Diethart fliegt allen um die Ohren

Thomas Diethart macht den Coup perfekt. Der 21-jährige Österreicher gewinnt überraschend aber souverän die Vierschanzentournee. Simon Ammann wird als Vierter von Bischofshofen Gesamt-Dritter.

Abgeklärt wie ein Routinier feierte Diethart vor Tausenden Zuschauern seinen Sieg. (Bild: Matthias Schrader / Keystone)

Thomas Diethart macht den Coup perfekt. Der 21-jährige Österreicher gewinnt überraschend aber souverän die Vierschanzentournee. Simon Ammann wird als Vierter von Bischofshofen Gesamt-Dritter.

Simon Ammann unternahm alles, was noch in seiner Macht stand. Bei knapp zehn Punkten Rückstand auf Thomas Diethart blieb ihm vor dem Tourneefinale in Bischofshofen auch gar keine andere Wahl, als höchstes Risiko einzugehen. In der Hoffnung auf die Gunst der Windsekunde oder einen Patzer des jungen Österreichers, der unmittelbar nach dem Schweizer an der Reihe war.

Doch die offensive Strategie des vierfachen Olympiasiegers ging nicht auf: Ammann versuchte im ersten Durchgang so lange in der Luft zu bleiben und Meter heraus zu schinden, dass er in seinem Übereifer beinahe das Landen vergass und fast wieder eine Bruchlandung fabriziert hätte. Der bis dahin weiteste Flug des Wettkampfes (137,5 Meter) ging eindeutig auf Kosten der Ästhetik und der Haltungsnoten. «Über diesen Sprung habe ich mich extrem geärgert. Das war nicht notwendig», sagte Ammann anschliessend.

Diethart völlig unbeeindruckt

Und was noch weit ernüchternder war als die schlechten Haltungspunkte: Dieser Teufelskerl namens Thomas Diethart zeigte sich selbst in dieser angespannten Situation völlig unbeeindruckt. Da trennte ihn nur mehr ein Katzensprung vor dem grössten Karriereschritt in seinem noch jungen Leben; da war er drauf und dran, ein weiteres Kapitel Sportgeschichte zu schreiben; da tobten die Massen im Auslauf der Paul Ausserleitnerschanze in Bischofshofen; da  schrien Tausende Anhänger lautstark seinen Namen; da fürchteten manche bereits um das Nervenkostüm des Senkrechtstarters und prophezeiten einen Absturz.

Und was machte Thomas Diethart? Er blieb die Ruhe und Souveränität in Person und raubte seinen beiden Widersachern Simon Ammann und Thomas Morgenstern mit einem formvollendeten Flug auf 138,5 Meter die letzte Illusion vom Tourneesieg.

Bereits zur Halbzeit war der Vorsprung auf  Ammann auf 16 Zähler oder umgerechnet knapp neun Meter gewachsen. Spätestens da war klar, dass diesem unbekümmerten Mann aus dem Flachland der Tourneesieg wohl nur mehr durch einen Blitzschlag oder eine Disqualifikation zu nehmen sein würde. Zumal beim 21-Jährigen auch kein Anflug von Nervenflattern zu sehen war und nicht die geringste Spur von Anspannung oder Hektik. «Ich habe sehr gut geschlafen und bin sehr gelassen», hatte der 21-Jährige vor dem Grande Finale in Bischofshofen bereits gemeint, «ich lasse es einfach laufen.»

Vom Kontinentalcup zur Vierschanzentournee

Gesagt, getan, gesprungen. Als Diethart schliesslich mit einem Finalsprung auf 140 Meter den grossen Coup landete, dann tat er dies auf eine abgeklärte Art und Weise, als hätte er in seiner Karriere nie etwas anderes gemacht, als Siege einzufahren und die Konkurrenz zu überflügeln. Was viele bei der Abgeklärtheit des Nierderösterreichers fast vergessen: Dieser unbekümmerte Springer ist erst 21, hat gerade einmal zehn Weltcupspringen in den Beinen und sprang vor wenigen Wochen noch in den Niederungen des Kontinentalcups. «Ich habe das so genossen, dort oben zu sitzen und habe mich einfach nur darauf gefreut, dass ich runter springen darf», erklärte Diethart.

Und selbst im Augenblick des Triumphes blieb der 21-Jährige seiner Linie treu. Wer von Diethart ausgelassene Jubelszenen erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Sekundenlang spazierte der Michelhausener fast seelenruhig durch den Auslauf und liess sich von den Tausenden Fans feiern. «Ich kann noch nicht richtig glauben, was da alles passiert ist in den letzten Tagen», meinte der Senkrechtstarter, der von allen Seiten Lob erhielt.

Ammann nimmts gelassen

Simon Ammann musste am Ende die Überlegenheit des Flachlandadlers neidlos anerkennen. Dass ihm ein Springer um die Ohren flog, den er bis vor wenigen Tagen gar nicht gekannt hatte, erinnerte den Toggenburger an seine Karriere. «Ich weiss, wie es ist, wenn ein Junger den Alten ein Schnippchen schlägt», schmunzelte Ammann. Die Enttäuschung hielt sich bei ihm trotzdem in Grenzen. Zum einen, weil er eigentlich ohne grosse Erwartungen zur Tournee gereist war, zum anderen weil er mit Wohlwollen registriert hat, dass er konstant auf hohem Niveau springen kann. «Ich kann mir eigentlich relativ wenig vorwerfen. Und zehn Punkte Rückstand waren eben eine grosse Hypothek.»

Ähnlich argumentierte der Gesamtzweite Thomas Morgenstern. «Der Thomas Diethart ist ein würdiger Sieger», sagte der Tourneesieger von 2011. Der Kärntner ist so etwas wie ein kleiner Vater der grossen Erfolge seines Namenskollegen. Denn wer weiss, wo dieser Thomas Diethart heute stehen würde, hätte sich Thomas Morgenstern nicht im Dezember beim Springen in Titisee-Neustadt verletzt.
Erst durch die Zwangspause des österreichischen Stars war der junge Niederösterreicher ins Weltcup-Aufgebot gerutscht.

Ein nüchterner Sieger

Prompt nützte Diethart in Engelberg die Chance und katapultierte sich in Sphären, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. «So etwas kann man auch nicht erwarten», erklärt  Cheftrainer Alexander Pointner. «Der Thomas hat einfach die Karte der Unbekümmertheit perfekt ausgespielt. Und die anderen sind immer nervöser geworden.» Während zugleich Diethart mit jedem Sprung bei der Tournee noch selbstbewusster und lockerer wurde.

Dass er plötzlich im Rampenlicht stand, dass seine Facebook-Freunde binnen weniger Tage von 1000 auf über 30’000 in die Höhe geschnellt sind, dass die österreichischen Medien ihn belagerten – all das liess ihn offensichtlich kalt. «Ich habe mir während der gesamten Tournee wenig Gedanken gemacht», erklärt der Jungstar.
Ein Erfolgsrezept, mit dem er nun Sportgeschichte schrieb. Thomas Diethart, der für den sechsten österreichischen Gesamtsieg in Folge sorgte, ist einer von nur fünf Skispringern, die gleich ihre erste Tournee gewinnen konnten.

 

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