Am Wochenende gehen die entscheidenden Runden der Nationalliga A über die Bühne. Die ganze Schachschweiz gastiert dafür in Riehen – wo der ortsansässige Verein endlich zuoberst stehen will.
Die Schachgesellschaft Riehen will endlich den Fluch besiegen. Auf heimischem Terrain gedenkt der erfolgreichste Schachklub den ersten Schweizer Titel zu erobern. 2011, 2013 und 2014 scheiterte das Team von Peter Erismann jeweils knapp und wurde Vizemeister.
Am Wochenende droht der internationalen Auswahl des ehemaligen Nationaltrainers erneut dieses Schicksal: Vor den letzten beiden Runden in der Schweizer Mannschaftsmeisterschaft (SMM) liegt das Oktett wieder nur in Lauerstellung.
Die wichtigsten Partien des Meisterschaftsfinales werden im Internet übertragen. » Link
Doch diesmal hat die SG Riehen ihr Schicksal selbst in der Hand: Am Samstag (13 Uhr) empfängt der Tabellendritte im Landgasthof den Spitzenreiter. Der Club d’échecs de Genève hat bisher zwar in sieben Runden noch keinen Punkt abgegeben, aber die Genfer haben das schwerste Restprogramm.
Zürich wohl kaum bis in die Haarspitzen motiviert
Erst spielen die Westschweizer gegen Riehen, das mit 12:2 Zählern knapp dahinter folgt. Am Sonntag (11 Uhr) trifft der Tabellenführer ausserdem auf den zweiten Verfolger, die SG Luzern (ebenfalls 12:2).
«Sollten wir in der achten Runde gegen Genf gewinnen, dann ist der Titelkampf völlig offen», glaubt Matthias Rüfenacht, das Zünglein an der Waage sei die viertplatzierte SG Zürich (11:3). Der älteste Schachverein der Welt trifft zuerst auf Luzern und dann auf Riehen. «Die haben nur noch minimale Chancen auf den ersten Platz», erwartet Rüfenacht indes keinen bis in die Haarspitzen motivierten 24-fachen Schweizer Rekordchampion.
Matthias Rüfenacht in Aktion. (Bild: zVg)
Mut macht der SG Riehen der 4,5:3,5-Erfolg in der sechsten Runde über die bis dahin ebenfalls noch ungeschlagenen Luzerner. Der Tabellenzweite tritt in Bestbesetzung mit dem ehemaligen deutschen Weltranglistendritten Robert Hübner an, der 1980 das Kandidatenfinale gegen die russisch-schweizerische Legende Viktor Kortschnoi abgebrochen hatte.
Veteran Kortschnoi ist angeschlagen
Der inzwischen 84-jährige Veteran Kortschnoi ist gesundheitlich schwer angeschlagen und spielt deswegen nicht mehr in der SMM. Vadim Milov steht deshalb bereits seit langem auf Position eins in der nationalen Rangliste.
Nach seinem Wechsel von Riehen nach Luzern holte Milov bisher 3:1 Punkte für seinen neuen Verein. Die Schwächung ist sicher mit ein Grund, warum die Gastgeber während der Saison jeweils einen Punkt abgaben bei den 4:4 gegen Winterthur und Reti Zürich.
Kapitän Erismann sieht aber noch lange nicht alle Felle davonschwimmen: «Obwohl die Genfer klare Favoriten sind, gehen wir natürlich mit dem Ziel in die Schlussrunde, sie abzufangen», betont der Kapitän des einzigen Titelanwärters in diesem Jahr, der noch nie Schweizer Champion war.
Das Fell verteilen, wenn der Bär erlegt ist
Aber natürlich möchten auch die anderen Topteams Platz eins einheimsen: «Wenn man als ungeschlagener Tabellenführer in die Schlussrunde geht, will man natürlich auch Meister werden», verkündet Patrice Delpin auf der Verbandsseite des Schweizerischen Schachbundes (SsB) und schiebt nach, «doch man kann das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.»
Der Vereinspräsident fürchtet einen ähnlichen Verlauf wie 2011, als die Genfer mit an der Spitze lagen und daheim in der Schlussrunde nur einen Punkt einfuhren. Rang vier war die Folge. In der darauffolgenden Saison holten die Genfer jedoch das Versäumte nach und wurden zum dritten Mal Champion.
«Dieser Titelgewinn ist weiterhin in bester Erinnerung und gibt uns Selbstvertrauen für die diesjährige Schlussrunde. Ich glaube deshalb, dass unsere Chance höher als 50 Prozent ist, dass wir Meister werden», verkündet Delpin daher auf der SsB-Webseite.
Die Innerschweizer wollen nach den Sternen greifen
Auf nur 25 Prozent taxiert dort Luzerns Kapitän und Spieler Oliver Kurmann seine Chancen. «Doch die Meisterschaft ist noch offen und das Potenzial bei uns klar vorhanden – warum also nicht nach den Sternen greifen?» Die Innerschweizer standen bisher lediglich einmal ganz oben (1991).
Das nominell stärkste Kader nach den Elo-Weltranglisten-Zahlen besitzt Genf. Allerdings sind die Unterschiede nur marginal, so dass eine Überraschung in einer Partie genügt, um ein knappes Ergebnis auf den Kopf zu stellen.
Fans, die die Partien nicht nur im Internet verfolgen, werden im «Landgasthof» zahlreiche Grossmeister zu Gesicht bekommen. Genf führen Andrei Istratescu, Andrej Sokolow und Romain Edouard an. Beste Punktesammler neben dem Rumänen Istratescu (3:2 Punkte) sind Claude Landenbergue (4:1), Clovis Vernay (5,5:1,5) und vor allem Richard Gerber (6:1).
«Mr. Nationalliga»
Bei Luzern stehen neben Milov die Legenden Hübner und Vlastimil Hort im Mittelpunkt. Im ausgeglichen bestückten Kader ragt bisher am ehesten Roger Gloor (3,5:0,5) heraus.
Dass Rekordmeister Zürich minimale Chancen wahrte, liegt vor allem am französischen Grossmeister Christian Bauer und dem deutschen Grossmeister Lothar Vogt, die beide 6:1 Zähler anhäuften. Eine Bilanz, die Jörg Hickl in den vergangen Jahren häufig für Riehen unter Dach und Fach brachte und deshalb schon als «Mr. Nationalliga» galt.
Heuer überzeugte der Hesse mit 4,5:1,5 Punkten, kam aber nicht ganz an die Erfolge früherer überragender Saisons heran. Der Franzose Olivier Renet trumpfte mit 5,5:1,5 Zählern bisher mehr auf.
Nachwuchsarbeit in Riehen
Sollte Riehen zum vierten Mal in dieser Dekade nur Vizemeister werden – in der Schweizer Gruppenmeisterschaft (der ehemaligen Liga des Arbeiterschachbundes, der sich in den SsB integrierte) war man zudem 2011 auch Zweiter – , geht die Welt nicht unter für die mehr als 100 Mitglieder.
Der 1928 gegründete Verein legt vor allem Wert auf gute Nachwuchsarbeit. Rund 30 Kinder erfreuen sich am königlichen Spiel. 2011 bekam der Klub deshalb auch den Sportpreis der Gemeinde Riehen verliehen.
«Zur Nummer eins in der Region sind wir aus meiner Sicht geworden, weil die SG Riehen einerseits das Breitenschach sowie gute Juniorenförderung und andererseits das Spitzenschach vorantreibt», befindet Rüfenacht. Er selbst ist das beste Beispiel für die gute Nachwuchsarbeit: Die gute Seele des Vereins lernte dort das Spiel auf den 64 Feldern und wurde einer der weltbesten Fernschachspieler.
Das Tüpfelchen auf dem i
Bei den Duellen, bei denen früher mit Postkarten die Spielzüge verschickt wurden und heute per E-Mail an die Gegner gehen, ist Rüfenacht aktuell deutscher Mannschafts-Meister. Den Titel würde er natürlich nur zu gerne gegen seinen ersten schweizerischen mit seiner SG Riehen eintauschen. «Das wäre das Tüpfelchen auf dem i», sagt er.
Vereinspräsident Ruedi Staechelin – berühmter Kunstsammler und Mäzen sowie auch schon SsB-Präsident – und Erismann als Sport-Manager und Macher garantieren, dass es Riehen nicht wie Allschwil ergehen wird. Der achtfache Schweizer Meister beherrschte jahrelang die Szene.
Nachdem Förderer Werner Hafner starb, verschwand der Verein in der Versenkung und stellt heute nicht einmal mehr ein Team in der Schweizer Mannschaftsmeisterschaft. So ist der Schachverein Birsfelden beider Basel/Rössli die Nummer zwei in der Region und kämpft in der Nationalliga B zusammen mit Riehen II um den Titel.
Im Oberhaus an den Medaillen schnuppern
Riehen II darf nicht aufsteigen wegen der ersten Mannschaft, die anderen wollen nicht. Birsfelden beider Basel/Rössli will sich gar im nächsten Jahr in die 1. Liga zurückziehen, berichtet Rüfenacht und schiebt nach, «und Therwil ebenso».
Wenigstens stimmt der Unterbau bei seinem Verein: Fünf Herren-Mannschaften spielen mit grossem Erfolg in der SMM und drei in der SGM. In der ehemaligen Runde des Arbeiterschachs gibt der Verein kaum Geld aus – wegen seiner ausgeglichenen Truppe schnuppert man trotzdem immer wieder im Oberhaus an den Medaillen.