten, den dreimaligen Wimbledon-Champion, beim Gehen, das eher an ein Humpeln erinnert dank malader Hüften und Sprunggelenke.

«Was Nadal da erträgt, ist auch für mich kaum vorstellbar», sagt Becker, «mit einer Hand wie dieser hätte ich nicht mehr spielen können.» Ob dieser Nadal mit dieser Hand Federer stoppen könne? Becker sagt: «Ich glaube es nicht, ich tippe auf Federer. Aber bei Nadal weiss man nie.»

Nadal und Nadal bis zum Ende

 «Tapferkeit, dein Name ist Nadal», hat der Australier Pat Cash, Wimbledonsieger von 1987, gerade über den Spanier gesagt. Damit hat er allerdings die Schmerzresistenz von Nadal gemeint – und nicht etwa den Umstand, dass der Weltranglisten-Erste gerade ohne einen der Altherren-Superstars auskommen muss, inmitten der «Fedbergs», «Beckovics» oder «Lendurrays».

Nadal fühlt sich mit Nadal gut genug, Neffe und Onkel, das eingespielte Team. Früher, jetzt, bis zum Ende der Karriere wohl auch. Einer Karriere, die zuletzt mit einem verblüffenden Comeback begeisterte, aus dem Un-Ruhestand des Langzeitverletzten zurück auf den Gipfel. «Das alles ist wie ein Traum für mich», sagt Nadal. Ein Traum, den selbst der Albtraum der dauernden Qualen und Schmerzen nicht zerstören konnte.

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