Auch ohne seinen offenbar aus disziplinarischen Gründen suspendierten Superstürmer Pierre-Emmerick Aubameyang zieht Borussia Dortmund vorzeitig in die Achtelfinals der Champions League ein. Der knappe, glanzlose Sieg über Sporting Lissabon übertüncht in Dortmund Fragen zum Alltagsklima zwischen Trainer Thomas Tuchel, den Spielern und seinen Mitarbeitern.
Wie überdreht wirkte Thomas Tuchel, als er am späten Mittwochabend von Mikrofon zu Mikrofon eilte. Der Trainer von Borussia Dortmund lächelte fröhlich und pflichtete Kritikern bei. Selten hat man den 43-Jährigen während der lästigen Medientermine, die auf alle Fussballspiele folgen, derart eifrig erlebt. «Eine gefühlte Ewigkeit» habe er nach dem Abpfiff durchgeatmet, erzählte er, aber wirklich runtergekommen war er noch nicht.
Es gab zu viele Anlässe für diese emotionale Mixtur aus Überschwang und Erleichterung. Natürlich freute sich Tuchel nach dem 1:0-Sieg gegen Sporting Lissabon über die frühzeitige Qualifikation fürs Achtelfinale der Champions League. «Schwarz auf weiss zu sehen, dass wir das geschafft haben, das zu fühlen, hilft wie nichts anderes», schwärmte er. Ähnlich bedeutsam war aber wohl, dass Tuchel der Gefahr entrinnen konnte, zum Hauptverantwortlichen für das Verpassen eine grossen Chance erklärt zu werden.
Wenn die Dortmunder nicht gewonnen hätten, dann wäre dem Trainer nämlich vorgeworfen worden, in solch einer bedeutsamen Partie freiwillig auf den vielleicht wichtigsten Spieler verzichtet zu haben: auf Pierre-Emerick Aubameyang, der zuvor bei allen Champions League-Auftritten der Saison getroffen hatte.
Der Suspendierte mit Filzhut und Designermantel
Thomas Tuchel. (Bild: THILO SCHMUELGEN)
Am Dienstagnachmittag war der Stürmer aus dem Kader gestrichen worden, aus «internen Gründen», wie alle Beteiligten in nichtssagender Wortgleichheit erklärten. Während des Spiels hatte er sich als ausgefallenes Fotomotiv mit Filzhut und Designermantel auf der Tribüne präsentiert, und in dieser Rolle als Suspendierter stand der Captain der gabunischen Nationalmannschaft noch mehr im Mittelpunkt als sonst. Hätte der BVB nicht gewonnen, wäre zweifellos eine gefährliche Debatte über Tuchels Führungsstil und seine soziale Kompetenz in Gang geraten.
Das ist dem Trainer erspart geblieben, und am Ende hatten die Dortmunder sogar das Kunststück fertig gebracht, dass niemand wirklich wusste, was Aubameyang sich hatte zu Schulden kommen lassen. Die Spieler waren eindringlich gebrieft worden. «Wir wussten Bescheid», sagte Julian Weigl, und allen war klar: Wenn jetzt jemand verrät, was genau vorgefallen ist, würde das skurrile Theater auch noch mit einer Maulwurf-Affäre angereichert werden.
Und so gab es den ganzen Abend über allerlei Spekulationen zu möglichen Gründen für die harte Massnahme des Trainers. «Auba hätte gespielt, er ist unser Stürmer Nummer Eins», versicherte Tuchel, «aber manche Dinge müssen losgelöst vom Zeitpunkt betrachtet werden. Entweder es gibt eine Konsequenz oder keine.»
Angeblich unternahm Aubameyang einen Abstecher nach Mailand
Am Donnerstag verbreiteten verschiedene Medien eine nicht genehmigte Reise nach Mailand Anfang der Woche habe zum Eklat geführt. Aber wirklich schlüssig ist diese Geschichte nicht, denn mehrere Spieler waren in der Nacht vom trainingsfreien Montag zum Dienstag auf Halloweenpartys unterwegs. Warum soll Aubameyang da nicht in Mailand sein?
In jedem Fall stand der Stürmer am Dienstag um elf Uhr mit den Kollegen auf dem Trainingsplatz. «Klar will jeder wissen warum, aber das hat uns nicht so beschäftigt wie euch wahrscheinlich», sagte Matthias Ginter zu den Journalisten.
«Entweder es gibt eine Konsequenz oder keine» – Thomas Tuchel und sein Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang am Donnerstag im Training. (Bild: GUIDO KIRCHNER)
Spannender als der exakte Anlass für die Suspendierung sind ohnehin die grösseren Zusammenhänge hinter dem Vorfall. Gibt es einen grundlegenden Konflikt zwischen Aubameyang und Tuchel? Arbeitet der 27-Jährige, der noch einen Vertrag bis 2020 hat, an einem Vereinswechsel? Und wie ist es grundsätzlich um das Alltagsklima zwischen Tuchel, den Spielern und den anderen Mitarbeitern bestellt?
Tuchel, der kritische Pädagoge
Vor einigen Wochen war ja bekannt geworden, dass der Trainer mit Chefscout Sven Mislintat verstritten ist. Tuchel ist kein einfacher Typ. Und sein leidenschaftliches Coaching ist sicher nicht immer einfach für die Spieler. Von Vorgänger Jürgen Klopp gab es an der Seitenlinie viel Applaus und Aufmunterung, Tuchel dagegen ist permanent dabei zu schimpfen und zu verbessern.
Zumindest während der 90 Minuten ist er eher ein Kritiker als ein Aufmunterer. Aber ist er auch im Alltag ein derart kritischer Pädagoge? Mögen die Spieler diesen Führungsstil? Nach diesem Spiel war Tuchel jedenfalls besonders streng mit seinem Team. «Wir haben in keiner Phase eine Selbstverständlichkeit reinbekommen», sagte er.
Umso bemerkenswerter ist, dass der BVB schon nach vier Partien in der nächsten Runde steht, und sich nach Real Madrids 3:3 bei Legia Warschau sogar Hoffnungen auf den Gruppensieg machen kann. Die Aubameyang-Geschichte dieser Woche wird vergessen sein, wenn der BVB am letzten Spieltag der Vorrunde in der spanischen Hauptstadt antritt. Die Suspendierung ist bereits wieder aufgehoben.
Einem Einsatz am Samstag beim HSV steht also nichts im Weg, und wenn Aubameyang dort entscheidend zur Beendigung der jüngsten Dortmunder Niederlagenserie an der Elbe beitrüge, hätte sich Tuchels riskante Massnahme endgültig in einen erstaunlichen Effekt gewandelt.