Die Schweiz gewinnt und diskutiert über zwei Jubelgesten

Das Schweizer Team dreht das Spiel gegen Serbien und beweist damit, wie sein Selbstvertrauen in den letzten Jahren gewachsen ist. Fast mehr zu reden als die beiden Tore gab aber der Jubel danach.

Einfach damit das klar ist: Xherdan Shaqiri schoss den Siegestreffer für die Schweiz.

In seinen allerbesten Momenten ist Xherdan Shaqiri ein genialer Fussballer. So wie Freitagnacht in Kaliningrad, als der Schweizer Nationalspieler mit einem unwiderstehlichen Antritt und Raffinesse im Abschluss eine Partie entschied, die den Eidgenossen das Tor zum Achtelfinale bei der WM in Russland ganz weit aufstiess.

90 Minuten waren gespielt, es stand 1:1 zwischen Serbien und der Schweiz, bevor Shaqiri das Spiel mit seinem Treffer zum 2:1 entschied. Der 26-Jährige schilderte diesen Moment nachher mit jenem lausbubenhaften Charme, den viele an ihm mögen.

Instinktfussballer mit kontroverser Jubelgeste

Man sehe es ja nicht so oft von Mario Gavranovic, dass dieser einen so guten Pass spiele, wie in dieser entscheidenden Szene, sagte Shaqiri kichernd: «Als ich dann losgesprintet bin, habe ich gewusst, dass ich ein Tor machen kann. Und dann habe ich auch mit Instinkt ein Tor geschossen.»

Unwiderstehlich enteilte Shaqiri der serbischen Abwehr und lupfte die Kugel ganz sanft aus vollem Lauf an dem aus dem Tor stürmenden serbischen Goalie vorbei zum Siegtreffer ins Tor.

Dann jubelt er so, wie es zuvor Granit Xhaka getan hatte, der in der 52. Minute mit einem grandiosen Schuss aus 20 Metern den 1:1-Ausgleich für die Schweizer erzielte. Beide Spieler kreuzten beim Torjubel ihre Arme vor ihrer Brust als Symbol für den Doppeladler auf der albanischen Flagge. Auch Captain Stephan Lichtsteiner zeigte nach dem Siegtreffer die Geste.

Nach dem Ausgleich zeigt Granit Xhaka den Doppeladler.

Sport soll verbinden, heisst es immer wieder, doch meist ist das ein billiges Lippenbekenntnis von Leuten und Organisationen von wechselnder Glaubwürdigkeit.

Die Gesten von Shaqiri und Xhaka wirken auf Aussenstehende provokativ, vielleicht gar unsportlich, sind aus ihrer Lebensgeschichte und der ihrer Familien aber zu erklären. Xhaka sprach letzten November im «Guardian» darüber, wie sein Vater im ehemaligen Jugoslawien als albanischer Freiheitskämpfer inhaftiert und misshandelt worden war; Shaqiri erzählte in «The Player’s Tribune» (in Englisch) über seine familiäre Herkunft und das Aufwachsen in der Schweiz. 

Gesten aus der Emotion heraus

Die Familien von Xhaka und Shaqiri sowie die anderer Schweizer Nationalspieler mit Wurzeln auf dem Balkan sind in den Neunzigerjahren aus dem Kriegsgebiet geflohen. Das Spiel war schon vor dem Anpfiff politisch extrem aufgeladen, in der Schweizer Startelf standen neben Shaqiri und Xhaka mit Blerim Dzemaili und Valon Behrami zwei weitere Spieler mit albanischen Wurzeln.

Xhaka, der nach dem Spiel der schreibenden Presse nicht Rede und Antwort stehen wollte, verschwand schnell in den Mannschaftsbus. Zuvor hatte er im TV-Interview erklärt: «Der Jubel war keine Message an den Gegner. Ganz ehrlich, die waren mir scheissegal. Das war für die Leute, die mich immer unterstützen. Jene, die mich nie links liegen liessen, in meiner Heimat, wo die Wurzeln meiner Eltern sind. Das waren einfach pure Emotionen.»

Auch Shaqiri erklärte die Geste aus der Emotion heraus, wollte keine Politik in seinem Handeln erkennen. Aber Shaqiri war es auch, der im Vorfeld mit dem Post eines Bildes in einem sozialen Netzwerk für harsche Reaktionen auf serbischer Seite gesorgt hatte. Das Bild zeigte ein Paar Fussballschuhe, auf einem war die Flagge der Schweiz zu sehen, auf dem anderen die des Kosovo. 

Der Schweizer Verband verbot die Doppeladler-Jubelgeste seinen Spielern 2014. Und weil die Fifa politische Gesten während Turnieren verbietet, könnten auf Xhaka und Shaqiri noch Strafen zukommen. Der Schweizer Trainer Vladimir Petkovic, der ebenso wie sein serbischer Kollege Mladen Krstajic im Vorfeld der Begegnung sehr bemüht war, die politische Note aus dem Spiel zu halten, sagte nach dem Abpfiff: «Zu der Aktion von Xhaka und Shaqiri kann ich nur sagen, dass man den Sport nicht mit der Politik mischen sollte, man soll Respekt haben und fair bleiben.»

Neu befeuerte Secondo-Debatte

Auch in der Schweiz kommt der Jubel bei vielen nicht gut an, eine jüngst von Roger Köppel neu befeuerte Debatte um die Secondos, also die Nachfahren von Emigranten in der Nationalmannschaft könnte wieder aufbrechen. SVP-Aushängeschilder wie Natalie Rickli gingen bereits per Tweet auf Distanz zum Nationalteam.

SRF-Kommentator Sascha Ruefer, der Shaqiri wie schon im Spiel gegen Brasilien immer wieder wegen mangelnder Abwehrarbeit kritisierte, sah die Freude über den Sieg durch die Jubelgesten getrübt. Im Studio sprachen Moderator Rainer Maria Salzgeber und Experte Beni Huggel fast mehr über den «Doppeladler» als über den Sieg und einzelne Spielszenen.

Huggel merkte immerhin vorsichtig an, dass Leute wie er und Salzgeber, die nicht mit zwei Nationalitäten aufgewachsen sind, nur schwer einschätzen könnten, was eine solche Partie in den Spielern auslöst. Ansonsten aber kam manchem Zuschauer der Gedanke, dass es nicht schaden könnte, wenn die SRF-Sportreporter sich ab und zu auch mit Geschichte und Politik befassen würden.

Dies alles führt zu einem bitteren Beigeschmack nach einem grossartigen Fussballspiel, in dem die Schweiz ihrem Anspruch gerecht wurde, bei diesem Turnier endlich wieder einmal über das Achtelfinale hinauszukommen. Das letzte Mal gelang dies 1954 bei der WM im eigenen Land.

Manifestes Selbstvertrauen

Es waren Xhaka und Shaqiri, die sich in der zweiten Halbzeit zu den besten Spielern ihrer Mannschaft aufschwangen. In den ersten 45 Minuten hatten die Serben ihre Gegenspieler mit einer extrem physischen Spielweise beeindruckt.

Besonders am wuchtigen Mittelstürmer Aleksandar Mitrovic prallten die Schweizer Abwehrspieler immer wieder ab wie an einer Mauer. Der Profi vom englischen Zweitligisten FC Fulham köpfte seine Elf nach sechs Minuten auch in Führung.

In der Halbzeit habe es dann «Wortgefechte» in der Schweizer Kabine gegeben, erzählte hinterher Dzemaili, der zwei grosse Chancen vergeben hatte und später gegen Breel Embolo ausgetauscht wurde (72.).

Alleine dieser Wechsel zeigt das Selbstvertrauen, das Trainer Petkovic in seinem vierten Amtsjahr auch auf seine Mannschaft übertragen hat. Er wechselte beim Stand von 1:1 einen zweiten Stürmer ein, nachdem er direkt nach der Pause den schwachen Haris Seferovic durch Gavranovic ersetzt hatte. «Wir haben in der Halbzeit eine Reaktion gezeigt und wollen Spiele immer gewinnen, auch, wenn wir in Rückstand geraten», erklärte Petkovic. Seine Elf sei schon beeindruckt gewesen von der Kulisse, glaubte er. Weil die russischen Zuschauer die Mannschaft des befreundeten Landes Serbien bei dieser WM unterstützen, fühlte sich die Atmosphäre wie ein Auswärtsspiel für die Schweizer an.

Heute können die Schweizer solche Spiele drehen

Vor allem Xhaka und Shaqiri wurden bei jedem Ballkontakt gnadenlos ausgepfiffen. «Aber das mit den Pfiffen wussten wir, das hat uns nichts ausgemacht», meinte Shaqiri, der so gut spielte und trickste wie seit Langem nicht mehr. Nach einer schwachen Saison in England mit Stoke City, die mit dem Abstieg endete, spielt sich der dynamische Dribbler mit Leistungen wie am Freitag wieder in den Fokus grosser Vereine. Gerüchten zufolge soll der FC Liverpool Interesse an einer Verpflichtung des ehemaligen FCB-Profis haben.

Doch zunächst will Shaqiri mit der Schweiz an dieser WM weit kommen. Er sagt: «Man sieht seit Jahren, dass wir eine sehr gute Entwicklung haben. Wir sind ruhig geblieben und haben das Spiel noch gedreht. Das hätten wir vor ein paar Jahren nicht geschafft.» Schon beim Auftakt gegen Brasilien lag diese Elf zurück und trotzte dem Favoriten doch noch das 1:1 ab. Durch einen Sieg zum Vorrundenabschluss gegen Costa Rica am Mittwoch in Nischni Nowgorod könnte die Schweiz die Gruppe sogar als Erste abschliessen.

Schwingen mit zwei gegen einen

Die Serben haderten mit dem deutschen Schiedsrichter Felix Brych wegen eines nicht gegebenen Penaltys. Zugegeben: Schwingen ist in der Schweiz Nationalsport, doch tritt man dabei nicht zwei gegen einen an wie Schär und Lichtsteiner gegen Mitrovic in der 66. Minute.

Serbien muss nun gegen Brasilien gewinnen, um sicher im Turnier zu bleiben. Ein Remis würde dafür nur genügen, sollte die Schweiz gegen das schon ausgeschiedene Costa Rica verlieren und Serbien am Ende das bessere Torverhältnis haben.

Aber im Schweizer Team ist das Selbstvertrauen nach diesem tollen Sieg in Kaliningrad riesig. Und bisher ist diese Mannschaft bei dieser WM noch an jeder Herausforderung gewachsen.

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