Die Nebendarsteller entscheiden den Clásico

Nicht die Superstars entschieden das Spiel Real Madrid gegen FC Barçelona 3:1. Als Team war Madrid stärker als Barçelona, dessen Abwehr zu schwach war, und das sogar im Mittelfeld die Oberhand abgeben musste.

Real Madrids Karim Benzema, links, feiert mit Isco. (Bild: PAUL WHITE / Keystone)

Nicht die Superstars entschieden das Spiel Real Madrid gegen FC Barçelona 3:1. Als Team war Madrid stärker als Barçelona, dessen Abwehr zu schwach war, und das sogar im Mittelfeld die Oberhand abgeben musste.

Carlo Ancelotti ist ein Edelmann mit Gespür für die Details, und so wechselte der Trainer von Real Madrid sie in der Schlussphase einem nach dem anderen aus – die Helden des Abends. Erst Isco, dann Karim Benzema, schliesslich Luka Modric. Richtig, dieser Clásico muss nicht über Messi erzählt werden, nicht über Ronaldo, nicht mal über Rückkehrer Luis Suárez. Ein Spektakel war er trotzdem. Ein enorm vitales, bisweilen euphorisches Real schlug den FC Barcelona mit 3:1 (1:1), schraubte die Allzeit-Bilanz auf 92:89 Siege und verkürzte den Rückstand im Liga-Klassement auf einen Punkt.

Vom «Rey de Reyes», dem «König der Könige», hatten die Fans schon vor dem Anpfiff in einer Choreographie gekündigt. Das sowieso nie geringe Selbstbewusstsein des Klubs schlägt dieser Tage bis zur Grenze der Galaxis aus – diverse Schützenfeste gegen die Laufkundschaft der Liga, ein 3:0 beim FC Liverpool und nun die maximale Bestätigung im wichtigsten Klubduell der Welt. «Die Mannschaft hat unglaublich gespielt, in allen Teilen und allen Aspekten», jubilierte Sergio Ramos nach dem süssesten aller Siege, die der Fussball für einen «Madridista» wie ihn bereithält.

Zuviel Hochgefühl am Anfang

Anfangs schien es allerdings noch, als würde ihr Hochgefühl den Gastgebern einen Bärendienst erweisen. Sorglos, fast überheblich begannen sie die Partie. Den Weltstar Neymar liessen Carvajal und Pepe in der vierten Minute gewähren, als handele es sich um den Sturmführer von Almería. Schon stand es 0:1.

Die präzise Vorarbeit mit einem Flügelwechsel exakt auf den rechten Fuss des Brasilianers hatte Suárez gegeben. Am Tag des Ablaufs seiner viermonatigen Biss-Sperre erfuhr der Uruguayer anderthalb Stunden vor Spielbeginn von seinem Einsatz, okkupierte verlässlich die rechte Angriffsseite und sprach später von einem «bittersüssen» Abend – der sicher anders verlaufen wäre, hätte auch sein anderer Sturmkollege eine seiner Vorlagen genutzt.

Doch ein Reflex von Iker Casillas verhinderte in der 23. Minute das 0:2 durch Messi, der damit den historischen Rekord von 251 Ligatoren egalisiert hätte. Zu diesem Zeitpunkt orchestrierte Barça bequem seine Passstafetten, während Reals wütende Drangphase nach dem Rückstand nur zwei Lattentreffer von Karim Benzema produziert hatte – beide in derselben Szene, mit Kopf und Fuss (11.). Es wurde still im Bernabéu. Doch dann gab es Elfmeter.

Kein Duell der Superstars

Es war eine richtige Entscheidung, Piqué hatte eine Flanke von Marcelo am Boden mit der Hand abgewehrt (35.). Cristiano Ronaldo liess sich die Chance nicht entgehen – wer sonst als die portugiesische Tormaschine (bereits 16 Saisontreffer in neun Spielen) sollte die Unverwundbarkeit von Barça-Keeper Claudio Bravo beenden, der bislang stets zu Null gespielt hatte. Ansonsten aber blieb Ronaldo ähnlich zweitrangig wie auf der anderen Seite auch Messi. Das gross angekündigte Duell der Superstars entschieden das Kollektiv und die vermeintlichen Nebendarsteller.

Real Madrid, so die Botschaft des Abends, ist dabei momentan weiter als der FC Barcelona. Nach holprigem Saisonstart hat Ancelotti die Abgänge von Xabi Alonso und Ángel Di María längst kompensiert. Toni Kroos spielt die Position vor der Abwehr mit wachsender Selbstverständlichkeit, aus den jungen Künstlern James Rodríguez und Isco formte der Trainer verlässliche und kampfstarke Mittelfeldallrounder.

Die derzeit glänzende Physis hilft zusätzlich. Langjährige Real-Akteure wie Benzema oder Linksverteidiger Marcelo hat man selten in so imposanter Verfassung gesehen. Immer mehr gelingt so die von Ancelotti angestrebte Mischung aus Kombinations- und Direktfussball, aus eher abwartenden Phasen und frühem Pressing. «Wir verfolgen die Idee des letzten Jahres», sagte der Trainer des Champions-League-Siegers nach dem Spiel: «Und wir sind dabei, sie zu verbessern.»

Schwache Abwehr bei Barçelona

Umgekehrt leidet Barcelona weiter an den Schwächen, die sich in den letzten Jahren erst angekündigt und inzwischen bedenklich verfestigt haben. Dem Mittelfeld mit Busquets, Xavi und Iniesta gelingt es nicht mehr, die Partien so durchgehend zu kontrollieren wie zu seinen Glanzzeiten, dadurch wächst der Druck auf die Verteidigung, und die ist gewiss nicht Barças Paradereihe. Frappierend bleibt insbesondere die Schwäche bei gegnerischen Angriffen über aussen und ganz konkret bei Standardsituationen.

Nicht umsonst bescherte ein Kopfball von Pepe nach wunderbarem Eckstoss von Toni Kroos den Madrilenen das 2:1 (50.). «Das Spiel in der Luft ist nun mal nicht unsere Stärke», sagte Piqué – ein Offenbarungseid und doch nur die Wahrheit. Seit Jahren gelingt es dem Verein nicht, einen adäquaten Ersatz für den ehemaligen Abwehrchef Carles Puyol zu finden.

Während in aufeinander folgenden Sommern für insgesamt rund 180 Millionen Euro die Stürmer Neymar und Suárez eingekauft wurden, verteidigten im Bernabéu zentral der formschwache Piqué und der gelernte Mittelfeldspieler Mascherano, auf den Aussenpositionen der in die Jahre gekommene Dani Alves und der limitierte Jérémy Mathieu. Dem Druck einer Spitzenmannschaft wie Real lässt sich mit so einem Verbund schwerlich über 90 Minuten widerstehen.

Von wegen phlegmatischer Benzema

Mit Madrids Führung war das Terrain bereitet für die beste Kontermannschaft der Welt. Besonders das Tor zum 3:1 war von umwerfender Explosivität. Isco, aufgeboten statt des verletzten Gareth Bale, provozierte mit einem furiosen Laufduell gegen Andrés Iniesta den Ballgewinn. Über Ronaldo und James gelangte der Ball zu Benzema, diesem kompletten Mittelstürmer, den Ancelotti «einzigartig» nennt, weil er wie kein anderer auf seiner Position auch als Spielmacher taugt.

Mit seinem Torerfolg zum Endstand krönte der Franzose eine Leistung, die ihn nach fünf Jahren im Klub endlich zu einhelliger Anerkennung verhelfen sollte. Oft haben ihn Teile der eigenen Fans wegen seiner vergleichsweise geringen Torquote und seinem manchmal phlegmatisch wirkenden Spiel ausgepfiffen. Gestern war es im Bernabéu nie so laut wie in dem Moment, als er mit «Karim, Karim, Karim»-Gesängen auf die Bank entlassen wurde.

Der Rest war Schaulaufen, wobei Real die Katalanen nun auch in deren ureigenster Domäne beherrschte, dem Mittelfeld. Insbesondere Modric garnierte die Gala mit einigen Delikatessen, derweil Barças Angriffe immer steriler wurden. «Die Lehre dieser Niederlage ist, dass es genauso gute oder, wie heute, bessere Teams als uns gibt», sagte Barcelonas Trainer Luis Enrique, derweil Ancelotti die Einsatzfreude und Konzentration seiner Elf hervorhob: «Ich bin stolz auf diese Mannschaft, ihre Professionalität ist einmalig».

Der Italiener weiss wohl: Real Madrid hat alles Talent und dank ihm auch einen Plan. Es kann sich eigentlich nur selbst gefährlich werden.

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