Die Schweiz ist eine Weltmacht im Tennis – allerdings nur auf Zeit

Die Schweiz nimmt eine Vormachtstellung im Welttennis ein. Hinter den grossen Namen Roger Federer und Stanislas Wawrinka kommen aber kaum Spieler nach. Es droht dereinst der Verlust der Medienpräsenz und ein aussichtsloser Konkurrenzkampf gegen andere Sportarten.

Switzerland's Roger Federer (R) speaks to his team mate Stanislas Wawrinka during their Davis Cup final doubles tennis match against France's Julien Benneteau and Richard Gasquet at the Pierre-Mauroy stadium in Villeneuve d'Ascq, near Lille, November 22, 2014. REUTERS/Pascal Rossignol (FRANCE - Tags: SPORT TENNIS)

(Bild: Reuters/PASCAL ROSSIGNOL)

Die Schweiz nimmt eine Vormachtstellung im Welttennis ein. Hinter den grossen Namen Roger Federer und Stanislas Wawrinka kommen aber kaum Spieler nach. Es droht dereinst der Verlust der Medienpräsenz und ein aussichtsloser Konkurrenzkampf gegen andere Sportarten.

In jenem leicht unwirklichen Moment, in dem Stan Wawrinka zuletzt auf dem Pariser Centre Court den «Unschlagbaren» («L’Equipe»)  dann doch geschlagen hatte, den Serben Novak Djokovic, da hob daheim auch eine Debatte an. Markierte der Tag, die grosse Stunde des neuen Titelhalters von Roland Garros, auch den endgültigen Aufstieg der Schweiz zur Tennisnation Nummer 1?

Nicht mehr und nicht weniger als diese Machtfrage stand da plötzlich im Raum.

Wobei man sofort bei der fast philosophischen Bemerkung John McEnroes wäre, der einmal auf die Frage nach Rekorden, Bestwerten und Ranglistenplätzen im Tennis-Wanderzirkus gesagt hatte: «In diesem Sport ist stets alles im Fluss. Nichts ist endgültig und für immer.»

Die lange Liste der herausragenden Aktiven

Aber gut. Man darf sich schon den Status quo im Welttennis in diesem Frühling anschauen und feststellen, dass die Schweiz das effizienteste und aufregendste Land auf der Weltkarte ist: 8,2 Millionen Einwohner, 165’000 organisierte Tennisspieler.

Und doch stellt das Land den Mann, der bereits zu Lebzeiten als Legende seines Sports gilt (Roger Federer); den Mann, der zwei der letzten sechs Grand-Slam-Turniere gewonnen hat (Stan Wawrinka); die Frau, die im letzten Jahr zu den grössten Aufsteigerinnen der Damenszene gehörte und in Paris bis ins Halbfinale vorpreschte (Timea Bacsinszky); die Frau, die bei ihrem jüngsten Comeback Platz 1 der Doppel-Weltrangliste zusammen mit der Inderin Sania Mirza eroberte (Martina Hingis); und es stellt ein Davis-Cup-Team, das im letzten Jahr vor allen anderen grossen Nationen durchs Ziel ging und schliesslich auch noch im Finale einen Auswärtscoup in Frankreich errang.

Frankreich? Ja, genau. Das grosse Land, das dank eines Grand-Slam-Wettbewerbs Jahr für Jahr Millionen in sein Talent-Fördersystem stecken kann, aber seit 1983 bei den Herren auf einen Grand-Slam-Champion wartet.

Die Cracks über 30

Fast alle der erwähnten Schweizer Cracks haben noch eine gute Zeit vor sich im Tennisbetrieb. Aber eine Ewigkeit dauern die meisten dieser Karrieren auch nicht mehr.

Federer wird demnächst 34 Jahre alt, Martina Hingis ist schon 34, Stan Wawrinka hat gerade die Dreissigergrenze überschritten – nur Bacsinszky könnte im Idealfall noch ein ganzes Jahrzehnt die Welt des Wanderzirkus bereisen.

So weist der Altersquerschnitt darauf hin, wie glücklich sich die Schweiz zwar im Hier und Jetzt fühlen kann. Aber wie sehr sie auch schon, insbesondere bei den Herren, eine Blutauffrischung benötigt. Hinter Federer und Wawrinka, den reiferen Herren, tut sich nicht besonders viel. Eigentlich: gar nichts.

Chancenlos im Davis Cup, wenn die grossen Namen nicht dabei sind

Als die Schweizer in dieser Saison zum Erstrundenspiel im Davis Cup in Belgien antraten, offenbarte sich ein Blick auf die Zukunft ohne Federer und Wawrinka. Die beiden länderspielmüden Champions fehlten, also konnte Kapitän Severin Lüthi keinen einzigen Spieler aufbieten, der unter den Top 250 der Weltrangliste platziert war.

Die Herren Henri Laaksonen, Michael Lammer (inzwischen in den Ruhestand getreten), Adrien Bossel und Yann Marti schlugen sich wacker und achtbar, verloren aber doch folgerichtig gegen das stärkere Team des kleinen Benelux-Landes.

Die besten Spieler unter den Top 1000, die unter 25 Jahren sind und aus der Schweiz kommen, sind zurzeit Sandro Ehrat (24/ATP 589) und Luca Mararoli (23/ATP 804) – beide Lichtjahre von der Weltspitze entfernt.

Augenblick, verweile doch, du bist so schön

Nur: Erfolgreiche Lokalmatadore braucht es an allen Ecken und Enden – für die Medienpräsenz, für die Wahrnehmung des Tennis im harten Konkurrenzkampf mit anderen Sportarten. Aber auch für den erfolgreichen Betrieb von Tennisturnieren, auch in Basel, dem Schauplatz der Swiss Indoors. 

So wirkt die Macht der Schweiz in diesem Jahr 2015 wie eine Macht auf Abruf. Die grossen Stars sind auf die Zielgeraden ihrer Karriere eingebogen. Wie lange sie sich an der Spitzen behaupten können, weiss keiner. Bleibt mit Goethes Faust dies: «Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön.»

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