Ralf Rangnick hat nach überwundenem Burnout ein neues Projekt als Fussballarchitekt. Bei einem Forum in Zürich erzählt er von seinen Bekanntschaften mit Milliardären, den Zielen mit Salzburg und vor allem Leipzig und einem grossen Wecker, der auf dem Trainingsplatz rasselt, wenn es nicht zügig genug Richtung Tor geht.
2006 klingelte es bei Ralf Rangnick schon einmal, als er kurzzeitig ohne Job dastand. Am Telefon meldete sich ein gewisser Dietmar Hopp und wollte ihn von seinem Projekt TSG 1899 Hoffenheim überzeugen. Der schwäbische Fussballlehrer, ein paar Monate vorher nicht in völliger Harmonie vom FC Schalke 04 geschieden, glaubte zunächst an einen Stimmenimitator, spürte dann aber schnell, dass dies tatsächlich Dietmar Hopp war.
Der Mitbegründer des SAP-Konzerns suchte seinerzeit für den Ausbau seines drittklassigen Dorfvereins zu einem erstklassigen BundesligaClub sachkundige und begeisterte Mitstreiter. In dem inzwischen 54 Jahre alten Rangnick fand er den idealen sportlichen Wegbegleiter. Der systematische Tüftler und Vorkämpfer des modernen Fussballs sagte zu und führte den Kraichgauer Heimatclub des steinreichen Mäzens binnen zwei Jahren in die Bundesliga. Ein Märchen wie keines zuvor im deutschen Fussball war geschehen, quasi gekrönt durch die Herbstmeisterschaft im Winter 2008 vor dem grossen FC Bayern München.
Bis zum 1. Januar 2011 hielt die Laison zwischen Rangnick und den inzwischen im Bundesliga-Mittelfeld etablierten Hoffenheimern. Bis Rangnick, unzufrieden mit gewissen Entwicklungen in diesem auch von ihm salonfähig gemachten Club, am Neujahrstag zurücktrat und wenig später zu den «Königsblauen» nach Gelsenkirchen zurückkehrte. Dort musste er seine zweite Mission im September 2011, geplagt von einem Burnout-Leiden, vorzeitig aufgeben.
Mateschitz schwebt prompt im Helikopter ein
Ein Jahr später sass der inzwischen wieder gesunde Rangnick mit Freunden in einem Café seiner Heimatstadt Backnang, als wieder einmal das Mobiltelefon Laut gab. Diesmal begehrte ihn ein anderer Milliardär zu sprechen: Dietrich Mateschitz, Inhaber des Salzburger Red-Bull-Konzerns. Und wieder staunte der Trainer nicht schlecht, wie intensiv er umworben wurde. Drei Stunden nach dem Kennenlerngespräch schwebte der österreichische Unternehmer per Helikopter in Backnang ein.
So begann ein neues Aufbauwerk für den geübten Fussballarchitekten aus der Kleinstadt nahe Stuttgart. Rangnick sagte Mateschitz erst zu, als der sein Angebot, ihn zum Trainer und Sportdirektor beim österreichischen Meister Salzburg zu machen, erhöhte. Die österreichische Liga als Coach im Trainingsanzug kennen zu lernen, war nach Überwindung seiner Krankheit nicht Rangnicks nächstes Karriereziel. Als verantwortlicher Sportdirektor bei RB Salzburg und dem deutschen Bruderclub Rasen Ballsport Leipzig zu arbeiten, konnte er sich sehr wohl vorstellen.
Seit dem 1. Juli pendelt der umtriebige Fussballfachmann, der in Deutschland einer der Pioniere bei der Einführung der Zonendeckung war, zwischen seinen beiden Clubs hin und her. Dabei ist sein Auftrag klar umrissen: Er soll aus den Salzburgern eine auch in Europa konkurrenzfähige Mannschaft machen und die viertklassigen Sachsen aus der Stadt des ersten deutschen Meisters – es war der VfB Leipzig anno 1903 – binnen fünf Jahren in die Bundesliga katapultieren. Inzwischen führen die Sachsen in der Regionalliga Nordost mit grossem Vorsprung die Tabelle an, so dass Teil eins des möglichst raschen Aufstiegs zum Saisonende Wirklichkeit werden kann.
Fussball-Kulturbeauftragter eines Sportimperiums
Rangnick, der seine Pläne mit den Bullen am Montag beim jährlich in Zürch veranstalteten Forum «International Football Arena» vorstellte, soll aber mehr als nur ein Ergebnis abliefern. Er ist auch so etwas wie der Fussball-Kulturbeauftragte seiner beiden Clubs aus dem Sportimperium des Dietrich Mateschitz, zu dem in der Sektion Fussball noch der Club Red Bull New York und zwei Nachwuchsakademien in Ghana und Brasilien gehören. Also wird der Rangnick-Stil, ein schneller, umstandslos vertikal praktizierter Offensivfussball, als Teamwork-Produkt sowohl am Standort Salzburg als auch in der Gründerstadt des Deutschen Fussball-Bundes gelehrt.
«Ich war in meinen ersten Monaten so etwas wie ein Mannschafts-Baumeister», sagt Rangnick, der in Salzburg und Leipzig seine Vorstellungen vom modernen Fussball konsequent praktizieren lässt. So klingelt im Training eine Art grosser Wecker, wenn die beiden Mannschaften ihre Angriffe nach Balleroberung nicht binnen zehn Sekunden mit einem Torschuss abschliessen; so sollen Frieder Schrof und Thomas Albeck, die mehr als zehn Jahre die überaus erfolgreiche Jugendabteilung des VfB Stuttgart prägten, nun die Leipziger Rasenballspieler auf Touren bringen; so predigt der Herr Direktor aus Backnang bei Workshops der Red-Bull-Clubs eine «gemeinsame Philosophie» gegenüber rund vierzig Trainern, die der Getränkekonzern beschäftigt. «Unsere Mannschaften», hebt Rangnick hervor, «sollen immer agieren und nicht reagieren; sie sollen das Spiel diktieren, ob mit oder ohne Ball.»
Der nächste Kandidat aus der Designerwerkstatt von Red Bull
Mit den Mateschitz-Millionen, die einen Sebastian Vettel auf dem Weg zum Formel-1-Weltmeister im schnellsten Auto der Vollgasbranche beflügelten, ist auch im Fussball der Aufstieg an die Spitze denkbar. Nicht nur zum Vergnügen der Fans und der Vereinsoberen in den Bundesliga-Traditionsclubs, die nach den Werkclubs aus Leverkusen und Wolfsburg sowie dem mit Hopps Millionen gross gewordenen Dorfverein aus der Hoffenheimer Provinzidylle einen weiteren Rivalen aus der Designerwerkstatt eines grossen Unternehmens anrauschen sehen.
In Salzburg, am Stammsitz des Dosenkonzern, hat das Fussballexperiment seit 2005 rund 250 Millionen Euro verschlungen. Zwar wurden vier Meisterschaften in der Bundesliga eingefahren, die Champions League jedoch, von der Mateschitz träumte, kennen die Salzburger nur vom Hörensagen. Und der Zuschauerzuspruch ist im Sinken gegriffen.
«Nicht jeder liebt Red Bull», sagt Rangnick, «für mich ist aber entscheidend, dass wir die Gelder, die uns zufliessen, vernünftig einsetzen.» Daran arbeitet er nun jeden Tag, nachdem das Mateschitz-Projekt noch nicht über Regionalliga-Format hinausgekommen ist. In der Stadt des ersten deutschen Meisters macht der jüngste Fussballverein nach zwei Jahren Stillstand wieder von sich reden. Ginge es nach Rangnick, mit einem Fussball, den bald schon die Menschen in ganz Deutschland wie einst bei den Hoffenheimern zum Gernhaben gut finden sollen.