Einst waren sie Stammgast in den Schweizer TV-Sportsendungen. An diesem Wochenende schaffen es die Radballer seit langem wieder einmal ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Und mit ihnen die Kunstrad-Fahrerinnen und -Fahrer. In Basel findet ab Freitag die Hallenradsport-Weltmeisterschaft statt.
Möglich, dass die Erinnerung trügt. Aber die Bilder sind im Hirn abgespeichert. Bilder von Männern auf Velos, die hinten tiefer gelegt waren und vorne Lenker hatten, als wollten sie die Chopper von «Easy Rider» neidisch machen. Die Männer spielten Radball. Die sonntägliche Sportsendung des Schweizer Fernsehens zeigte sie meist vor oder nach jenen anderen Männern, die mit Bart und Sack und Sturmgewehr um die Wette rannten.
Sie müssen gemeinsam von den Bildschirmen verschwunden sein, die Radballer und die Waffenläufer. Doch zumindest die Männer mit den Chopper-Velos werden am Sonntag ein Comeback geben. Und nicht nur sie: Auch die Kunstrad-Fahrerinnen und -Fahrer, die auf ihren Rädern kunstvolle Choreographien fahren. Denn SRF 2 wird am Sonntag live aus der Basler St. Jakobshalle die Hallenradsport Weltmeisterschaft 2013 übertragen.
Eine glückliche Fügung, gibt Marianne Kern, die sportliche Leiterin der WM, unumwunden zu: «Es läuft sonst sportlich nichts, das im TV übertragen werden kann.» Bis auf das Live-Fussballspiel um 16 Uhr. Also haben die WM-Verantwortlichen ihr Programm so aufgebaut, dass es gut in die zwei Sende-Blöcke passt, die SRF zu füllen hatte.
Unter dem Radar
Schliesslich ist es eine seltene Gelegenheit, eine Sportart zu präsentieren, die unter jeglichem Radar öffentlicher Wahrnehmung hindurchsegelt. Ausser natürlich, man wohnt zum Beispiel in Pfungen, wo sportbegeisterte Jugendliche eigentlich nur die Wahl haben, beim Rad- und Motorfahrerverein Pfungen mitzumachen – oder eben nicht.
So wie Seraina Waibel. Als Mädchen fuhr sie Kunstrad, weil man als Mädchen in Pfungen eben Kunstrad fährt. Als Fünfjährige ging sie ins erste Training. «Und die Trainerin dachte, mich würde sie wohl nie mehr sehen. So sehr hat es mich hingehauen», erzählt Waibel, die aber gar nicht daran dachte aufzuhören, bevor sie erst angefangen hatte.
Heute hält die 18-Jährige den Schweizer Rekord im Einer Frauen und will in Basel in die Elite-Weltspitze fahren, nachdem sie im Mai bei den Juniorinnen Bronze an den Europameisterschaften gewonnen hat.
Kunstrad ist ein harter Sport. Stürze gehören zum Alltag, Schoner werden keine getragen. Und wenn man etwas ganz sicher lernt, dann «dass man immer wieder aufstehen muss», sagt Waibel.
Petition ohne Chance
Hart ist auch das Leben einer Sportart, die kaum öffentliches Interesse auf sich zieht. Kunstrad und Radball sind nicht olympisch. Und wer sich nicht wenigstens alle vier Jahre via Olympische Spiele präsentieren kann, der muss sich mit dem Leben in der Nische zufrieden geben. Kein Wunder, läuft seit August eine internationale Online-Petition, die verlangt, dass Hallenradsport olympisch wird.
Die Chancen, vom Internationalen Olympischen Komitee erhört zu werden, sind jedoch gering. Denn auch wenn in Basel rund 150 Athletinnen aus 17 Nationen an den Start gehen – eine weltweite Verbreitung hat der Hallenradsport nicht. Die Stammländer sind Deutschland, Österreich und die Schweiz. Und hierzulande, gibt Marianne Kern zu, bleibt der Sport auch im deutschsprachigen Raum hängen: «Irgendwie sind wir in der Schweiz nie über die Sprachgrenze gekommen.»
Eine Heim-WM, aber für wen?
Was für die Sportart im Allgemeinen ein Problem sein dürfte, ist für die WM in Basel allerdings keines. 5000 Tickets möchten die Veranstalter jeden Tag absetzen. 4000 haben sie bereits verkauft. Und auch wenn die WM-Organisatoren jeweils von einer Schweizer Heim-WM sprechen, so wird es doch eine andere Nation sein, die die grösste Unterstützung in der Halle geniessen wird: Die meisten Karten wurden nach Deutschland verkauft.
Mehrere Schweizer starten in Basel mit Hoffnungen auf eine WM-Medaille. Beim Radball sind Roman Schneider und Dominik Planzer Titelverteidiger. Und in der Gruppe B spielen mit Andry Accola und Renato Bianco sogar zwei Nordwestschweizer um den Aufstieg. Sie tun das allerdings für Italien.
Im Kunstrad Vierer Frauen wird die WM auch der Schlusspunkt für das Team von Andrea Schilling, Carolin Noll, Maura Stiefel und Nora Willener sein. Sie treten nach der WM zurück, gehören aber ebenso zu den heissen Medaillenkandidaten wie Bettina und Anja Weber sowie Christina Ess und Fabienne Gamper im Zweier Frauen.
Die WM beginnt am Freitag und dauert bis Sonntag. Das komplette Programm finden Sie auf der offiziellen Website.