Dortmund kann doch Europa

Borussia Dortmund widerlegt seine Kritiker beim 1:1 bei Manchester City. Der deutsche Meister zeigt, dass er doch Europa kann, regt sich aber mächtig über einen Handspenalty auf, der zum Ausgleich führte.

Die Szene, die die Gemüter erregte: Neven Subotic blockiert mit dem Arm einen Schuss von Sergio Agüero aus nächster Nähe. (Bild: Reuters/PHIL NOBLE)

Borussia Dortmund widerlegt seine Kritiker beim 1:1 bei Manchester City. Der deutsche Meister zeigt, dass er doch Europa kann, regt sich aber mächtig über einen Handspenalty auf, der zum Ausgleich führte.

Seine Kollegen rechneten Gewinn und Verlust dieses denkwürdigen Champions-League-Abends rauf und runter, Neven Subotic aber war unterm Strich einfach nur niedergeschlagen. Dem 23 Jahre alten Serben hatte der tschechische Schiedsrichter Pavel Kralovec in letzter Minute ein Handspiel angekreidet, dem erkennbar, wie es die Regel 12 vorschreibt, keine Absicht und nicht einmal ein Schutzbedürfnis zugrunde lag. «Ich wollte es und kann es nicht glauben», sagte der geknickte Subotic, «denn er (Sergio Agüero) schiesst mich aus gefühlten zehn Zentimetern an, so dass ich keine Chance hatte, zu reagieren. Was soll ich denn machen? Soll ich mir die Hand abschneiden?»

Hands oder nicht?

Entgegen der klaren Haltung unseres Autor vor Ort in Manchester kann man die umstrittene Penaltyentscheidung auch in der Grauzone der Regelauslegung verorten. Laut Regelwerk ist das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen. Ein Handspiel liegt vor,
wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt.
Der Schiedsrichter achtet bei der Beurteilung der Situation auf
die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand),
die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwartetes Zuspiel) sowie
die Position der Hand.
Das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen.

Letzteres hat der tschechische Unparteiische Pavel Kralovec gegen den Dortmunder Verteidiger Subotic ausgelegt. Sprich: Dessen Arm hat dort, wo er den Ball von Sergio Agüero blockt, nichts verloren. Der Verteidiger verhindert mit seinem Arm also eine Torchance respektive eine gefährliche Situation. Auch wenn es nicht absichtlich geschah. (cok)

Das Video zum Spiel auf sf.tv.
Die Fussballregeln (Handspiel: Seite 117)

Fassungslos schlich der lange Innenverteidiger von Borussia Dortmund am Mittwochabend von Mikrofon zu Mikrofon durch die Mixed Zone des Etihad-Stadions und erzählte immer wieder, was ihm wie ein «Albtraum» vorkam. Der eingewechselte Italiener Mario Balotelli, mit seinen zwei Toren gegen Deutschland im Europameisterschaftshalbfinale zu einer Art Schreckgespenst geworden, ärgerte diesmal den deutschen Meister, als er das tschechische Strafstossgeschenk dankend annahm und Reus‘ Führungstreffer (61. Minute) gegen den englischen Meister Manchester City ausglich.

Dortmund widerlegt die Kritiker

Die Lightblues waren am zweiten Spieltag der Gruppe D noch einmal davongekommen, während der BVB nach dem 1:0-Erfolg über Ajax Amsterdam und dem unglückseligen 1:1 in der nordwestenglischen Fussball-Kapitale jetzt schon so viele Punkte beisammen hat wie im Vorjahr nach dem schon in der Vorrunde gescheiterten Champions-League-Comeback nach schweren, dürren Jahren. «Wir haben alle widerlegt», hob Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke stolz hervor, «die fast schon gehässig behaupteten, wir könnten Europa nicht.»

Sie können – und wie! Pechvogel Subotic, der im Verein mit seinem später wegen einer Hüftverletzung vorzeitig davongehumpelten Kompagnon Mats Hummels den ersten Ansturm der mit arabischen Petrodollars auf Weltniveau gehievten britischen Millionentruppe abgewehrt hatte, sagte: «Am Ende wäre ein 8:6 für uns gerecht gewesen.» Er übertrieb dabei nicht, da es selten eine Begegnung auf höchstem europäischen Niveau gegeben hat, in der das nach Langeweile ausschauende Endergebnis derart irreführend war.

Subotic vernahm nach der vor allem famosen zweiten Dortmunder Halbzeit von den Kollegen aus Manchester ein Lob nach dem anderen. «Sie haben gemeint, dass sie in ihrem Stadion ewig nicht mehr von einer Mannschaft derart an die Wand gespielt worden seien.» Nur, weil der Schiedsrichter einem optischen Irrtum aufsass, verteidigte City seine Serie von nun 18 unbesiegten Partien nacheinander in den Europapokal-Heimspielen.

Dortmund prallt an Joe Hart ab

«Mann, ist das bitter», kommentierte Torschütze Reus das dicke Ende für den BVB, räumte aber sogleich ein, «dass wir vorher den Sack hätten zumachen müssen». Wenn das so einfach gewesen wäre. Schliesslich wurde der englische Nationaltorwart Joe Hart an diesem flutlichthell leuchtenden Abend inmitten des englischen Landregens zum Traumhüter. Selbst bei dem Pfosten- und Lattenschuss von Mario Götze hatte er noch die Hände im Spiel, und auch Robert Lewandowskis krachenden Flachschuss nach dem 1:1 wehrte er artistisch ab. Dazu kamen weitere waghalsige Paraden und Momente, die andere Keeper nicht derart glorreich bestanden hätten.

Ob er in letzter Zeit jemals einen so grossartigen Schlussmann wie Hart an diesem Tag der Schwerstarbeit erlebt habe, wurde Jürgen Klopp, der Trainer der Borussia, gefragt. «Ja», lautete seine Antwort, «Roman Weidenfeller heute abend.» Tatsächlich stand Harts Kollege dem Engländer in puncto Wagemut und Reaktionsschnelligkeit kaum nach. Nur so liess sich schliesslich das goldumrandete 1:1 erklären.

Klopp trauert Sieg nicht nach

Manchester City und Borussia Dortmund lieferten laufend Belege für die Attraktivität der Premier League und der Bundesliga, weil dieser deutsch-englische Gipfel spielerisch und kämpferisch die besten Qualitäten spiegelte, die beiden Klassen nachgesagt werden. Weil sie sich drei Wochen vor der nächsten Bewährungsprobe im Heimspiel gegen Real Madrid eine gute Ausgangslage für ein Weiterkommen in der Champions League verschafft und dabei international imponiert hatten wie aus Deutschland sonst nur Bayern München, sahen die meisten Dortmunder nach Spielschluss einigermassen grosszügig über die Begleitumstände des 1:1 hinweg.

«Wir haben heute einen Punkt gewonnen und nicht zwei verloren», zog Klopp eine positive Bilanz, «wir wollen den BVB in diesem Jahr in der Champions League anders darstellen als zuletzt. Das war ein wichtiger Schritt in diese Richtung.»

Reife Dortmunder Leistung

Tatsächlich verdiente sich das Team sein Reifezwischenzeugnis auch, weil es sich hochkonzentriert an die taktischen Vorgaben hielt, den Gegner tiefer als sonst in Empfang zu nehmen und dann blitzartig auf den Dortmunder Balleroberungs- und Kontermodus umzuschalten. Genau so fiel das 1:0, nachdem der sonst meist unauffällige Reus richtig spekuliert und einen fatalen Querpass des Engländers Rodwell ersprintet hatte. Auch dass Sven Bender anstelle des diesmal von der Bank aus zusehenden Captains Sebastian Kehl von Anfang an für Dampf aus dem defensiven Mittelfeld sorgte, erschütterte die in der zweiten Halbzeit perplex wirkenden ManCity-Stars.

Zum Glück für sie war ja noch Schiedsrichter Kralovec da, der aus Versehen ein Vergehen ahndete, das keines war. Neven Subotic war bedient und tat nachts kaum mal ein Auge zu. Schlaflos in Manchester, auch das noch nach dem Albtraum im Etihad-Stadion.

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