Die Hoffnung auf einen grossen Coup

Die Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich, die heute beginnen, haben in der Schweiz zu einem erstaunlichen Revival der Basissportart geführt.

Mit Akkuratesse: Vorbereitung der Laufbahn im Letzigrund für die Leichtathletik-Europameisterschaft in Zürich vom 12. bis 17 August. (Bild: Keystone/STEFFEN SCHMIDT)

Die Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich vom 12. bis 17. August haben in der Schweiz zu einem erstaunlichen Revival der Basissportart geführt.

27 Frauen und 25 Männer – mehr Leichtathleten haben die Schweiz noch nie an einem internationalen Grossanlass vertreten. Wenn am Dienstag in Zürich die Europameisterschaften der Leichtathleten eröffnet werden, ist damit ein Ziel bereits erreicht: die Sportart in der Schweiz zahlenmässig voranzubringen und wieder populärer zu machen.

Zürich 2014
Die Leichtathletik-EM in der Schweiz
Das Programm

60 Jahre ist es her, seit letztmals eine kontinentale Leichtathletik-Meisterschaft in der Schweiz stattgefunden hat. 1954 in Bern waren es 50 Teilnehmer – 43 Männer und sieben Frauen, die die Schweiz vertraten. Seither waren die Schweizer Leichtathletik-Delegationen stets kleiner gewesen.

Von langer Hand geplant

Ein zahlenmässig grosses Schweizer Team war seit der Bewerbung um die EM und dem Zuschlag im Mai 2010 für «Zürich 2014» geplant gewesen. Eine solche Heimmeisterschaft entfaltet Sogwirkung auf die Athletinnen und Athleten des Ausrichters, und es sind die Einheimischen, mit denen sich das Publikum im Stadion grösstenteils identifiziert.

Das alles wurde miteinbezogen, als 2009 das Vorbereitungsprogramm «Swiss Starters 2014» lanciert wurde. Knapp 80 Kandidaten wurden damals ausgemacht. Sie sollten in den verbleibenden fünf Jahren zu EM-Startern werden und die Limiten des Europäischen Leichtathletik-Verbandes erfüllen. Eine Erfolgsquote von rund 40 Prozent erachteten die Verantwortlichen von Swiss Athletics damals als realistisch, also 30 Starter.

Die einmalige Möglichkeit

Nun sind es fast doppelt so viele geworden. Und dabei wird nicht einmal von allen möglichen Startplätzen Gebrauch gemacht. Die Selektionskommission, bestehend aus dem Vorsitzenden Ruedi Gloor, Swiss-Athletics-Präsident Hansruedi Müller, Peter Haas, dem Leistungssportchef, EM-CEO Patrick Magyar, den Meeting-Direktoren Jacky Delapierre (Athletissima) und Andreas Hediger (Weltklasse Zürich) sowie den ehemaligen Spitzenathleten Monika Moser-Stahl und Daniel Vögeli, fuhr keineswegs eine weiche Linie. Und auf die Quotenplatzvergabe wurde freiwillig verzichtet.

Beobachtet einen Aufschwung in der Leichtathletik: der Leistungssportchef des Verbandes, der Basler Peter Hass.

Auf der Bahn weckt die 4-mal-100-Meter-Frauenstaffel Erwartungen. Dieses Quartett, unter Trainer Laurent Meuwly in den letzten vier Jahren gezielt gefördert, steigerte sich von 43,90 Sekunden (2011) über 43,51 (2012) und 43,21 (2013) kontinuierlich auf die jüngste nationale Rekordmarke von 42,94 Sekunden, gelaufen bei Athletissima in Lausanne vor gut einem Monat. Und es soll noch mehr drinliegen, heisst es aus dem Staffel-Umfeld.

Schweizer Hoffnungsträgerinnen: Lea Sprunger (links) und Ellen Sprunger aus der 4-mal-100-Meter-Staffel.

Schweizer Hoffnungsträgerinnen: Lea Sprunger (links) und Ellen Sprunger aus der 4-mal-100-Meter-Staffel. (Bild: EQimages) (Bild: Pascal Müller/EQimages)

Ein Geheimfavorit ist auch Kariem Hussein. In Europa ist der Ostschweizer die Nummer 6 der 400-Meter-Hürdenläufer, und der Abstand zu den Führenden ist gering. Und weil die Zahl der Schweizer Starter grösser ist als üblich, steigt die Wahrscheinlichkeit von Überraschungen, von Ausreissern nach oben rein statistisch.

Die neue Popularität

Nicht nur an der Leistungsspitze ist eine erfreuliche Entwicklung festzustellen. Die Leichtathletik hat in der Schweiz massiv an Popularität zugelegt. Man muss nicht weit zurückblicken, um das Darben der Sportart zu finden. Nach der Jahrtausendwende ging es rapide bergab – und das auf allen Ebenen: in der öffentlichen Wahrnehmung, in der Medienpräsenz, bei der Zahl der Lizenzen, bei der Akzeptanz in den Schulen. Leichtathletik, so machte es den Anschein, liegt nicht mehr im Trend, bietet zu wenig Fun, ist zu stark quantifizierbar. Und verlangt der weltweiten Konkurrenz wegen sehr, sehr viel Talent und Einsatz, um international vorne mitzumischen.

In den letzten Jahren hat eine Gegenbewegung eingesetzt. Die Zahl der aktiven Leichtathleten nimmt wieder zu, gerade im Nachwuchs. In den Schulen ist das Laufen, Springen und Werfen wieder präsent. Mit dem UBS Kids Cup ist ein Nachwuchsprojekt neu belebt worden, das bei den Jugendlichen ankommt. Dazu war Ideenreichtum, Initiative und eine Anpassung an die heutigen Vorlieben der Jugendlichen nötig. Und viel Geld vom Namensgeber – ein Betrag wird zwar nicht genannt, es ist aber von einer siebenstelligen Summe jährlich auszugehen.

Das zeigt Wirkung. Erstmals werden sich in diesem Jahr über 100’000 Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren beteiligen. Davon verspricht man sich Nachhaltigkeit, die weit über die EM hinaus wirken und so der Leichtathletik zu neuer Dynamik verhelfen soll. Mit dem Schwung, für den die Kontinental-Titelkämpfe im Zürcher Letzigrund gesorgt haben.

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