Ein Künstler am Ball, ein Kämpfer dagegen – Nostalgiker schwärmen von Luka Modric. Der Kroate spielt momentan den besten Fussball seines Lebens. Doch vor dem wichtigen Spiel gegen Dortmund holen auch ihn die «Football Leaks» ein.
Es ist 2016. Luka Modric trägt Mittelscheitel zur rotblonden Haarmatte. Keine Tattoos, kein Glamour, keine Salonauftritte, keine Sponsorentweets. Der 31-Jährige repräsentiert den Typ, der oft nostalgisch als Fussballer der alten Schule bezeichnet wird.
Man wusste über den kleinen Regisseur eigentlich nur, dass er eine harte Kindheit im jugoslawischen Bürgerkrieg hatte und mittlerweile ruhig in einem Madrider Villenvorort lebt. Abgesehen davon natürlich, dass er fantastisch kickt.
Eine Titelseite kratzt am Heldenstatus
Dann kam der Dienstagmorgen, und die Zeitung «El Mundo» verblüffte auf der Titelseite mit der Nachricht, dass auch dieser Modric seine Geheimnisse haben könnte.
Aus den «Football-Leaks»-Dokumenten soll hervorgehen, dass er über eine auf seine Frau Vanja angemeldete und nach seinem Sohn Ivano benannte Briefkastenfirma in Luxemburg die Einkünfte für seine Bildrechte am spanischen Fiskus vorbeischmuggelte. Bereits seit Januar soll ein Untersuchungsverfahren der Steuerbehörden laufen.
Nicht einmal Ronaldo kommt an Modrics Verehrung durch das Publikum heran.
Die Enthüllungen kommen in einem Moment, in dem sich nicht nur Modric selbst «den besten Fussball meiner Karriere spielen» sieht. Auch Kollegen und Medien feiern den 31-jährigen Kroaten als «wichtigsten Spieler von Real» wie kürzlich Gabi, Kapitän des Lokalrivalen Atlético, hervorhob.
«In den letzten drei Jahren gab es bei Madrid keinen besseren Fussballer», unterstrich die Sportzeitung «As» nach seiner imposanten Vorstellung am Wochenende beim FC Barcelona.
» Football Leaks: Die wichtigsten Fragen und Antworten beim «Spiegel»
Von den Zuschauern im Estadio Santiago Bernabéu wird er geradezu angebetet. Als er Anfang November nach einer Verletzungspause zum ersten Mal wieder eingewechselt wurde, erhoben sie sich zu einer Ovation, wie sie etwa ein Ronaldo bei allem Kult noch nie erhielt.
Da ist es vor dem Champions-League-Duell gegen Borussia Dortmund umso schmerzhafter, dass nun auch seine Gesetzestreue in Zweifel steht.
Nicht einzelne Spieler stehen im Fokus, sondern der gesamte Verein
Die Debatte insbesondere um Ronaldo und seine angeblich bis zu 150 Millionen Euro offshore geparkten Einkünfte wirft ja sowieso nicht nur ein schlechtes Licht auf die spanische Justiz, die bis zuletzt die Veröffentlichungen der «Football-Leaks»-Daten im «Spiegel» und «El Mundo» mit richterlichen Unterlassungsanordnungen zu verhindern versuchte.
Auch Real Madrid gerät unter Druck – sind doch weitere aktuelle (ausserdem: Pepe, Fábio Coentrão) und ehemalige (José Mourinho, Mesut Özil) Klubgrössen von den Enthüllungen betroffen, die sich offenbar einem Datenleck bei der Steuerkanzlei Senn Ferrero verdanken.
Modric galt während des Sperrfeuers aus Schlagzeilen als Bastion dafür, dass auch noch über Fussball gesprochen wurde.
Die wurde von einem ehemaligen Real-Generaldirektor gegründet, und dort soll auch dem Vater von Martin Ödegaard ein Sparmodell über Luxemburg angeboten worden sein, als sein Sohn im Januar 2015 zu Real wechselte. Der Norweger lehnte ab, unter anderem aus «moralischen Gründen», wie es in den Publikationen heisst.
Modric galt in dieser Lage eigentlich als Bastion dafür, dass auch noch über Fussball gesprochen wurde. Im Clásico bot er eine so komplette Darbietung, wie man sie von einem Mittelfeldspieler nur erwarten kann.
Modric war überall, eroberte Bälle, eröffnete das Spiel, kümmerte sich nebenher persönlich um die Bewachung von Lionel Messi, hielt nach dem Rückstand phasenweise allein die Gegenwehr aufrecht und legte in der letzten Minute mit einem punktgenauen Freistoss den Ausgleich auf.
Er ist auch ein Fighter, das wird oft übersehen, weil er am Ball alles kann und so genial den Aussenrist einsetzt.
Danach stand er mit seinen 1,74 Metern in der Interviewzone, schaute aus seinen tiefen Augenhöhlen und sagte mit seinem harten slawischen Akzent und bedeutungsschwangerer Stimme: «Wenn wir bei unser Qualität auch noch so kämpfen, sind wir kaum zu schlagen.»
Er ist auch ein Fighter, das wird oft übersehen, weil er am Ball alles kann und so genial den Aussenrist einsetzt, Privileg der grossen Künstler. Andererseits ist es nur logisch, wenn man seine Biografie kennt. Als er sechs Jahre alt war, wurde sein Grossvater – Luka – von serbischen Aufständischen erschossen, die Familie musste fliehen.
Über 21 Minuten pure Spielkunst:
Die ersten Sporen verdiente er sich bei Zrinjski Mostar im noch kriegsgeplagteren Bosnien. «Wer es da schafft, kann es überall schaffen», sagte er, und so sollte es ja auch kommen. Modric triumphierte bald in Zagreb, in der Nationalelf, bei Tottenham und seit 2012 bei Madrid.
Ancelotti ist überzeugt: Mit Modric hätte ihn Real nicht gefeuert
Als «Traum jeden Trainers» hat ihn sein Spurs-Coach Harry Redknapp mal bezeichnet. Carlo Ancelotti würde bestimmt nicht widersprechen, der Italiener ist bis heute überzeugt, dass er in Madrid nie gefeuert worden wäre, hätte sich Modric in der entscheidenden Saisonphase 2015 nicht verletzt.
Und Zinédine Zidane ist erst recht d’accord, der heutige Coach baute zu Modric schon als Assistent Ancelottis ein besonders Verhältnis auf, nach dem Training blieben beide oft noch alleine da und übten Distanzschüsse.
Schon damals sah er in dem kleinen Spielmacher eine Art Wiedergänger seiner selbst, die gleiche Mischung aus Klasse, Technik und Arbeitsethos. Zumal derzeit ohne den verletzten Toni Kroos ist Modric bei Real der Mittelpunkt auf dem Platz. Daneben wäre er wohl liebend gern unter dem Radar geblieben.
Der aktuelle Stand in der Gruppe F: