Einigermassen ernüchternd fällt der Auftritt der Schweiz im EM-Qualifikationsspiel gegen England aus. Beim 0:2 präsentiert sich die Nationalmannschaft in Wembley lediglich als höflicher Gast, entpuppt sich ansonsten jedoch als zahnlos.
Nach dem Schlusspfiff in Wembley streckte Gökhan Inler seine Arme am Mittelkreis in den Londoner Nachthimmel. Es sah in diesem Augenblick so aus, als habe sich die Schweizer Fussballnationalmannschaft – wie zuvor bereits England – erfolgreich für die im nächsten Sommer anstehende Europameisterschaft in Frankreich qualifiziert. Der Eindruck jedoch täuschte gehörig und verflüchtigte sich auch sofort, weil Inler nicht jubelte, sondern Wayne Rooney umarmte und beglückwünschte zu dessen 50. Länderspieltreffer.
Nationaltrainer Vladimir Petkovic bewertet die Leistung seiner Mannschaft ganz anders als viele Beobachter in Wembley. So urteilt auch der «Tages-Anzeiger» scharf: «Chancenlos».
Noch ehe Inler den nun alleinigen Rekordtorschützen Englands wieder losgelassen hatte, ordneten sich bereits nacheinander Timm Klose, Ricardo Rodriguez und Xherdan Shaqiri in die Reihe der Gratulanten ein. Es war das einzige Mal an diesem Dienstagabend, dass die Schweizer schneller waren als ihre Gegenspieler.
Die Schweizer Nationalmannschaft war beim 0:2 im Qualifikationsspiel der Gruppe E im nicht vollbesetzten Wembley-Stadion der Gast – und so benahm sie sich auch: brav und ambitionslos. Ohne ins Geschehen einzugreifen, verfolgte Vladimir Petkovic‘ Auswahl, wie die Engländer Rooney den roten Teppich ausrollten. Sechs Minuten vor Abpfiff hielt Granit Xhaka dann die Zeit für gekommen, dem Rekordjäger auch noch ein Geschenk auszuhändigen.
Xhaka foulte im Strafraum Raheem Sterling und Rooney durfte zwei Monate vor seinem 30. Geburtstag aus elf Metern die 45 Jahre alte Torbestmarke von Bobby Charlton in die Archive schiessen. Die 75’751 Zuschauer zückten ihre Mobiltelefone und Kameras für Erinnerungsfotos; in den Logen applaudierten Uefa-Präsident Michel Platini und David Beckham. Charlton sendete von zuhause aus eine Grussbotschaft an den Angreifer. «Es ist ein grosses Gefühl, ein Traum wird wahr», sagte Rooney, diese Nacht werde er nie vergessen.
Die Schweiz und der Abstand zu den Grossen
Für die Schweiz hingegen war es eher eine Nacht zum Vergessen. Vor etwas mehr als vier Jahren trotzten sie am gleichen Ort den Engländern ein 2:2 ab. Die Partie gilt als Geburtsstunde des aktuellen Nationalteams. Der Schweiz diente jenes Ergebnis als Massstab auf dem Weg, den Abstand zu den führenden Fussballnationen verringern zu können. Damals durften die Basler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri im Alter von 18 und 19 Jahren ihre Länderspieldebüts in der Startelf feiern. Und Inler gab seinen Einstand als Captain. Jetzt sagt er: «Wir müssen uns weiter entwickeln, um mal einen grossen Gegner zu besiegen.»
Längst laufen Xhaka und Shaqiri nicht mehr für den FC Basel auf, sondern für Borussia Mönchengladbach und Stoke City. Überhaupt stehen alle Akteure der Anfangsformation von Wembley bei internationalen Vereinen unter Vertrag. Sie sind dem Status der unbekannten Neulinge entwachsen, gehören nun der Kategorie der halbprominenten Fussballstars an.
Ein Sieg gegen England hätte ihren Stern weiter erhellen können. Diese Chance haben sie ungenutzt verstreichen lassen. Dabei ist es gar nicht mal so sehr das Resultat, das ernüchtert: Es ist die Leistung. Das Spiel der Schweiz hatte lange Zeit die Intensität eines Regenerationstrainings. Am vergangen Samstag hatten sie ordentlich Kraft gelassen beim 3:2 gegen Slowenien und den drei Treffern in der letzten Viertelstunde.
Shaqiri als Sinnbild: Seine Spielfreude endete, wenn ein Gegner hinzukam
So mussten sich die etwa 5000 mitgereisten Nati-Anhänger eine halbe Stunde lang gedulden, bis sich einmal einer ihrer Spieler zur Wehr setzte. Die Samthandschuhe zogen sie dennoch erst aus, als Harry Kane die Engländer in Führung brachte (67.). Zuvor liess die Tannenbaumformation von Nationaltrainer Vladimir Petkovic mit drei defensiven Mittelfeldspielern vor der Abwehr jegliche offensive Kreativität ersticken. «Ich glaube, wir haben kein einziges Mal so richtig aufs Tor der Engländer geschossen», merkte Schlussmann Yann Sommer kritisch an.
Die besten Tormöglichkeiten vergab Shaqiri, dessen Spielfreude dort endete, wo ein Gegenspieler hinzukam. Seit seinem Wechsel zu Bayern München geht es für ihn stetig die Treppenstufen auf der Karriereleiter wieder nach unten. Weder in München noch bei Inter Mailand hat sich Shaqiri behaupten können.
Vier Punkte fehlen zur sicheren Qualifikation
Trotz der Niederlage bleibt der Schweizer Nationalelf in der Tabelle noch ein Sieg Vorsprung auf den Dritten Slowenien. Aufgrund des verlorenen direkten Vergleichs müssen allerdings in den beiden abschliessenden Spielen im Oktober gegen San Marino (in St. Gallen) und Estland (in Tallinn) vier Punkte her. Das sollte im Bereich des Machbaren liegen. Sonst droht wie schon 2012, die Europameisterschafts-Endrunde zu verpassen.
Die Tabelle der Gruppe E nach acht von zehn Spielen. Die ersten beiden Team qualifizieren sich für die Endrunde in Frankreich. Die Schweiz spielt noch gegen San Marino (h) und Estland (a), Slowenien trifft ebenfalls daheim auf Litauen und beendet die Pool in San Marino. (Bild: Screenshot uefa.com)