Mit seinem 26. Sieg im 26. Profikampf gewinnt der Prattler Schwergewichtsboxer Arnold Gjergjaj seinen ersten Gürtel. Den europäischen Meistertitel für Nicht-EU-Bürger holt er sich mit seinem 20. K.o. Der Traum vom WM-Kampf lebt damit weiter.
Und dann dieser letzte Schlag. Adnan Redzovic hat bereits erstaunlich viel weg gesteckt, er hat Treffer kassiert, bei denen so manch ein Schwergewichtsboxer längst den Weg in die Horizontale angetreten hätte. Nicht der bosnische Löwe. Er versucht alles; zunächst mit Angriff, dann, als das Unheil für ihn in der 9. Runde eigentlich schon nicht mehr abzuwenden ist, mit allen Mitteln in der Verteidigung. Als es ganz eng für ihn wird, spuckt er zweimal seinen Mundschutz durch den Ring, um Zeit zu gewinnen.
Arnold Gjergjajs Titelkampf in der TagesWoche
Am 4. Oktober kämpft der Prattler Schwergewichtsboxer Arnold «the Cobra» Gjergjaj gegen Adnan «Bosnian Lion» Redzovic um den Europa-Titel der nicht EU-Staaten.
Die TagesWoche hat zum Kampf ein Paket mit diesen Berichten zusammen gestellt:
Vielleicht ist das ein Fehler. Vielleicht sollte er sich nicht nach jedem Treffer noch einmal auf seinen immer weicher werdenden Beinen zu halten versuchen. Vielleicht müsste sein Trainer besser das Handtuch werfen. Vorstellbar auch, dass der Ringrichter den Kampf frühzeitig beendet.
Lichter aus bei Redzovic
Aber nein, Redzovic steht noch, Ja, er versucht sogar noch einmal einen Angriff, als ihn nach zwei Minuten und fünfzig Sekunden der neunten Runde dieser Donnerschlag trifft. Ein linker Haken, ein Treffer wie ein Güterzug, eine Faust, die bei Redzovic das Licht ausknipst. Eine Minute lang liegt der danach bewusstlos auf dem Ringboden, ehe er sich zur allgemeinen Erleichterung wieder aufrappelt.
Es ist der letzte Schlag dieses Titelkampfs. Der Schlag, der Arnold «the Cobra» Gjergjaj zum ersten Schwergewichtsboxer mit Schweizer Lizenz macht, der einen Profi-Titel gewinnt. Der Schlag, der dem Prattler mit kosovarischen Wurzeln seinen ersten Gürtel einbringt. Der Schlag, der seinen Traum von einem Weltmeisterschaftskampf am Leben hält.
Kein geschenkter Sieg
Noch ist es nur ein kleiner Titel, gewiss. Der Kämpfer des Boxclub Basel darf sich nun europäischer Meister der nicht-EU-Staaten nennen. Ein Gürtel, den die nur in Europa tätige European Boxing Union vergibt. Es soll nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum ganz grossen Kampf sein.
Doch es ist ein wichtiger Schritt. Einer, der Gjergjaj nicht geschenkt wird. Der 37-jährige Redzovic mag mit 4 K.o. in seinen 15 Siegen nicht mit einer beängstigenden Kampfbilanz nach Basel gekommen sein. Aber der Bosnier hat so viel Klasse und Widerstandskraft wie bislang keiner der Gegner, auf den die Kobra in ihrem Karriere-Aufbau zuvor getroffen ist.
Er ist ein Kontrahent, der den Kampf vor allem in der vierten und fünften Runde ausgeglichen gestalten kann – obwohl er bereits im dritten Durchgang zu Boden gegangen war. «Ich hätte nicht gedacht, dass er nach meinem ersten Schlag noch einmal aufsteht», gibt Gjergjaj danach zu. Doch er hat sich getäuscht. Redzovic sucht geschickt den Infight, hat seine gefährlichsten Szenen, wenn er den Prattler an die Seile drängen und mit Schlagserien eindecken kann.
Ein Cut über dem Auge, das Handgelenk geschwollen
Gjergjaj ist deswegen sichtlich erleichtert – und auch gezeichnet, als er um halb zwei Uhr Morgens endlich hinter den Kulissen verschwinden kann. Über seiner linken Braue ein zusammengetackerter Cut, der ihn ab der 4. Runde durch den Kampf begleitet hat. Das linke Handgelenk schmerzt seit diesem letzten Donnerhall an den Kopf des Gegners, es muss später geröntgt werden.
Nicht alles ist im Ring so abgelaufen, wie sich das Gjergja und sein Trainer und Manager Angelo Gallina vorgestellt hatten. Zu wenig bewegt habe er sich, da sind sich Gallina und sein Boxer einig. «Aber», sagt Gjergjaj, «ich habe mir schon vorgenommen, mich zu bewegen – bloss ist das im Ring dann jeweils eine ganz andere Sache.»
Faust auf die Nase, Balkanpop an die Ohren
Möglich, dass der 29-Jährige auch etwas durch die Stimmung belastet wird, die um seinen Kampf herrscht. Erstmals boxt er in der grossen St. Jakobshalle und vor so einer grossen Kulisse. 2000 Zuschauer sind gekommen – und mit Ausnahme einer kleinen aber lautstarken bosnischen Fangruppe wollen sie alle nur eines: Ihren Helden gewinnen sehen.
Denn ein Held ist Arnold Gjergjaj für diese Leute, von denen die Mehrzahl wie der Boxer aus dem Kosovo stammt – den Baselbieter Regierungsrat Isaac Reber und den FCB-Vizepräsidenten Adrian Knup mal ausgenommen. Und so gibt es, bevor es im Ring eins auf die Nase gibt, vor dem Hauptkampf kosovarische Volksmusik und Balkanpop an die Ohren.
Ein Gefühl, als komme Mike Tyson
Als Gjergjaj dann eine Viertelstunde vor Mitternacht den langen Weg in den Ring antritt, da ist die Stimmung so gut, dass er das Gefühl bekommt, jemand anderes schreite gerade zum Kampf: «Ich habe gedacht: Das bin gar nicht ich, das ist Mike Tyson.» Nach dem Titelgewinn hupen die Autos vor der St. Jakobshalle wie nach einem Fussballspiel.
Es ist ein kleiner Vorgeschmack darauf, was los sein dürfte, sollte Gjergaj dereinst tatsächlich einen grossen Kampf bestreiten dürfen. Doch bis dorthin ist der Weg weiterhin lang und steinig. Die Finanzierung des Projekts Kobra ist mit dem EM-Titel keineswegs breiter abgestützt.
Angebote sortieren
Wie es genau weiter gehen wird, lassen Gjergjaj und Gallina nach dem Triumph erst mal offen. Ein paar Anfragen für Kämpfe habe es gegeben, sagt Manager Gallina: «Das müssen wir nun sortieren.»
Sagt es – und blickt auf den Cut über dem Auge seines Schützlings: «Aber vorher flicken wir den Jungen mal zusammen.» Und so verbringt der frisch gebackene Titelhalter Arnold Gjergjaj einen guten Teil der Nacht seines Triumphs im Claraspital.