Die lernende Organisation

Statt auf den in Mode gekommenen Konzept-Trainer zu setzen, hat der FC Basel einen eigenen Weg gewählt – hin zum Konzept-Verein.

Das FCB-Puzzle: Interimstrainer Heiko Vogel, FCB-Logo, der designierte Präsident Bernhard Heusler, das Team, Sportkoordinator Georg Heitz, die Fans, Vorstandsmitglied Adrian Knup, Chefscout Ruedo Zbinden. Abbildung nicht abschliessend. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Statt auf den in Mode gekommenen Konzept-Trainer zu setzen, hat der FC Basel einen eigenen Weg gewählt – hin zum Konzept-Verein.

Möglich, dass nächsten Mittwoch ein paar Zentimeter entscheiden. Ein Pfiff auf diese oder die andere Seite. Ein Moment der Genialität hier oder eine Unachtsamkeit da. Die relevanten Szenen werden in Zeitlupe und Superzeit­lupe seziert, Helden und Verlierer er­koren. Millionen am TV und über 36 000  im St.-Jakob-Park sehen, wie dem FC Basel entweder die Sensation gegen Manchester United gelingt, indem er den englischen Meister aus der Champions League wirft. Oder wie die Basler an der grossen Aufgabe scheitern.

Doch egal, ob der FCB nun als erster Schweizer Club die Achtelfinals der Königsliga erreicht oder nicht: Es ändert nichts daran, dass er wieder einmal als Schweizer Klassenprimus dasteht, während bei der nationalen Konkurrenz in Bern und Zürich der Adventskranz Feuer gefangen hat.

Und genau deswegen sprechen die Verantwortlichen beim FCB gerade nicht so gern über sich und ihren Club. Nur keine grosse Klappe haben in Momenten des Erfolgs. Bloss nicht den Eindruck aufkommen lassen, die Basler hätten das Gefühl, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Spannend ist der Weg trotzdem, auf dem sich der FCB derzeit bewegt. Es geht im Kern darum, einen Fussballclub unabhängig zu machen von den einzelnen Menschen, die für ihn arbeiten. Oder wenigstens: unabhängiger. Andere Vereine mögen auf der Suche nach sogenannten Konzept-Trainern sein, die ihnen ihre Idee von Fussball einpflanzen. Der FC Basel dagegen entwickelt sich zu einer Art Konzept-Verein. Anstatt sich die Stossrichtung von Einzelnen vorgeben zu lassen, definiert erst der Club, wohin er will. Und sucht sich dann jene Angestellten aus, die ins grosse Puzzle passen.

Ein Moment der Besinnung

Es ist ein bewusst herbeigeführter Paradigmenwechsel nach zehn Jahren Christian Gross. Nach einer Ära, in der viel Macht an einer einzelnen Person hing – dem Cheftrainer. Als Gross im Sommer 2009 gehen musste, setzte sich die Führung des FCB zusammen und stellte sich ein paar Fragen. Zum Beispiel: Bricht jetzt alles zusammen, verlässt der Erfolg den Club, so wie damals, als der legendäre Trainer Helmut Benthaus gegangen war? «Wir dürfen das nicht verniedlichen», sagt der designierte FCB-Präsident Bernhard Heusler heute, «Christian Gross hat diesen Verein geprägt.»

Einer, der die Entwicklung des FC Basel ebenfalls mitgestaltet hat und inzwischen aus der Entfernung betrachtet, ist Peter Knäbel. Der langjährige Nachwuchschef des FCB hat lebhafte Erinnerungen an den Sommer 2009. Als er dabei war, seinen Schreibtisch zu räumen, um Technischer Direktor des Schweizerischen Fussballverbandes zu werden, und der Verein gleichzeitig den Umbruch wagte. Er weiss noch gut, wie in der Stadt die Sorge herumgeisterte, dass auf die Erfolgs-Ära Gross dunkle Jahre folgen würden.

Knäbel gehörte nicht zu Bedenkenträgern. Denn er hatte Einblick in die jüngere Genese dieses Clubs. «Mit Gigi Oeri hat sich dem FC Basel eine einmalige Chance geboten. Man darf ihre Zeit nicht nur an Transfers messen, sondern daran, was im Backoffice passiert ist. Da wurde investiert und es wurden Strukturen geschaffen, von denen der Verein langfristig profitieren kann. Deshalb ist der FC Basel heute einfach gut positioniert, auch europäisch gesehen. Und dabei bleibt der Club immer er selbst.»

Einen Moment der Besinnung benötigte der FCB nach dem Abgang des dominanten Gross allerdings schon. «Wir haben uns entschieden, nicht sofort einen neuen Trainer zu suchen», erzählt Heusler, «stattdessen haben wir uns erst gefragt, wer wir sind und was wir wollen. Welches sind unsere Werte und wie übertragen wir sie auf die Mannschaft, also auf die dreissig wichtigsten Angestellten des Clubs? Welche Show wollen wir unten auf dem Rasen bieten?»

Zum Leitbild gehört Demut

Herauskristallisiert hat sich ein Leitbild, nach dem der FCB funktionieren soll. «Die breite Basis in der Region macht uns stark», sagt Heusler. Also darf der Verein nicht abheben. «Demut» will Heusler im Club leben lassen und bei den Spielern auf dem Platz sehen. Es ist die Tugend, die ihn bei der Begegnung mit dem grossen FC Barcelona am meisten beeindruckt hat.

Dazu hat sich der FCB ganz konkrete Dinge vorgenommen. Dass er viel Energie in den Nachwuchs steckt und folglich erst bei den eigenen Junioren suchen will, ehe ein Transfer getätigt wird. Dass er finanziell Mass halten will. «Auch gegen den Ruf des Volkes», sagt Heusler. Keine Stars also, die den für Schweizer Verhältnisse sowieso schon breiten Rahmen sprengen.

Und für den Fussball, der gespielt werden soll, war die Einsicht entscheidend, dass der Verein in erster Linie jenen rund 24 000 Menschen verpflichtet ist, die mit dem Kauf einer Jahreskarte seine Haupteinnahmequelle sind. Und diese Leute wollen unterhalten werden.

Erst diese Standortbestimmung machte es möglich, dass ein Trainer-Nobody wie Thorsten Fink zum Handkuss kommen konnte. Aber Heusler wehrt sich dagegen, das nun als genialen Masterplan hinzustellen: «Vielleicht nehmen wir uns etwas gar ernst, wenn wir von einem Konzept sprechen. Viele Konzepte werden doch aus der Not geboren. Und ein Konzept kann auch einengen – ein Fussballclub aber muss beweglich bleiben.» Sportkoordinator Georg Heitz meint: «Wörter wie Konzept oder Philosophie sind heikel. Nennen wir es eine Idee.»

Für Peter Knäbel stellt der FC Basel in seiner momentanen Verfassung dar, was die Wissenschaft als lernende Organisation kennt. Ein System, das ständig in Bewegung ist – für ein Fussballunternehmen, das im Dreitagesrhythmus den Unwägbarkeiten des Spiels ausgesetzt ist, keine schlechte Umschreibung. Klare Visionen, wechselseitiges Vertrauen, die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung oder ein Ideenmanagement sind Begriffe, die mit der lernenden Organisation verbunden werden. Und die Orientierung am Nutzen der Kunden.

Die perfekte Symbiose

«Dass Thorsten Fink so eingeschlagen hat, da gehörte auch Glück dazu», sagt Knäbel. Doch Fink passte ideal zur neu definierten Idee des FCB. Er half dem Club mit seiner offenen Art, alte Verkrustungen aufzubrechen. Sein Fussball begeisterte die Leute. Gleichzeitig erwies er sich als lernfähig. Und er nutzte die Möglichkeiten, die der FCB bietet, das grösste Budget der Schweiz, die beste Jugendarbeit. Eine perfekte Symbiose.

Durch die Erfolge darf sich der FCB bestätigt fühlen. Und kann nun guten Gewissens Finks kongenialen Assistenten Heiko Vogel als Nachfolger installieren. Wobei Knäbel zu bedenken gibt: Für Vogel sei es weitaus einfacher, auf der vorgespurten Route weiterzufahren, als es damals für Gross gewesen sei, in Basel anzufangen.

Als allein selig machend will Heusler den Basler Weg sowieso nicht verkaufen. Er weiss aus seiner Zeit mit Gross, dass auch andere Wege zum Erfolg führen können: «Man kann auch auf eine starke Persönlichkeit setzen. So, wie es derzeit der FC Luzern tut.»

In Luzern wird aber auch sichtbar, mit welchen Risiken das verbunden sein kann. Vordergründig mag die Variante verlockend erscheinen. Mit einem starken Trainer/Präsidenten-Gespann erübrigt sich zum Beispiel die hoch dotierte Stelle eines Sportchefs. Ein Trainer, der die Spielphilosophie vorgibt, kann allerdings auch schnell teuer werden. Weil er auf Spieler im Kader besteht, die seinen Vorstellungen entsprechen.

So war es viele Jahre in Basel. Und so ist es jetzt in Luzern. Dort wurde im Sommer erst Nick Proschwitz verpflichtet und danach Trainer Murat Yakin. Worauf Proschwitz den Club verlassen musste, ohne eine Minute gespielt zu haben. Weil der Stürmer eben nicht ins Konzept des Trainers passte.

Und was, wenn sich ein Verein stark auf einen Einzelnen abstützt – und der geht? Dann beginnt die ganze Aufbauarbeit von Neuem. Mit einer neuen Spielphilosophie, neuen Assistenten und neuen Spielern. Es ist kein Zufall, dass nach dem Abgang von Fink zum Hamburger SV in Luzern die Aufregung grösser war als beim FCB. Beim Projekt FCL hängt fast alles an Yakin. Wäre er nach Basel gekommen, hätten die Innerschweizer praktisch von vorne beginnen können.

Der Trainer nickt nicht mehr alles ab

Der FCB dagegen hat sich 2009 entschieden, «weniger abhängig von einzelnen Personen zu werden», wie es Heitz ausdrückt. «Wir haben uns von gewissen Grundmustern befreit. Etwa, dass man immer zum Cheftrainer geht, um Entscheide abnicken zu lassen.» Das bedeutet, dass der Trainer zwar bei Transfers eine Mitsprache hat. Aber die langfristige Kaderzusammenstellung obliegt dem Club.

So wie 2010, als Thorsten Fink erst mit sanftem Druck von den Qualitäten eines Granit Xhaka überzeugt werden musste. Später wurde der Mittelfeldspieler zu Finks Lieblingsschüler. Knäbel stellt zweieinhalb Jahre nach dem Umbruch fest: «Der FCB hat ein Selbstverständnis entwickelt, in dem für einen Trainer klar sein muss, dass es ein paar Regeln gibt und Sachen, die nicht verhandelbar sind.»

Diese Entwicklung könnte auch als teilweise Entmachtung des Trainers gesehen werden. Aber da widerspricht Heusler: «Im Gegenteil. Ich glaube, er kann sich viel besser auf seine Aufgabe konzentrieren, weil er nicht ständig in der Zwickmühle zwischen kurzfristigem Erfolg und langfristiger Planung steckt. Letzteres ist eindeutig die Aufgabe der Clubverantwortlichen.»

Diese Gewaltentrennung stärkt das Selbstbewusstsein des gesamten Clubs. Es war auf dem Schötzer Sportplatz Wissenhusen, in der Pause des ersten Pflichtspiels unter Heiko Vogel, als Heusler dieses Verständnis auf den Punkt brachte. «Wir gehen doch nicht vor einem Trainer auf die Knie, damit er bleibt», stellte er nach Thorsten Finks Abgang klar, «das haben wir nicht nötig. Wir sind immerhin der FC Basel!» Und Heitz sagt: «Wir wissen, dass wir für Trainer einen der besseren Jobs im deutschsprachigen Raum bieten. So selbstbewusst dürfen wir sein.»

Komplimente aus München

Das bestätigt einer, der einen der bedeutendsten Fussballclubs überhaupt lenkt. «Grundsätzlich», sagt Karl-Heinz Rummenigge, «ist der FC Basel ein sehr gut geführter Club.» Der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München verfolgt den Schweizer FCB zwar aus einiger Distanz, arbeitet aber als Präsident der European Club Association ECA eng mit Bernhard Heusler zusammen. Der Basler kümmert sich in einer Strategiegruppe darum, wie die Stellung der Vereinigung zwischen den verschiedenen Interessengruppen im europäischen Fussball gestärkt werden kann.

Rummenigge attestiert den Baslern, eine glückliche Hand zu haben, etwa mit der Verpflichtung Thorsten Finks. «Da wurde einem jungen Mann das Vertrauen geschenkt, und mein Eindruck ist, dass immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden.»

Die These vom Konzept-Verein, der nicht mehr zwingend auf die eine, starke Figur des Trainers angewiesen ist, teilt Rummenigge nur bedingt und fragt, vielleicht aus eigener leidvoller Erfahrung mit Jürgen Klinsmann oder Louis van Gaal, zurück: «Was ist ein Konzept-Trainer?» Seine Antwort: «Ein Trainer muss zu einem Club passen. Und am Ende des Tages muss er erfolgreich sein.» Mit Blick auf den FC Basel bedeutet das aus der Rummenigge-Perspektive: «Es ist kein Zufall, dass die Basler aussichtsreich in der Champions League dastehen.»

Knäbels Fazit nach sieben Jahren Innen- und zwei Jahren Aussensicht: «Der FC Basel hat das gut gemacht. Der Club hat viele gute Mitarbeiter, und keiner nimmt sich selbst zu wichtig.» Und mit einer Erkenntnis deckt er sich mit der seiner früheren Weggefährten in der FCB-Clubführung: «Ein Konzept ist gut und schön. Aber ohne Herzblut für den Verein geht es nicht.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11

Nächster Artikel