Er war der jüngste Champion in Wimbledon, eine der prägendsten Figuren des Turniers und ist bekennder Roger-Federer-Fan. Im Interview spricht Boris Becker über das mögliche Ende der Ära von Roger Federer, wie hart ihn seine Niederlage getroffen hat und warum das schade ist.
Boris Becker (45) war einer der prägendsten Spieler der Tennis-Profizeit in Wimbledon. Der gebürtige Leimener ist bis heute der jüngste Champion der Turniergeschichte, 1985 gewann er mit 17 Jahren. Er siegte auch in den Jahren 1986 und 1989 und stand weitere vier Mal im Endspiel. Becker holte sich in seiner 15 Jahre dauernden Karriere insgesamt 49 Titel, darunter waren sechs Grand Slam-Erfolge.
Herr Becker, Wimbledon 2013 spielt verrückt, sagt alle Welt. Was sagen Sie zu diesem Turnier?
Es ist ein aussergewöhnliches Turnier, um es mal milde auszudrücken. Aber ich gebe zu: Mich freut dieses Spektakel, diese Turbulenzen, diese Aufregung. Endlich ist die Hackordnung mal richtig durcheinandergerüttelt worden. Wenn bei den Grand Slams immer nur die Favoriten siegen, bei Herren und Damen, wird’s doch langweilig. Dieser frische Wind tut dem Sport nur gut.
Ein denkwürdiger Moment dieses Turniers war der Abgang von Roger Federer in der zweiten Runde, so früh wie nie zuvor seit neun Jahren bei einem Grand Slam.
Das hat mich nun wirklich umgehauen und überrascht. Denn Stachowski, sein Gegner, ist alles andere als ein Rasenspezialist, hat noch nie ein grosses Turnier gewonnen. Und deshalb war das für mich auch ein Anzeichen, dass die Ära Federer sich nun vielleicht dem Ende zuneigt.
Aber Federer ist in den vergangenen Jahren schon oft abgeschrieben worden nach vergleichbaren Pleiten – zu Unrecht, wie sich herausstellte.
Aber das hier ist sein Lieblingsplatz. Sein Herrschaftsbereich über viele Jahre. Und dann verliert er dieses Spiel in einem Moment, wo er eigentlich mit viel Selbstvertrauen aufs Feld gehen müsste – nach dem Sieg bei den Gerry Weber Open. Ich denke, das hat ihn schon hart getroffen. Man hat das auch in seiner Pressekonferenz gesehen, als er sagte, er müsse jetzt erst mal nachdenken, was da gerade passiert sei.
«Federer hat auf seinem Lieblingsplatz verloren, seinem Herrschaftsbereich über viele Jahre.»
Ihr Ex-Rivale John McEnroe hat erklärt, Federer werde vor allem Schwierigkeiten haben, mit all diesen Niederlagen umzugehen, weil er Niederlagen nicht wirklich gewöhnt sei.
Natürlich ist das ein Problem. Nach Niederlagen stellst du dir viele Fragen, da geht ein grosser Teil deiner Sicherheit verloren. Und die folgenschwerste Konsequenz ist: In der Spielerkabine geht der Respekt verloren. Die Federer-Aura ist eben weg nach so einem Ergebnis, das kann man gar nicht beschönigen, das ist Fakt. Ich habe das halt auch selbst erleben müssen in den späten Jahren meiner Karriere, diese Niederlagen. Und das Grübeln, was man nun tun muss, wie es weitergeht.
Sie sind ja ein grosser Federer-Fan. Tut es weh, diese Auftritte zu sehen?
Schon ein wenig, Mitgefühl ist da. Denn er ist der fantastischste Botschafter, den wir je im Tennis hatten. Ich hoffe, dass er noch einmal die Kraft findet und vor allem die Lust hat, die Extrastunden zu investieren, um vielleicht doch wieder einen grossen Sieg feiern zu können.
Auch Rafael Nadal verabschiedete sich früh aus Wimbledon. Sie haben dazu gesagt: Der hätte gar nicht nach Wimbledon kommen sollen.
Rasentennis ist nicht gut für seinen Körper, das ist eine Tatsache. Das hat er selbst gesagt. Er kann sich hier einfach nicht optimal bewegen, spielt wegen seiner Kniebeschwerden mit zu vielen innerlichen Fragezeichen. Seine Niederlage hat mich eindeutig nicht überrascht. Nach dieser wochenlangen Tour über die Sandplätze und dem Sieg bei den French Open hätte er – von aussen betrachtet – eine Pause verdient gehabt. Und diese Pause hätte er sich auch nehmen sollen.
Manche sagen, Nadal werde Wimbledon nie mehr spielen.
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass er beispielsweise nächstes Jahr nicht antritt. Er ist jetzt 27, muss sich überlegen, wie er die restlichen Jahre seiner Karriere noch erfolgreich und gesund durchspielen kann, auch vor dem Hintergrund, dass bei seiner jüngsten Verletzungspause schon mal alles auf der Kippe stand. Er wird, das ist meine These, künftig nur noch dort spielen, wo er weiss: Das schadet meinem Körper nicht. Wimbledon gehört aber definitiv nicht dazu.
Nadal und Federer früh auf dem Heimweg. Ist Wimbledon endgültig der Beweis, dass eine neue Rivalität das Welttennis prägt, das Duell zwischen Murray und Djokovic.
Ich hatte dieses Gefühl schon seit dem fantastischen US Open-Finale des letzten Jahres und Murrays starkem Sommer mit dem Gewinn der olympischen Goldmedaille. Sie haben dieses Nadal/Federer-Duell abgelöst. Und beide, Djokovic und Murray, werden auch die sein, die in Zukunft um Platz 1 in der Rangliste spielen.
Gibt es keinen Spieler, der in diese Elitegruppe vorstossen könnte, einen Revoluzzer, der das Establishment bedrängt?
Ich würde es mir sehr wünschen. Denn diese festgefahrenen Strukturen sind nicht gut, die erzeugen Eintönigkeit. Es gilt im Tennis genau so wie überall im Sport: Neue Gesichter tun dem Geschäft gut, sind interessant für die Fans. Ich hoffe, dass jüngere Spieler wie Dimitrow, Tomic, Janowicz oder Raonic jetzt mal ein Topturnier gewinnen. Die sind alle hochbegabt, müssen aber jetzt nach vorne durchstossen. Sonst wird es irgendwann heissen: das ewige Talent.
Ihre Landsfrau Sabine Lisicki steht in ihrem ersten Grand Slam-Finale. Was geben Sie ihr mit auf den Weg?
Einen einfachen Rat. Die Nerven behalten. Nichts verändern, den Rhythmus beibehalten. Eigentlich die Dinge tun, die man getan hat, um auch ins Finale zu kommen.
Hört sich einfach an, ist aber nicht jedem gelungen.
Aber Sabine ist der Typ dafür. Ich habe schon den Eindruck, dass sie in alle dem Trubel extrem ruhig und gelassen bleibt. Und diese Aufmerksamkeit auch geniesst. So musst du auch ticken, wenn du etwas Grosses schaffen willst: Du darfst keine Angst haben vor einem Auftritt auf so einer Bühne, vor so einem Finale. Du musst es geniessen können. Diese Qualität und diese Charakterzüge hat Lisicki, sie hat es schon oft genug bewiesen. Sie ist auch gereift als Spielerin noch einmal, das hat man gesehen in dem Spiel gegen Kanepi: Wie sie sich da wieder selbst aufgefangen hat nach dem Supererfolg gegen Williams – Hut ab, das war klasse. Da habe ich für mich zum ersten mal den Gedanken lassen: Sabine Lisicki gewinnt Wimbledon 2013.
«Ein Wochenende im All England Club? Ich kämpfe da vor allem mit Parkplatzproblemen, da ist selten was frei für mich selbst.»
Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie zu ihrem ersten Finale herausmarschierten, 1985 gegen Kevin Curren?
Es gab ein gesundes Lampenfieber. Es gab Respekt vor dem Gegner. Aber ich hatte einfach das überwältigende Gefühl: Diese Mission ist noch nicht zu Ende, du musst dir jetzt holen, was dir gehört. Im Nachhinein kann ich sagen: Mit dem Halbfinale und dem Endspiel begann erst so richtig der Turnierspass, da war dieses Prickeln da.
Ganz allgemein: Was bedeutet nach all den Jahren noch Wimbledon für Sie, diese beiden Wochen im All England Club?
(Lacht) Als Nachbar habe ich vor allem mit Parkplatzproblemen zu kämpfen, da ist selten was frei für mich selbst. Aber nein, es ist immer noch die schönste Zeit des Jahres, ein Turnier wie kein anderes auf der Welt. Ein Turnier, bei dem ich als Spieler geboren wurde, das meine Karriere definiert hat. Und ein Turnier, das immer wieder wunderbare Erinnerungen weckt. Allein schon deshalb, weil ich fast allen wiederbegegne, mit denen ich früher meine Kämpfchen ausgetragen habe auf dem Rasen.
Welcher Moment war der, der Ihnen bisher am meisten im Gedächtnis geblieben ist von diesem Turnier?
Es gab zwei: Der traurige Abgang von Roger vom Centre Court nach seinem Aus, eine Szene, die über den Tag hinaus sowieso Wirkung haben könnte. Und dann der Augenblick, wie Sabine Lisicki nach dem Matchball gegen Serena Williams auf den Boden fällt – und auf dem Rasen des Centre Court liegt.