Am Donnerstag kann der FC Basel den ersten Schritt tun, um Geschichte zu schreiben: Gegen den Tottenham Hotspur FC winkt dem FCB die Chance auf die erstmalige Teilnahme an einem Halbfinal in den europäischen Wettbewerben.
Für den Cheftrainer begann der Tag mit einer süssen Verlockung, der er prompt nicht widerstehen mochte. Also gönnte sich Murat Yakin zur frühen Morgenstunde am Degustationsstandes eines Weinhauses einen Schluck Prosecco. Vom alkoholfreien, wohlgemerkt, mit dem prickelnden Namen «Lifestyle».
Grund zum Anstossen, am Tag vor einem Hinspiel im Europacup, gibt es eigentlich noch nicht, und doch können die Basler schon mit dem Erreichen der Viertelfinals der Europa League auf einen der grössten internationalen Erfolge der Vereinsgeschichte zurückblicken. Vor 39 Jahren, im Landesmeister-Wettbewerb, kamen sie so weit und schieden gegen Celtic Glasgow aus (3:2/2:4). Und 2006, als sie nach einem 2:0 im Hinspiel eine grosse Chance im Uefa-Cup verspielten und im Rückspiel von Middlesbrough mit 1:4 untergingen.
Degens grausige Erinnerung
Ein April-Abend im Nordwesten Englands, an den sich David Degen, damals 61 Minuten auf dem Platz, nur mit Grausen zurück erinnert. Sieben Jahre und zwei Zwischenstationen in Mönchengladbach und Bern später fordert David Degen von sich und seiner Mannschaft: «Wir müssen es packen.» Und kündigt für das Spiel am Donnerstag (21.05 Uhr MESZ, SRF info), wenn der FC Basel an der White Hart Lane dem Dritten der Premier League gegenübertritt, schon einmal an: «Ein 1:4 kann uns diesmal nicht passieren.»
Das sind vollmundige Worte, die zum einen zu David Degen passen, zum anderen zu dieser internationalen Kampagne der Basler. Wer hätte das gedacht im August, als der FCB in der Qualifikation zur Champions League an Cluj gescheitert war und als Langzeitfolge dann auch noch Trainer Heiko Vogel geschasst wurde. Wer hätte sich diesen Weg ausgemalt, als Nachfolger Murat Yakin in Ungarn mit einer Niederlage gegen Videoton startete und der FCB Vorletzter seiner Gruppe war?
Der FCB strahlt gesundes Selbstbewusstsein aus
Da hat eine Entwicklung stattgefunden, die sich fünf Monate später in einer gefestigten Mannschaft spiegelt, ausserdem in der Tabelle der heimischen Super League in Platz 1, und eingedenk der beiden K.o.-Wettbewerbe bietet sich dem FC Basel Anfang April die Möglichkeit, drei Titel zu gewinnen. Wann hat es das jemals gegeben? Und dementsprechend strahlen Spieler wie Trainer ein gesundes Selbstbewusstsein aus.
Selbst der Präsident, stets eher zur Zurückhaltung neigend, was die sportliche Einschätzung anbelangt, findet den Lauf der Mannschaft «wahnsinnig». Was nach dem grossen Umbruch im Sommer als Zwischensaison taxiert wurde, kann nun nach dem einzigartigen 2011/12 mit Double und Champions-League-Achtelfinal wieder in einen grossen Jahrgang münden. Ist es jetzt eigentlich schon, und wäre es definitiv, wenn der FCB mindestens einen Titel gewinnt, was mit allergrösster Wahrscheinlichkeit der Meisterkübel sein wird.
«Wir haben nicht viel zu verlieren»
Nach einer Reise ohne jegliche Störungen, mit einem blutzuckermässig unauffälligen Mohamed Elneny und einem sauber funktionierenden Fahrwerk an der Maschine der Hamburg Airways, sagte Heusler am Mittwochmorgen am Gepäckband des Flughafens London-Stansted: «Wir haben in dieser Saison einige Wellentäler durchlebt. Deshalb ist es ein schönes Gefühl, die Hausaufgaben in der Liga gemacht zu haben. Ich gönne der Mannschaft dieses Spiel. Und ich habe das Gefühl, dass wir nicht viel zu verlieren haben.»
Natürlich erwartet man vom FCB in der jetzigen Ausgangslage nicht den Gewinn der Europa League. Aber er hat jetzt mehrfach, in der Gruppe gegen Sporting etwa, und in den K.o.-Runden gegen die Hochkaräter Dnipro und Zenit bewiesen, zu was er – mit entsprechender Wettkampf-Fortune – in der Lage ist. Strategisch waren es grossartige Heimspiele, in der die Grundlage geschaffen wurde zum Weiterkommen.
«Wir kennen unsere Heimstärke, das hat Selbstvertrauen gegeben, und so konnten wir uns jeweils ein Polster verschaffen», sagt Yakin, der das Los des Heimspiels im ersten Durchgang durchaus schätzt. Jetzt ist die Konstellation umgekehrt, muss – oder: darf der FCB zuerst auswärts antreten, und auch dem kann der Trainer natürlich etwas abgewinnen: «So können wir es daheim noch richten.»
Der Respekt, den sich der FCB erarbeitet hat
Wenn er von einer «grossen, einer einmaligen Chance» spricht, gegen Tottenham erstmals einen europäischen Halbfinal zu erreichen, mag man Yakin nicht widersprechen. Der Gegner scheint riesig, ist mit seinem um ein vierfaches höheren Jahresumsatz ein Budgetfürst des Kontinents. Er hat namhafte Spieler im Kader, von denen Gareth Bale heraussticht. Aber die Hotspurs erscheinen dennoch nicht als die übermächtige Kraft, als dass es nicht Ansatzpunkte gibt, ein Ergebnis hochzurechnen, das für das Rückspiel in einer Woche noch alle Möglichkeiten offen lässt.
Welchen Respekt sich der FC Basel verschafft hat, unterstrich der Beobachtungsabstecher von Tottenham-Trainer Andre Villas-Boas am Ostermontag nach Luzern. «Wir haben uns in den letzten Jahren einen tollen Namen gemacht. Wir werden ernst genommen», sagt Captain Marco Streller.
Das Mantra vom Auswärtstor
Tottenham hat zwar im Europacup vier von fünf Heimspielen gewonnen, währenddessen der FCB von seinen insgesamt acht Auswärtsspielen nur jenes in Tallin gewann (2:0) und vier Mal remis spielte. Aber Tottenham hat in der Liga auch zwei Heimniederlagen gegen niedriger dotierte Teams (Wigan, Fulham) stehen. Die Nordlondoner haben eine furchteinflössende Offensive, aber auch eine Defensive, die nicht unverwundbar ist.
Deshalb wird das Europacup-Mantra vom so wichtigen Auswärtstor auch in dieser Affiche eine Bedeutung haben. «Resultatorientiert» will er spielen lassen, hat Murat Yakin angekündigt, «wir werden nicht gerade vorne voll drauf gehen», bekräftigte er am Mittwoch, er glaubt aber auch, dass seine Mannschaft in der Lage ist, Druck auszuhalten, «und für ein Tor ist sie immer gut». Dieses könnte dann schon Teil der Miete für die Halbfinals sein.
Ein Halbfinal, mit dem der FCB ein weiteres Stück Geschichte schreiben würde. Eine Aussicht, die Murat Yakin selbst ein bisschen ins Staunen versetzt: «Wenn man überlegt, was wir in der kurzen Zeit bewerkstelligt haben, in der ich Trainer bin.»
Das sieht auch sein Captain so. «Wir gehen mit Riesen-Respekt, aber auch mit breiter Brust in dieses Spiel», sagt Marco Streller, und er ist ähnlich verblüfft wie der Trainer: «Die vergangene Saison war schon wunderbar. Dann kam der Umbruch – und jetzt läuft es wie letztes Jahr. Ich bin sehr stolz auf diese Mannschaft.»
Der angespannte Alex Frei
Der einzige Basler, der am Mittwoch etwas angespannt wirkte, war Alex Frei. Das muss man dem designierten Sportdirektor des FC Luzern lassen. Beim Einchecken in Basel studierte er stirnrunzelnd die «Blick»-Schlagzeile vom Frei, der in Luzern bereits zwei Wochen vor dem offiziellen Antritt die Fäden zieht. Nach der Ankunft in London-Stansted stand er sogleich abseits, telefonierend.
Es ist kein Wunder, dass Alex Frei der künftige Job bereits in Beschlag nimmt. Alles andere anzunehmen, wäre naiv. Jetzt muss in Luzern als erstes ein neuer Trainer her. Und es würde nicht verwundern, würde es jener, der Teil der jüngeren Basler Erfolgsgeschichte ist.