Ein Blick in die fussballverrückte Stadt Florenz vor dem Duell mit dem FC Basel

46 Jahre ist es her, seit die ACF Fiorentina zum letzten Mal den Scudetto gewann. Der Fussballverrücktheit der Anhängerschaft tut diese lange Zeit keinen Abbruch. Hoffnung schafft vor dem Duell mit dem FC Basel (Donnerstag, 21.05 Uhr) der neue Trainer Paulo Sousa – auch wenn dieser nicht die übersinnliche Erscheinung ist, die beim letzten Titelgewinn über dem Stadio Franchi zum Spielabbruch führte.

epa04927347 Fiorentina's head coach Paulo Sousa gestures during the Italian Serie A soccer match ACF Fiorentina vs CFC Genoa at Artemio Franchi stadium in Florence, Italy, 12 September 2015. EPA/MAURIZIO DEGL' INNOCENTI

(Bild: Keystone/MAURIZIO DEGL' INNOCENTI)

46 Jahre ist es her, seit die ACF Fiorentina zum letzten Mal den Scudetto gewann. Der Fussballverrücktheit der Anhängerschaft tut diese lange Zeit keinen Abbruch. Hoffnung schafft vor dem Duell mit dem FC Basel (Donnerstag, 21.05 Uhr) der neue Trainer Paulo Sousa – auch wenn dieser nicht die übersinnliche Erscheinung ist, die beim letzten Titelgewinn über dem Stadio Franchi zum Spielabbruch führte.

Nicht 20, sondern 15 seien es gewesen. Da ist sich Italo sicher. Bei der Entschlossenheit, mit der der 77-Jährige den Espresso trinkt, will man das kaum anzweifeln. Er spricht von Ufos. «27. Oktober 1954, Fiorentina gegen Pistoiese – 15 Scheiben flogen über das Stadion, dann regnete es Unmengen faseriges Zeugs vom Himmel und die Partie musste abgebrochen werden. Die haben auf alle Fälle einen exquisiten Geschmack, diese Marsmännchen, weil sie zur Fiorentina kamen.»

Der Schiedsrichter notierte im Spielbericht einst zwar «20 scheibenartige Objekte», doch Referees seien eben damals schon Blindschleichen gewesen. Sagt Italo, verlässlicher Zeitzeuge des «Ufo-Spiels», wie die betagteren Florentiner es bis heute nennen. 

Viel Ausserirdisches gab es im Stadio Artemio Franchi seither nicht mehr zu bestaunen. In der überholten Arena der AC Florenz gehört Italo zu den wenigen, die den zweiten und letzten Meisterschaftsgewinn 1969 miterlebten.

Die 90 Minuten Verspätung des Pizza-Services

An der Leidenschaft der Stadt kratzt das nicht. Fast 80 Prozent der Fussballfans in Italien verteilen sich auf die sechs Vereine Juventus, Milan, Inter, Napoli und die beiden Klubs aus Rom – die ersten drei erreichen alleine knapp über 50 Prozent.



Fiorentina coach Paulo Sousa gives instructions to his players during a Serie A soccer match between Fiorentina and Genoa at the Artemio Franchi stadium in Florence, Italy, Saturday, Sept. 12, 2015. (AP Photo/Fabrizio Giovannozzi)

Man kennt sie in Basel, die Gestik des Paulo Sousa. (Bild: Keystone/MAURIZIO DEGL‘ INNOCENTI)

Selbst in den meisten Erstligastädten gehört der lokale Anhang deshalb zur Minderheit. Florenz hingegen wehrte sich erfolgreich gegen die Infiltration der Machtinhaber des Calcio und steht trotzig hinter ihrer Fiorentina wie der Apennin vor der Stadt.

Spielt die «Viola», kann der Pizza-Service schon mal 90 Minuten in Verzug geraten. Am Verkehr liegt das nicht, denn bis auf die unvermeidlichen Touristengruppen wirkt die Stadt bei Duellen der Fiorentina so gottverlassen wie bei einem Wolkenbruch.

Florentiner feiern die Argentinier nach Sieg gegen Italien

Vielleicht steht der kollektive Rückhalt im Zeichen der Rebellion, denn schon lange moniert man, nicht die geringste Lobby in den Entscheidungszentralen zu besitzen. Als Superstar Roberto Baggio 1990 gegen seinen Willen in einer Blitzaktion an Juventus verhökert wurde, rochen viele Anhänger üble Klüngeleien zwischen Verband und Fiat-Filiale.

Der Missmut nahm derartige Dimensionen an, dass die Florentiner bei der Heim-WM 1990 den Halbfinal-Sieg Argentiniens über die eigene Nationalelf mit spontanen Autokorsos zelebrierten. Obwohl die Squadra Azzurra im idyllischen Stadtviertel Coverciano ihr angestammtes Trainingszentrum besitzt, organisierte der Verband von 1993 bis 2006 aus Vorsicht lieber kein einziges Länderspiel in Florenz.

Durchschnittlich 24’000 Zuschauer – in der vierten Liga

«Wir haben nichts gegen die Azzurri – doch wir können keinen Verband mit offenen Armen empfangen, der uns regelmässig in den Hintern tritt», erzählen Vertreter der historischen Fangruppen. Schliesslich schickte man Florenz 2002 in die vierte Liga, hielt die bankrotten Lazio und Parma aber in der Serie A.



Fiorentina coach Paulo Sousa, right, gives instructions to his players during a Serie A soccer match between Fiorentina and Genoa at the Artemio Franchi stadium in Florence, Italy, Saturday, Sept. 12, 2015. (AP Photo/Fabrizio Giovannozzi)

Paulo Sousa weist Federico Bernardeschi an. (Bild: Keystone/MAURIZIO DEGL‘ INNOCENTI)

Eine der wenigen Episoden, die die Florenz-Anhänger zu einer sonderbaren Spezies verschmelzen. Ein wenig Konspiration, Selbstmitleid und himmelschreiende Fehlentscheide gehen immer. Nach dem Bankrott des Klubs 2002 hievten die Fans den Zuschauerschnitt in der vierten Liga auf stolze 24’000.

Das abgebissene Ohr

Dass für die Stadt keine andere Vereinsfarbe als das beissende Lila infrage kommt, liegt auch am Stolz der eigentümlichen Florentiner, die gern über ihre Grandezza sinnieren. Ihre Mundart wurde dank Dante, Boccaccio und Petrarca zur Nationalsprache erhoben, man darf sich Wiege der Renaissance nennen, und den Fussball haben die Florentiner ja sowieso erfunden.

In der Tat avancierte der unter den Florentinern seit dem 14. Jahrhundert verbürgte «Calcio storico», der an Rugby erinnert, später zum modernen Fussball. Die vier historischen Viertel in Florenz treten auf der Piazza Santa Croce bis heute jedes Jahr im Juni an und nehmen die Order «Punkt, egal mit welchen Mitteln» ziemlich wörtlich. Vor einigen Jahren musste das Turnier abgebrochen werden – wegen eines abgebissenen Ohres.

Sousas unlautere Gegenmittel

Einige Kilometer weiter steht das Stadio Artemio Franchi. Dort werden traditionell jeden Sommer Träume geboren, die im Frühling wieder sterben. Dieses Jahr soll es Paulo Sousa richten, dem man die Vergangenheit beim Antichrist Juventus inzwischen vergibt und ihn nach Siegen in der Vorbereitung gegen Barcelona und Chelsea und zwei Ligaerfolgen rasch zum neuen Heilsbringer erhob.



epa04927488 Fiorentina' s miedfielder Jakub Blaszczykowski during the Italian Serie A soccer match between ACF Fiorentina and CFC Genoa at Artemio Franchi Stadium in Florence, Italy, 12 September 2015. EPA/MAURIZIO DEGL' INNOCENTI

Jakub Blaszczykowski wechselte von Dortmund in die Serie A zu Florenz. (Bild: Keystone/MAURIZIO DEGL‘ INNOCENTI)

Doch das ändert sich in der Agonie der italienischen Calcio-Hochburgen von Tag zu Tag. Sousa kommt mit seinem fliessenden Italienisch und charmanten Gesicht freilich gut daher. Das wird den Portugiesen auf der notorisch hysterischen Piazza der Fiorentini nicht vor Misserfolg retten.

Trotz der zwei Siege aus drei Partien grummelten Teile des Umfelds weiter über einen allzu mickrigen Transfermarkt. Sousa hat offenbar ein unlauteres Gegenmittel entdeckt, denn sein Florenz wird auch gegen Basel mit einem Mann mehr auftreten. 1-3-4-2-1, der Portugiese integriert in seinen Ankündigungen stets den Keeper im Spielplan.

Der Blick gen Osten – zum Stadion Franchi

An diesen Spätsommer-Abenden kleidet sich in Florenz gerne auch der Horizont viola. Auf der Piazzale Michelangelo über der Stadt zoomen die Digitalkameras der Touristen dann standesgemäss ihren Fokus nach links auf Dom, Giottos Campanile oder den Ponte Vecchio.

Der Florentiner hingegen geniesst sein Abendlila mit einem verträumten Blick gen Osten zum Stadio Franchi und hält vielleicht nach scheibenartigen Objekten Ausschau. In der Saison nach deren letztem Besuch wurde die Fiorentina Meister.

» Das Kader der Fiorentina
» Fiorentinas Leistungsdaten in dieser Saison

 

Nächster Artikel