Am Donnerstag kehrt Jürgen Klopp als Trainer des FC Liverpool nach Dortmund zurück. Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber wirkt nun Thomas Tuchel, der beim Bundesligisten Qualitäten entwickelt hat, an denen Klopp noch gescheitert war. In der Europa League (21.05 Uhr) treffen die beiden Fussballlehrer unterschiedlicher Prägung im Viertelfinal aufeinander.
Nur ein einziges Mal war Jürgen Klopp in Dortmund, seit er zum FC Liverpool umgezogen ist. «Keine Zeit» habe er als Trainer in der Knochenmühle des englischen Fussballs gehabt, sagt er. Der Mann, der für einige Jahre die Rolle einer Heiligenfigur der grössten Stadt des Ruhrgebiets spielte, hat sich emotional erstaunlich schnell entfernt von seiner ehemaligen Heimat.
Auf die Frage, welche Sehenswürdigkeit er den Fans des FC Liverpool für den Nachmittag vor dem grossen Spiel zwischen dem BVB und dem englischen Traditionsverein empfehle, fiel Jürgen Klopp keine Antwort ein – und der Spruch, den die Dortmunder Stadtverwaltung an mehreren Brücken über einer Hauptverkehrsader anbringen liess, klingt auch nicht sehr herzlich: «Lieber Jürgen Klopp, zuhause auf’m Platz sind Auswärtsniederlagen besser zu ertragen. Willkommen in der schönen Stadt!»
Es liegt eine seltsame Skepsis über der Liebe von einst. Am meisten fürchte er, dass Klopp «versucht, uns einzulullen, dass er versucht, die Fans auf seine Seite zu ziehen und dass da eine Freundschaftsspielatmosphäre entsteht», sagt Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.
Unter Tuchel ist der Vollgas-Aspekt nicht mehr das prägende Element
Und Klopp, dieser Meister der schwärmerischen Formulierung, stellt zwar fest, dass beim BVB «sicher auch eine Weiterentwicklung» vollzogen worden sei. Er schiebt aber sogleich ein paar einschränkende Sätze hinterher: Thomas Tuchel, sein Nachfolger, profitiere davon, dass im vorigen Sommer «keine Schlüsselspieler verloren» gegangen seien und das Team durch «die wichtigen Erfahrungen» aus der Vorsaison gewissermassen automatisch gereift sei.
Irgendwie klingt das, als wolle er sagen: «Das hätte ich auch hinbekommen.»
Die Dortmunder Feier nach Adrian Ramos‘ entscheidendem Tor gegen Bremen – mit 5 Punkten Rückstand auf die Bayern und 19 Punkten Vorsprung auf Hertha Berlin belegt Dortmund nach 28 Runden den zweiten Rang in der Bundesliga. (Bild: Keystone/MARTIN MEISSNER)
Dabei ist Jürgen Klopp eigentlich kein missgünstiger Mensch. «Ich habe in keinster Weise das Gefühl, dass Jürgen uns die Erfolge nicht gönnt», sagt Tuchel. Und dennoch sind die beiden Fussballlehrer nicht nur in den direkten Duellen zwischen dem BVB und dem FC Liverpool Konkurrenten. Die möglicherweise besten aktiven deutschen Clubtrainer befinden sich in einer Art von natürlichem Wettstreit. Auch in der Frage, wer moderner, zukunftsträchtiger und am Ende erfolgreicher wirkt. Auf dieser Ebene hat Tuchel sich einen Vorsprung erarbeitet.
Borussia Dortmund spielt unter Tuchel immer noch sehr leidenschaftlich, aber der Vollgas-Aspekt ist nicht mehr das prägende Element des BVB-Fussballs: Die Mannschaft agiert bewusster, durchdachter, mit Geduld und Beharrlichkeit werden zuvor definierte Räume bearbeitet. Das hat dem Team die Fähigkeit verschafft, auch kompakt verteidigende Gegner zu knacken. Am Versuch dieser Weiterentwicklung war Klopp noch gescheitert.
Tuchel ist «nicht so impulsiv, nicht mit diesen Entertrainment-Qualitäten» ausgestattet
In seinem letztem Jahr beim BVB festigte sich der Eindruck, dass der Stil der grossen Erfolgszeit überholt und Klopps Spielweise ein wenig veraltet sein könnte – eine These, die immer noch nicht aus der Welt ist. Zumal der Erfolg in Liverpool mit Rang neun in der Liga eher bescheiden aussieht. «In der Retrospektive heisst es in Deutschland, ich sei der Gegenpressing- und Umschalttrainer, aber das ist nur die halbe Wahrheit», sagt der 48-Jährige.
Tatsächlich hat Klopp versucht, flexibler zu werden, die Spielweise der goldenen Jahre zwischen 2010 und 2013 weiterzuentwickeln. Funktioniert hat das allenfalls in Ansätzen.
Unter Thomas Tuchel hat die Art der Kommunikation eine neue Form angenommen. (Bild: Keystone/MARTIN MEISSNER)
Ausserdem zeigt sich, dass Tuchels Art der Kommunikation bei den Spielern ankommt. Der 41-Jährige sei «nicht so impulsiv und nicht mit diesen Entertainment-Qualitäten» ausgestattet, sagt Klubchef Watzke. Dafür ist der neue Cheftrainer feinsinniger, was vor allem sensiblen Typen wie dem aufblühenden Henrikh Mkhitaryan oder Marcel Schmelzer zugutekommt.
Mal 80, mal 40 Prozent Ballbesitz
Auch Tuchel kann aber sehr leidenschaftlich sein und grosse emotionale Energien freisetzen. Man kann das gut beobachten, wenn er während der Spiele an der Aussenlinie unterwegs ist und coacht. Aber grundsätzlich ist der gebürtige Schwabe eher ein Kopfmensch – und dieser Wesenszug des Trainers prägt das Spiel der Mannschaft.
Der BVB beherrscht einen detailliert durchdachten, perfekt auf den jeweiligen Gegner zugeschnittenen Strategiefussball, der – wenn nötig – mehrfach pro Spiel modifiziert wird. Das Hauptmotiv ist dabei grösstmögliche Flexibilität: Mal agieren die Dortmunder mit langen Vertikalpässen, mal versuchen sie eine gegnerische Abwehr mit endlosen Ballzirkulationen zu öffnen, mal pressen sie schon am gegnerischen Strafraum, mal greifen sie erst an der Mittellinie an.
«Demut», «Neugier», «Dankbarkeit», «gestraffte Haltung», «Offenheit», «keine Limits setzen», «Wertschätzung», «Mut», «Bescheidenheit», «Hunger»
Gelegentlich steht beim Abpfiff ein Wert von rund 80 Prozent Ballbesitz in den Statistiken, es gab aber auch schon Halbzeiten, da sank diese Quote auf unter 40 Prozent. «Mir ist wichtig, dass wir nicht meiner Idee hinterherlaufen, sondern dass wir gemeinsam erkennen, was unsere Qualitäten sind und ihnen vertrauen», sagt Tuchel. «Aus dieser Struktur heraus versuchen wir unsere Spiele zu gewinnen.»
Ein geliebter Übervater wird Tuchel in Dortmund kaum
Tuchel ist nicht der Typ, der die Herzen erobert. Er ist eher ein Kopfmensch. Aber dem BVB scheint genau das nach sieben wilden Jahren unter Klopp sehr gut zu tun. Wo der alte Trainer permanent neue, überraschend lustige Formulierungen hervorzauberte, greift Tuchel auf einen Wortschatz zurück, aus dem sich eine geradezu esoterisch anmutende Philosophie des richtigen Lebens konstruieren lässt. Immer wieder tauchen die gleichen Schlüsselbegriffe auf: «Demut», «Neugier», «Dankbarkeit», «gestraffte Haltung», «Offenheit», «keine Limits setzen», «Wertschätzung», «Mut», «Bescheidenheit», «Hunger».
Ein von der ganzen Stadt geliebter Übervater wird er so vermutlich nicht werden. Aber manches deutet darauf hin, dass Thomas Tuchel sich mit seiner Denkweise ein Stück näher am Zeitgeist des Fussballs befindet als sein grosser Vorgänger.
Jürgen Klopp und seine Rückkehr nach Dortmund – die grosse Geschichte der Europa-League-Viertelfinals. (Bild: Keystone/JON SUPER)