Die neue Stimmung auf der Schützenwiese

Die Winterthurer Schützenwiese wird umgebaut, der FCW hat mit Jürgen Seeberger einen neuen Trainer. Und vielleicht steigt er ja nach 30 Jahren in der Unterklassigkeit wieder mal auf. Am Sonntag (14.00 Uhr) fordert er im Cup den Meister.

Zurück im Schweizer Fussball, in Winterthur jetzt mit Bart: Der Deutsche Jürgen Seeberger. (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

Die Winterthurer Schützenwiese wird umgebaut, der FCW hat mit Jürgen Seeberger einen neuen Trainer. Und vielleicht steigt er ja nach 30 Jahren in der Unterklassigkeit wieder mal auf. Am Sonntag (14.00 Uhr) fordert er im Cup den Meister.

 Natürlich haben sie in Winterthur noch in genauester Erinnerung wie das war damals Mitte April 2012, als sie die grosse Meistermannschaft aus Basel zum bisher letzten Mal forderten. Die Szene kurz vor Halbzeit des Cup-Halbfinals, als FCW-Angreifer Kris Kuzmanovic alleine auf FCB-Torhüter Yann Sommer zulief und von diesem, innerhalb des Strafraums, gefoult wurde.

«Dort, genau dort wars», sagt Patrick Bengondo noch heute, wenn er darauf angesprochen wird. Und zeigt energisch von der Stadionbeiz auf jenen Punkt, wo das Unfassbare geschah. Denn Schiedsrichter Alain Bieri zeigte Sommer nicht, was die Regel durchaus hergegeben hätte, die Rote Karte, auch nicht die Gelbe. Nein, er pfiff nicht einmal Elfmeter.

Zuffis Rückkehr auf die Schützenwiese

Also blieb es beim 0:1 und der FCB zu elft. Kurz vor Schluss konterten sich Xherdan Shaqiri und Alex Frei zum 0:2. Der Elfmeter, den Bieri dann dem FCW doch noch zusprach, war belanglos. Bengondo ist – neben dem mittlerweile nach Basel ausgewanderten Luca Zuffi – als Winterthurer auch an diesem Sonntag dabei, wenn der FCW die Basler ein nächstes Mal herausfordert.

Im Kader steht aus der damaligen Mannschaft auch Captain Stefan Iten, dessen Platz in der Startelf allerdings gefährdet ist – durch den 19-jährigen Manuel Akanji, das neue Verteidigertalent der Winterthurer.

Auch wenn ein Sechzehntelfinal kein Halbfinal ist, freuen sie sich in Winterthur aufs nächste Gastspiel des Meisters. Auch das Stadion ist wieder ausverkauft, diesmal allerdings mit nur 5050 statt mit 8500 Plätzen. Denn die Gegentribüne der Schützenwiese wird neu gebaut; im Frühjahr wird sie auch gedeckt sein. Es ist die zweite Etappe der Erneuerung des altehrwürdigen Stadions. Das gesamte Projekt steht, samt Baubewilligung. Also wäre das Stadion kein Hindernis, wenn es um den Aufstieg in die Super League ginge.

Seit 30 Jahren unterklassig

Aber das ist so eine Sache. Für manche ist der FCW ja so etwas wie ein – allerdings kleiner – «schlafender Riese». Der Club aus der sechstgrössten Stadt im Land müsste doch fähig sein, in der Super League zu spielen. Aber es ist mittlerweile 30 Jahre her, dass der FCW ein letztes Mal der Nationalliga A angehörte.



Der Präsident und Mäzen des FC Winterthur: Hannes W. Keller.

Der Präsident und Mäzen des FC Winterthur: Hannes W. Keller. (Bild: ALESSANDRO DELLA BELLA)

Gar 40 Jahre sind es, seit die «goldenen Jahre» zu Ende gingen – mit dem 1:2 nach Verlängerung im Cupfinal gegen Helmut Benthaus‘, Karli Odermatts und Ottmar Hitzfelds FCB. Es war – von Timo Konietzka initiiert – die Zeit, an die sich einer wie Odermatt nicht gerne erinnert, denn die Basler pflegten in jener Zeit auf der schon damals altehrwürdigen Schützenwiese zu verlieren. In sieben Jahren fünfmal, nur einmal siegte der FCB.

Präsident übernimmt Millionendefizit

Aber diese Zeiten sind längst vorbei, mittlerweile ist der FCW der klassischste aller Nationalliga-B- oder Challenge-League-Vereine. Er ist dank des Wirkens des Präsidenten Hannes W. Keller, der je nach Bedarf rund ein Drittel des Jahresbudgets von gut vier Millionen Franken beisteuert, finanziell sehr gesund. Er ist in den mittlerweile 13 Jahren unter diesem Präsidenten auch angesehen und glaubwürdig. Allerdings hinkt der sportliche Erfolg hinterher.

Zwar ist die nominelle Konstanz mit zwei Trainern in zehn Jahren bemerkenswert, je fünf Jahre mit dem Baselbieter Mathias Walther und mit dem Serben Boro Kuzmanovic. Aber ein Erfolgsgarant war und ist das nicht, denn es entwickelte sich allmählich eine Wohlfühloase FCW und damit ein Verein, dessen Mannschaft regelmässig hinter ihren Möglichkeiten zurückblieb. «Under achiever» würden das die Engländer nennen.

Trainerwechsel in letzter Minute 

Seit Mitte Juli hat der FCW allerdings einen neuen Trainer. Das war – nach einem schlechten Auftritt Kuzmanovics in seinem fünften Amtsjahr – überfällig und eigentlich schon längst beschlossene Sache. Aber es dauerte über zwei Monate, bis der Präsident mit seinem Ja den Entscheid des Vorstands besiegelte – zwölf Tage vor Beginn der neuen Saison.

Das war von aussen gesehen sehr erstaunlich, von innen besehen gar untragbar. Der Verein machte da auch – kommunikativ extern wie intern – eine sehr schlechte Falle. Und Jürgen Seeberger, der neue Trainer, hatte noch genau zwei Trainingsspielchen und ein paar wenige Trainingseinheiten, um die Saison vorzubereiten.

Weg frei in die Super League

Immerhin, er fand eine durchaus gesunde und spielerisch gute Mannschaft vor. Das 4:0 gegen den Nachbarn Wil war gleich ein erhellender Start. Mittlerweile ist der FCW Tabellenzweiter und er hat grundsätzlich ein Kader, das gut genug ist, ganz vorne mitzuspielen. Zumal in dieser Saison, da ein Club zu fehlen scheint, der zur Dominanz fähig ist wie das in den letzten drei Jahren der Reihe nach der FC St. Gallen, der FC Aarau und der FC Vaduz waren.

Seeberger will auch deutliche Retuschen an der Wohlfühloase vornehmen, zu der sich die Schützenwiese im letzten Jahrzehnt allmählich entwickelte – eben mit einem Präsidenten, dem die Resultate nicht das vordringlichste Ziel waren. Seeberger will mehr Leistungskultur implantieren und den Verein nach drei Jahrzehnten endlich mal wieder «aufsteigbar» machen.

Produktives Sturmduo

Der Cupmatch gegen den FCB ist auf diesem Weg nicht so wichtig, weniger wichtig als am kommenden Mittwoch das Auswärtsspiel gegen Lausanne-Sport und dann das Heimspiel gegen Servette, die nominell stärksten Konkurrenten in der Liga. Aber das Spiel gegen die Basler kann eine schöne Sache werden für einen Verein, der dadurch wenigstens für einen Tag mal wieder der Enge der Challenge League entrinnen kann.

Unter dem neuen Trainer gesetzt: Goalgetter Patrick Bengondo.

Unter dem neuen Trainer gesetzt: Goalgetter Patrick Bengondo. (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

Seeberger kann zu diesem Zweck auch seine beste Elf aufstellen. Also mit dem Zweimannsturm Bengondo/João Paiva, den Kuzmanovic kaum je aufgestellt hätte, den Seeberger von der ersten Minute an wählte. Zusammen haben die beiden schon zehn Tore geschossen, nur fünf der bisher 16 Meisterschaftstreffer der Winterthurer fielen ohne Zutun der beiden.

Ihr Beitrag ist das eine, das grundsätzlich zupackendere, mutigere Auftreten des Teams ist das andere, das die Stimmung im Umfeld mit dem Trainerwechsel sofort hob. Kuzmanovic hatte vier Jahre lang mehrheitlich gut gearbeitet und mit seiner Mannschaft vor zweieinhalb Jahren selbst den FCB an den Rand der Niederlage gestossen. Aber zuletzt lieferte er eine völlig unbefriedigende Saison.

Aufstiegsmannschaft, die nie aufstieg

Das Team von 2012 war im Grunde schon eine Aufstiegsmannschaft, die jedoch nicht aufstieg. Ermir Lenjani (St. Gallen), Luca Radice, Sven Lüscher (beide Aarau), Remo Freuler (Luzern) und natürlich Luca Zuffi sind aus jenem Team individuell in die Super League abgewandert und gleich zu Stammspielern geworden. Auch Torhüter Christian Leite (in Thun allerdings nur die Nummer 2), Trainersohn Kris Kuzmanovic und Nick von Niederhäusern (beide Vaduz) spielen mittlerweile eine Etage höher. Es ist die Etage, die auch der Verein FCW gerne wieder mal betreten würde

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