Wer kann Borussia Dortmund im Abstiegskampf Beine machen? Eine nicht bierernste Bestandsaufnahme bei den professionellen Notfall-Helfern in einer Stadt, die in den sportlichen Abgrund blickt.
Das grosse U auf dem roten Backsteingebäude neben dem Hauptbahnhof ist die weithin sichtbare Visitenkarte der Stadt. In diesen Tagen wirkt es nicht wie die Erinnerung an die einstige Union-Brauerei sondern wie ein Menetekel: U wie Untergang.
Die grosse Borussia ist vor Beginn der Bundesliga-Rückrunde Vorletzter. Ein Abstiegsplatz. Die Fussballszene im ganzen Land rätselt über die Gründe des Niedergangs. Die Verantwortlichen wirken ratlos.
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Trostlos sind die ersten Eindrücke in der Stadt. Das «Haus des Sports» in der Beurhausstrasse ist umgeben von Leid und Tod: Städtisches Krankenhaus, ein Pflegedienst und das «Bestattungshaus Heimkehr». Der BVB-Fanshop auf dem Westenhellweg ist vorübergehend geschlossen: «Geht auch den Bach runter», scherzt ein fatalistischer Arbeiter. Bedenklich auch dies: Laut Telefonbuch gibt es 255 Personen namens Retter in Deutschland – davon kein einziger in Dortmund. Keine gute Symbolik.
Wie nur geht es in der ehemaligen Kohlestadt wieder nach oben? Max Rehfeld weiss das. Rehfeld, 87, ist seit 1948 über 30 Jahre lang als Steiger auf Zeche «da drunten in dem tiefen, finstren Schacht» gewesen, wie es im Bergmannslied heisst. «Man war nie sicher, ob man heil wieder hochkommt und das Tageslicht wiedersieht.»
Nicht als Wiedergeburt («das ginge zu weit»), aber jedes Mal «mit grossem Glücksgefühl, Dankbarkeit und Erleichterung». Und der Mann, heute Betreiber eines kleinen Bergwerksmuseums im Stadtteil Mengede, appelliert: «Der BVB sollte sich mal vor Augen halten, mit welch minimaler Entlohnung wir ganz unten härteste Arbeit gemacht haben.»
Wiederbelebung. Im Erste-Hilfe-Kurs.
Helfen kann Rehfeld nicht mehr. Da müssen Rettungs-Profis ran. Erster Versuch im Klinikum, Notaufnahme. Pfleger Miro sagt sofort: «Wie immer: Zuerst Ruhe bewahren.» Schwester Gina möchte mehr auf «Schocktherapie wie beim Infarkt» setzen, mit Reanimation: «Wach machen, aufrütteln. Damit die Spieler wieder den richtigen Rhythmus finden.»
Schreckensbild für Borussia Dortmund: Die Tabelle der Bundesliga mit dem BVB auf Platz 17.
Man stellt sich Hummels, Reus & Co schon in Reihe liegend bei der Wiederbelebung vor. Doch Schwester Marianne, die so gemütlich wie unerschütterlich wirkt, widerspricht: «Nein, lieber vorsichtig positive Beeinflussung.» Eine Therapie vielleicht? «Ja, oder ein Erste-Hilfe-Kurs.»
Beim Roten Kreuz läuft gerade einer. Nichts wie hin. Kursleiter Henrik Lober weiss das «HELD»-Konzept des Hauses sofort auf den Fussball anzuwenden: H – wie Hilfe rufen: Das DRK stehe bereit. E – wie Ermutigen und trösten. Da denkt er an «die wichtige Solidarität der Fans». L – wie Lebenswichtige Funktionen kontrollieren: «Trainer Jürgen Klopp verbreitet doch gut die Zuversicht.» D – wie Decke unterlegen, zudecken: «Warm halten, vorbereitet sein. Dann werden sie auch wieder HELDen.»
Die Kursteilnehmer staunen über die weitreichende Kraft des Erste-Hilfe-Wesens. Lober ergänzt: «Du rettest nie alleine. Gegenseitige Hilfe ist wichtig. Innerhalb einer Mannschaft müsste das doch leicht fallen.»
Klopp grinst zu viel. Heisst es in der Bahnhofsmission.
Der Zug geht Richtung 2. Liga. Peter Schmidt arbeitet bei der Bahnhofsmission: «Zu uns finden Gestrauchelte, um sich auszuquatschen. Gerne kann Herr Klopp mal herkommen. Dem würde ich sagen, dass er mir zu viel grinst. Aber mehr als Hilfe zur Selbsthilfe können wir nicht leisten.» Die Chefin mischt sich ein, Swetlana Berg. Die Lage der Bahnhofsmission an Gleis 2-5 passe doch, sagt sie. «Da will der BVB ja wieder hin, Platz 5 mindestens. Und bei Frau Berg ist man wieder oben», lächelt sie und weist auf den Namen einer Mitarbeiterin hin: Julia Hummels. «Das passt doch auch.»
Grinst zuviel – zumindest der Mitarbeiterin der Dortmunder Bahnhofsmission: Jürgen Klopp.
Der BVB droht im Abstiegsstrudel unterzugehen – ein Fall für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft! Doch die Dame des DLRG-Landesverbandes Westfalen im Stadtteil Aplerbeck ist bockig. «Da haben wir nichts mit am Hut. Das müssen die bei der Borussia selbst hinkriegen.» Nach diesem Rückschlag führt der Weg in einen Hinterhof. Hier residiert der Deutsche Alpenverein, Sektion Dortmund, und da muss man doch wissen, wie es aus tiefem Tal nach oben geht.
Weiss man auch: «Nicht rennen, sondern beharrlich und gleichmässig gehen, mit einem guten Plan», sagt DAV-Mitarbeiterin Gudrun Küpers. Plan bedeute sonst Landkarte, hier eine Strategie. Die Bergrettung? «Eher nicht, ist ja keine Talrettung.» Kollegin Susanne Kubert ergänzt: «In die Höhe kommt man Schritt für Schritt – mit Trittsicherheit und Ausdauer. Dazu mit einem starken Sicherungspartner – das sind die Fans.»
Vitamine stärken die Abwehrkräfte. Grossartig.
Auch Dortmunds Pharmazeuten stehen dem grössten Patienten der Stadt bei. In der Zeppelin-Apotheke empfiehlt eine Mitarbeiterin Vitaminpräparate – «die stärken die Abwehrkräfte». Grossartig, das könnte die Zahl der Gegentore verhindern helfen. Und Angriffspillen, Zielwasser? Hmmm, da muss sie erst mal passen.
Kollegin Patrizia Andrzejczak von der Adler-Apotheke (die, wie sie erklärt, an Spieltagen schon mal im Trikot bedient) will «eine individuelle BVB-Mischung» anrühren: «Abends Baldrian zur Beruhigung und Dr. Bach-Tropfen, wirksam für die Psyche in Stresssituationen. Tags Koffeinpräparate und Ephedrine – falls das nicht auf der Dopingliste steht.» Und akut am Spieltag? «Notfalltropfen für aufn Platz», sagt sie im Dortmunder Adi-Preissler-Duktus.
So sieht es der Cartoonist Oli Hilbring die Lage:
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Nebenan, in der Stadtkirche St. Reinoldi, beginnt gerade die «Offene Seelsorge». Ob schon leidende Fans da waren? «Nein, noch nicht», sagt der ehrenamtliche Berater bei flackerndem Kerzenschein, «aber wenn jemand kommt, werde ich ihn sehr ernst nehmen in seiner Hilflosigkeit.». Angst vor einem Abstieg könne «für Menschen durchaus existenziell sein und die gleiche Wichtigkeit haben wie der Tod eines nahen Verwandten». Und wenn Spieler kämen – er stünde, auch als gebürtiger Gelsenkirchener, quasi die andere Fussball-Konfession im Ruhrpott, «für alle Krisengespräche bereit».
Die Rettung aus Gelsenkirchen. Ausgerechnet.
Im Schaufenster der Feuer- und Rettungswache 1 am Busbahnhof hängt ein wandtapetengrosses Foto: 20 Feuerwehrleute, voll aufgerödelt, auf dem Rasen direkt vor der vollen Südtribüne. «Wir sind ja immer im Stadion», sagt Brandinspektor André Lüdecke und will gleich sein komplettes Equipment zum Support einwechseln: «Das Tor dicht machen: mit unseren Sprungpolstern fangen wir alles auf. Ausdauer erhöhen: Unsere Atemschutzgeräte. Sturm verbessern: Mit unseren Hochleistungslüftern treiben wir die Mannschaft nach vorne.» Und wenn gar nichts mehr gehe: «Unsere Höhenrettungsgruppe ist in der Lage, Personen aus Tiefen zu retten und mit einem Flaschenzug wieder nach oben zu bringen.»
Und selbst aus der königsblauen Nachbarstadt Gelsenkirchen kann der BVB auf Hilfe hoffen. Hauptbrandmeister Hardy Corbeck sagt: «Berufsehre und Verpflichtung geht grundsätzlich über Stadtgrenzen hinaus, auch in diesem pikanten Fall.»
Kollege Brandmeister Nico Matetski bietet über das Saisonende hinaus, für den Fall der Fälle, sogar einen besonderen Service an: «Da S04 weiter samstags spielt und wir montags Zeit haben, würde das Gelsenkirchener BLAU-Licht auch in der 2. Liga helfen kommen.»