Druck auf die russischen Sportler ist so gross wie einst in der UdSSR

Die russischen Sportler sollen vor ihrem Heim-Publikum enorme Erwartungen erfüllen: Milliarden wurden ausgegeben, Millionen schauen zu und Wladimir Putin erhöht den Druck zusätzlich. Manipulationsvorwürfe nach der ersten Goldmedaille helfen da nicht.

Russian President Vladimir Putin watches from the stands during the Team Ladies Free Skating Program at the Sochi 2014 Winter Olympics, February 9, 2014. REUTERS/Alexander Demianchuk (RUSSIA - Tags: SPORT FIGURE SKATING OLYMPICS TPX IMAGES OF THE DAY) (Bild: ALEXANDER DEMIANCHUK)

Die russischen Sportler sollen vor ihrem Heim-Publikum enorme Erwartungen erfüllen: Milliarden wurden ausgegeben, Millionen schauen zu und Wladimir Putin erhöht den Druck zusätzlich. Manipulationsvorwürfe nach der ersten Goldmedaille helfen da nicht.

Die Sowjetunion ist längst Geschichte, aber wer mag, kann in Sotschi hier und da noch in alten Klischees schwelgen. Vom finsteren Blick der Wachleute über die weissen Schneeuniformen der Transportmitarbeiter, die jeder James-Bond-Pistenjagd der 19070er-Jahre zur Ehre gereicht wären. Bis hin zum Mitteilungsbedürfnis vieler einheimischer Sportler.

Die sagen eher wenig und zu Ausländern noch weniger. Russland hat zwar bei der Organisation keinen Rubel gespart, um seine Potenz zu zeigen. Die riesigen Presseräume im Medienzenter aber überlässt man gern den Amerikanern, die sich gewohnt professionell und zugänglich inszenieren. Nicht umsonst kommen die Stars der Spiele meistens aus den USA.

«Unsere Trainer und Sportler versuchen, sich vorzubereiten, daher sprechen sie weniger», begründete Sportminister Witali Mutko, warum auch Russland ausserhalb der unvermeidbaren Pinup-Fotos junger Olympionikinnen von seinem Team in den letzten Wochen relativ wenig mitbekam.

Besonders geheimnistuerisch präsentieren sich dabei ausgerechnet die Weltstars der Eishockey-Nationalelf um NHL-Star Alexander Owetschkin. Sie trainieren im 2000 Kilometer entfernten Kazan und verlängerten ihren Aufenthalt gerade noch einmal um zwei Tage, um erst möglichst kurz vor dem ersten Spiel am Donnerstag in Sotschi aufschlagen zu müssen.

Die Axt über den Hockeyanern

Der Grund ist klar: «Über ihnen hängt die Axt», wie es der Trainer der russischen Eishockey-Frauen, Michail Tschekanow, ausdrückt. In keiner anderen Disziplin ist das Scheitern derart obligatorisch verboten. Für den Rest der einheimischen Delegation dürfte umso beruhigender gewesen sein, dass die Eiskunstläufer, Nummer zwei der Popularitätsrangliste, im erstmals bei Olympischen Spielen durchgeführten Teamwettkampf die erste Goldmedaille fürs Land geholt haben. Das mindert fürs erste etwas den Druck, auch wenn danach erste Manipulationsvorwürfe die Runde laut wurden.

Vielleicht aber sind sie auch laut geworden, weil der Druck so immens ist. Zwar wurde offiziell keine Medaillenzahl vorgegeben, die von dem 225-köpfigen Team erwartet wird. Aber um allen die Lage noch einmal zu verdeutlichen, reichten auch die Worte von Staatschef Wladimir Putin bei seiner Besichtigung des Olympischen Dorfs. «Millionen werden auf jede einzelne eurer Leistungen blicken», sagte er an das Team gerichtet: «Wir zählen auf Euch.»

Wladimir Putin zum russischen Olympia-Team: «Millionen werden auf jede einzelne eurer Leistungen blicken. Wir zählen auf Euch.»

In Putins Reich ist der Sport ein ähnlich wichtiger Katalysator zur Darstellung der eigenen Grösse wie einst in der Sowjetunion. Auch daher die Bombastik dieser Spiele, die rund 40 Milliarden Euro teuren Vorbereitungen. Nicht auszudenken, wenn die Beine jetzt nicht mit den Steinen mithielten. «Das schlimmste Scheitern wäre, wenn unser Team bei den Spielen verliert», sagte Vize-Ministerpräsident und Sotschi-Chefkoordinator Dimitri Kosak, bevor derart markige Forderungen offenbar auf den Index kamen.

Da äusserte sich auch Wjatscheslaw Fetissow, Eishockeylegende, Ex-Sportminister und entscheidend mitverantwortlich für Sotschis Bewerbungserfolg, noch ähnlich unverblümt: «Eine Menge Geld, Hoffnungen und Erwartungen sind in die Spiele investiert worden. Wir haben nicht das Recht, zuhause zu verlieren.»

Über 700 Millionen Dollar hat die Regierung seit dem Zuschlag für Sotschi in Wintersportprogramme gesteckt, und besonders in Problemsportarten wie Snowboard oder Skifahren zahlreiche ausländische Trainer angeheuert. Rund 85’000 Euro erhält jeder russische Goldmedaillengewinner. Alles schlechter als Platz drei im Medaillenspiegel hinter den hier favorisierten Amerikanern und Norwegern würde zumindest in den Medien den Tatbestand der nationalen Schande erfüllen.

Das grösste Debakel der Sportgeschichte hinter sich

Die Mission wird dadurch nicht einfacher, dass das Team noch sehr jung ist, 21 Jahre im Durchschnitt. Was wiederum auch daran liegt, dass man von weit unten kommt. 2010 in Vancouver erlebte der russische Sport das grösste Olympia-Debakel seiner Geschichte.Nur dreimal Gold, Platz elf in der Nationenwertung, erstmals seit 1964 kein Olympiasieg im Eiskunstlauf und ein blamables 3:7 der Kufengötter im Viertelfinale gegen Kanada.

«Lasst uns Guillotinen auf dem Roten Platz aufbauen», kommentierte der damalige Eishockey-Trainer Wjatscheslaw Bykow noch an Ort und Stelle sarkastisch: «Wir haben 35 Leute in der Mannschaft – lasst sie uns alle erledigen.» Damals, so die Analyse von Sportminister Mutko, bezahlte Russland noch die Spätfolgen der finanziellen Vernachlässigung des Sports in den 1990er Jahren, der Zeit vor Putin. In Sotschi wird diese Ausrede nicht mehr greifen.

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