Seine Herkunftsbezeichnung ist Strassenfussballer, seine Karriere voller Wendungen, mit Spanien fährt der eingebürgerte Brasilianer Diego Costa zur WM – und vorher will der 25-Jährige mit Atlético Madrid gegen Chelsea (heute, 20.45 Uhr) in den Final der Champions League einziehen.
Strassenfussballer – in diesem Wort schwingt etwas Poetisches mit. Die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies des unverdorbenen Spiels – jedenfalls aus europäischer Perspektive. Dort, wo wirklich noch auf der Strasse gespielt wird, in Südamerika etwa, wird das tendenziell etwas anders gesehen. «In dem Fussball, den ich kennen lernte», erzählte Diego Costa einmal, «war es normal, dem Gegner einen Ellenbogencheck zu verpassen. Ich trat jemanden, und niemand warf mir es vor. Ich hatte keinen Respekt vor anderen. Ich dachte, dass man sich töten musste.»
Diego Costa weiss genau, wovon er spricht – mehr Strassenfussballer als er geht kaum. Erst mit 15 spielte der Angreifer von Atlético Madrid erstmals in einem Verein vor, und auch das eher gegen seinen Willen. Die Eltern hatten ihn aus seiner Geburtsstadt Lagarto im Nordosten Brasiliens zu einem Onkel nach São Paulo geschickt, der einen Elektrikladen hatte. «Ich wollte nicht Fussball spielen, sondern arbeiten und ein bisschen Geld verdienen, um mal ein Mädchen ausführen zu können». Doch der Onkel sah sein Talent, und es begann eine unglaubliche Karriere voller Wendungen.
Die vorerst letzte deutete sich vor einer Woche nach dem Halbfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Atlético und Chelsea an (0:0). Als er das Estadio Vicente Calderón verliess, warteten auf den Tribünen noch die englischen Fans auf ihren Abtransport. «Wir sehen Dich nächstes Jahr, Diego Costa, wir sehen Dich nächstes Jahr», sangen sie. Woraufhin ihnen der bullige Stürmer freundlich zuwinkte.
40 Spiele, 34 Tore – und jetzt lockt Chelsea
Costa ist begehrt nach 27 Saisontoren in 33 Einsätzen in der spanischen Liga sowie sieben Treffern in ebenso vielen Champions-League-Spielen, und vieles spricht für einen sommerlichen Wechsel zum heutigen Rückspielgegner. Die finanziellen Interessen des mit rund 250 Millionen verschuldeten Atlético etwa, das in vergangenen Spielzeiten immer wieder seine Stars wie Sergio Agüero oder Radamel Falcao zu Geld machte.
Ausserdem deutet auf einen Wechsel die mehrfach geäusserte Frustration von Chelsea-Coach José Mourinho über sein aktuelles Sturmpersonal und die markanten Parallelen in der Spielweise Costas zu Chelsea-Legende Didier Drogba. Schliesslich gibt es seinen Agenten: Der 25-jährige Diego Costa wird vom Portugiesen Jorge Mendes gemanagt, der auch seinen Landsmann Mourinho berät, wodurch dessen Vereinen oft eine Art informelles Erstzugriffsrecht auf seine Spieler zukommt.
Atlético-Trainer Diego Simeone bestätigte das Interesse der Londoner kürzlich: «Wir verstehen, dass Chelsea grosse Finanzkraft hat, und wenn Diego für den Rest seines Lebens vom Fussball leben kann, werde ich kein Problem damit haben, dass er geht». 60 Millionen Euro Ablöse soll Roman Abramowitsch bereits geboten haben. Heute jedoch muss er erstmal hoffen, dass Costa seinen Club verschont.
Symbol eines leidenschaftlichen und leidensfähigen Teams
Beim 0:0 im Hinspiel rieb sich Costa auf, gegen den von Mourinho perfekt geparkten Londoner Bus vor dem Chelsea-Tor blieb er ohne Wirkung. Das soll sich ändern: «Ich denke, dieses Spiel wird anders, Chelsea wird zuhause ein bisschen mehr aufmachen müssen». Ein Duell von Tempo, Physis und Nerven kündigt sich an – wie gemacht für Costa, der die Härte des Strassenfussballers inzwischen domestiziert, aber nicht verlernt hat, und damit zur Symbolfigur seiner so leidenschaftlichen wie leidensfähigen Mannschaft geworden ist, die sich ihre Erfolge mit enormem Aufwand erarbeitet.
An Costa ist das Drama dieser Partien immer gut abzulesen; er liefert ein Schauspiel der Gesichtszüge, oft schmerzverzerrt und fast ein bisschen melancholisch, dann wieder angriffslustig und herausfordernd. Er rangelt mit den Gegenspielern, bevorzugt mit deren Alphatieren wie bei Chelsea John Terry, und lamentiert mit dem Schiedsrichter, um im nächsten Moment wie eine Büffelherde auf die gegnerische Abwehr zuzulaufen. Ein Spektakel, denn Costa beherrscht dabei nicht nur alle Varianten, den Ball im Tor unterzubringen, sondern verfügt auch über gute Technik und Passqualitäten.
Mit Spanien zur WM
«Manchmal denke ich daran, wo er mit einer vollständigen Ausbildung von klein auf hätte landen können – er wäre bestialisch stark», sagt Jesús García Pitarch, Ex-Sportdirektor von Atlético, der ihn bereits 2007 aus Portugal verpflichtete. Jedoch dauerte es fünf Jahre und vier Ausleihstationen, ehe Costa bei dem spanischen Spitzenclub auch Fuss fassen konnte.
Nun wird er sogar für seine Wahlheimat zur WM nach Brasilien fahren und danach wird er Urlaub machen zuhause in Lagarto, wo er vor dem Haus seiner Grossmutter einen Bolzplatz anlegen lassen hat, um mit den Freunden von früher zu kicken, mit allen Bandagen, wie damals auf der Strasse.