Die Tage der Dickhäuter

Der Trainerwechsel des FC Basel hat die Stadt aufgewühlt. Murat Yakin und die Entscheidungsträger lassen es über sich ergehen.

Murat Yakin, neuer Trainer des FC Basel am Dienstag, 16. Oktober 2012 in Basel beim ersten Training auf dem Trainingsfeld. (KEYSTONE/Sigi Tischler) (Bild: Keystone/Sigi Tischler)

Der Trainerwechsel des FC Basel hat die Stadt aufgewühlt. Murat Yakin und die Entscheidungsträger lassen es über sich ergehen.

Emine war auch da. Die Sonne strahlte am Dienstag über dem Vormittagstraining des FC Basel. Die Mutter des neuen FCB-Trainers hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt, sich in eine dicke Wolljacke gehüllt, um der morgendlichen Frische zu trotzen, und sich ein Plätzchen auf der einzigen, kargen Bank ergattert, die am Übungsplatz zu finden ist. Emine Yakin beim Training des FC Basel – das gehörte vor einem Jahrzehnt, als ihre Söhne Murat und Hakan beim FCB spielten und Titel sammelten, zum gewohnten Bild in Basel. Jetzt ist Emine zurück.

Ist der Trainerwechsel des FC Basel richtig?In der Wochendebatte diskutiert Michael Martin, Mit-Herausgeber der Fussball-Magazine «Foot» und «rotweiss», mit Roland Suter, ­Intendant des Theaters im Teufelhof, den Trainerwechsel. Reden Sie mit auf tageswoche.ch/wochendebatte.

Und Murat, der ältere der beiden professionell Fussball spielenden Söhne. Angesichts des Paukenschlags, mit dem der FCB am Montag den unvermittelten Wechsel in der sportlichen Leitung herbeigeführt hat, war es tags darauf auf den Sportanlagen St. Jakob vergleichsweise ruhig. Einige Schaulustige, ein paar Journalisten, dazu FCB-Sportdirektor Georg Heitz und Chefscout Ruedi Zbinden – das war es.

Keine Anzeichen für den Pferdewechsel im Galopp

Am Morgen hatte Yakin mit seinem Staff zusammengesessen. Marco Walker kennt er aus dem Nationalteam, Massimo Colomba aus der Zeit bei GC. Markus Hoffmann, zu Jahres­beginn als neuer Assistent für Heiko Vogel geholt, muss er erst kennen­lernen. Hoffmann wirkte am Dienstag noch ein bisschen verwirrt. Ging ja ­alles sehr rasch am Montag: die Freistellung Vogels, die Inthronisierung Yakins, und alles, ohne dass es das ­geringste Anzeichen für einen Pferdewechsel im Galopp gegeben hätte.

Darüber, was konkret zur Absetzung Vogels geführt hat, herrscht noch immer Irritation. «Es wurde an der Medienkonferenz alles gesagt», beschied Heitz den Nachfragern. Es bleibt also bei technokratischen Formulierungen wie dem «Beurteilungsprozess des Istzustandes und der ­perspektivischen Lage» und den «verschiedenen Auffassungen hinsichtlich der weiteren Gestaltung der Zusammenarbeit».

Bernhard Heusler hat einiges auszuhalten in diesen Tagen. Darauf war der FCB-Präsident gefasst, musste er gefasst sein, als die «unerfreuliche, sehr unpopuläre und schmerzhafte Massnahme» verkündet wurde. «Wir sind nicht stolz darauf», sagt Heusler einerseits, um im gleichen Atemzug zu betonen: «Ein Zurückschauen gibt es im Fussball nicht. Nur den gegenwärtigen Zustand der Mannschaft. Es gab eine Tendenz, die uns nicht gefallen hat.» Darauf zu reagieren, sei die Aufgabe einer Clubleitung.

Der unbequeme Weg

Wenn Kommentarspalten der Onlinemedien oder Fanforen nur annähernd ein Abbild der Stimmungslage sind, dann hat die Clubleitung keinen bequemen Weg gewählt. Es findet sich fast niemand, der sich nicht über die faktische Entlassung Vogels empört, und zugleich kaum jemand, der sich über Yakins Verpflichtung freut. Ein Facebook-Account («Danke Heiko ­Vogel») hatte bis Donnerstag über 7400 Freunde – Tendenz steigend.

Dass das Entrée bei seiner Rückkehr nach Basel – zumal unter diesen Umständen – nicht ganz einfach werden würde, das dürfte Yakin ebenso bewusst gewesen sein wie den Ver­antwortlichen beim FCB. Man hat den Eindruck, dass sie sich mit ihrer Entscheidung für die abrupte Rochade auf der Trainerposition eine dicke Haut verordnet und die Sturmhaube übergezogen haben. Sportdirektor Heitz liess sich zumindest am Dienstag nicht anmerken, dass ihn die heftigen Reaktionen in seinem Urteil anfechten würden.

Die Wahrheit wird in Stückchen ans Licht kommen

Es wird wahrscheinlich wie so oft sein: Wochen, vielleicht auch erst Monate später wird nach und nach, Satz für Satz durchsickern, was sich derzeit noch verbirgt hinter Formeln wie «keine gemeinsame Basis».

Ohne die Differenzen mit Vogel beim Namen zu nennen, spricht Sportdirektor Heitz von «zum Teil elementaren unterschiedlichen Auffassungen». Wie es dazu nur fünf Monate nach den Basler Dauerfeierlichkeiten kommen konnte, erklärt Heitz auch nur oberflächlich: «Der Erfolg rechtfertigt viel, da schaut man über vieles hinweg. Nur, weil man sich auf dem Balkon des Stadt­casinos in den Armen liegt, muss man nicht einer Meinung sein. Das hat sich nicht über Nacht entwickelt.»

Aussen die Feier, innen die Risse

Was heisst: Die Stadt feierte im Mai ihren Club, ihre Mannschaft und ihren Trainer, während sich im inneren Zirkel längst abgezeichnet hatte, dass die Lösung mit dem Assistenten Vogel als Nachfolger des abgewanderten Thorsten Fink gar keine so elegante und geniale war, wie vermittelt wurde. «Unsere Aufgabe ist es, einen ­Angestellten wie den Trainer nach ­aussen zu schützen», sagt Heitz, der Vogel in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren innerhalb des Clubs am nächsten gestanden hat.

Der FCB will nicht herausrücken mit den konkreten Beweggründen, weil er es dem geschassten Trainer versprochen hat. Und der hält den Mund, weil es entweder um 21 Monatslöhne bis Juni 2014 geht oder um eine Abfindung.

Yakin begegnet der Stimmungslage stoisch: «Ich respektiere die Reaktionen.» Dass ihm Goodwill nur in sehr überschaubarem Umfang entgegen- gebracht wird, umgeht Yakin mit dem Hinweis auf seine eigene Geschichte: «Nachdem ich meine Karriere beim FCB verletzungsbedingt aufgeben musste, bin ich meinen Weg ausserhalb von Basel gegangen, und dabei ist mir nichts geschenkt worden.»

Wo die Yakins sind, herrscht immer eine gewisse Hektik

Nur beiläufig geht Yakin auf die ­Begleitumstände seiner Installation als Cheftrainer beim FCB ein: «Es ist klar, dass ein spezielles Auge auf mich geworfen wird.» Seine Aussage: «Ich versuche, die Aufgabe mit Engagement, Selbstbewusstsein und Bescheidenheit anzugehen und der Verantwortung gerecht zu werden. Ich will volksnah sein, so bin ich», enthält wohl ganz bewusst die Botschaft «Bescheidenheit». Ein Wort, das in der Vergangenheit mit den Yakin-Brüdern viel weniger in Verbindung gebracht wurde als Glamour oder eine gewisse Hektik, egal, wo sie gewirkt haben.

Yakin passt ganz gut in die Tage der Dickhäuter, die in Basel angebrochen sind. Mit seinem gegen aussen transportierten, scheinbar unerschütterlichen Selbstvertrauen hat er schon manche Kritik an sich abperlen lassen.

Oft wird ihm diese dicke Haut als Arroganz ausgelegt. Dabei dürfte sie ihm schon in jungen Jahren gewachsen sein, in denen er als Immigrantenkind einer alleinerziehenden Mutter in Münchenstein einerseits rassistischen Hänseleien ausgesetzt war. Und andererseits bereits als 13-Jähriger die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen musste, weil Mutter Emine kein Deutsch sprach. Verhandlungen mit der Sozial­behörde und Elternabende seines jüngeren Bruders inklusive.

Verteidiger des jungen Bruders

Hakan Yakin scheint auch das einzige Thema zu sein, bei dem Murat in der Öffentlichkeit seine Ruhe verliert. Auch, weil er sich stets wie eine Löwenmutter vor den jüngeren Bruder stellt, ist Murats Wiedereinstieg beim FCB belastet. Als Hakan im Dezember 2011 im Joggeli gnadenlos aus­gepfiffen wird, nennt Murat das Publikum «absolut niveaulos». Es sind Worte, die ihn noch eine Weile begleiten werden. In solchen Dingen haben Basler ein Elefantengedächtnis.

Geht es nicht um seinen Bruder, wirkt der 38-jährige Murat Yakin in sich ruhend. Er kann selbstironisch sein («Ich habe nach der Entlassung in Luzern nicht nur Golf gespielt») und nicht verbergen, von dem Trainer beeinflusst zu sein, unter dem er bei GC und in Basel am längsten gespielt hat: von Christian Gross. Wenn Yakin vom «Stolz, das FCB-Trikot zu tragen», spricht oder von den «Details», die er seinen Spielern mitgeben will, «damit sie gestärkt auf den Platz gehen», dann hört man den in der Spielvorbereitung schon fast pedantischen Gross heraus.

Yakin meldet sich auch mal um sechs Uhr Morgens

Der Ruf, der dem neuen FCB-Trainer vorauseilt, ist der eines schlauen Taktikers, der sich schon mal um sechs Uhr Morgens bei seinen Mitarbeitern meldet. Aus dem FC Thun, mit dem er in die Super League aufgestiegen ist, und dem FC Luzern, den er in den Cupfinal geführt hat, hat er viel herausgeholt. Und wenn ihm in Luzern zu defensives Spiel und Mutlosigkeit vorgeworfen wird, dann spricht das mehr für die übersteigerte Er­wartungshaltung in der Innerschweiz denn gegen den Trainer Yakin.

Der hat es wiederholt geschafft, den Fussball von Fink und Vogel zu decodieren und dem FCB Niederlagen zuzufügen oder zumindest grösste Mühe zu bereiten. Weniger klug war, immer wieder öffentlich auf die bescheidene Qualität im Kader hinzuweisen («Was soll ich machen? Ich arbeite mit den Spielern, die ich habe.»). Und als er seinem damaligen Präsidenten Walter Stierli an einem Fantreffen nahelegte, lieber etwas weniger mit der Presse zu sprechen, war sein Schicksal besiegelt. In Luzern ist Yakin nicht an sportlichen Problemen gescheitert – sondern an Lokalkönigen, denen er in der Sonne stand.

«Flexibel» will Yakin spielen lassen – mehr sagt er vorerst nicht

In Basel ist sein Spielraum zunächst beschränkt. Die Trainings­arbeit nahm er am Dienstag mit einem durch die Länderspiele dezimierten Kader auf. Bemerkungen über die Arbeit seines Vorgängers verkneift sich Yakin, der sagt, er sei in den vergangenen zwei Monaten ein intensiver Beobachter der Spiele des FC Basel gewesen. Was fast so klingt, als habe er sich auf seinen neuen Job vorbereitet.

«Flexibel» will er die Taktik halten, tiefer lässt er nicht in seine Überlegungen blicken. «Er hat keinen konkreten Auftrag», sagt Heitz, «er soll seine eigenen Schlüsse ziehen.» Dazu trainierte Yakin am Mittwoch hinter verschlossenen Türen. In einem internen Spiel wollte er sich einen Eindruck verschaffen, was zu korrigieren ist. «Um ein System hinzubekommen, in dem niemand allein gelassen wird.»

Vorerst hat Murat Yakin wieder Quartier im Hotel Mama bezogen. Einen Umzug aus dem Grossraum ­Zürich zurück nach Basel oder in die Region will er rasch vollziehen. Und wie die erste hohe Hürde zur Anerkennung in Basel zu meistern ist, weiss er auch: «Am Schluss zählen nur Resultate.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12

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