Ein englisches Fussballmärchen

Im Wembley holen die Underdogs von Wigan Athletic sensationell den FA-Pokal dank eines 1:0-Sieges gegen das Starensemble von Manchester City. Allzu viel feiern können sie allerdings nicht. Denn in der Meisterschaft droht der Abstieg. Noch fehlt also das Happy-End.

Wigan Athletic's chairman Dave Whelan, right, and manager Roberto Martinez celebrate with the trophy after their win against Manchester City at the end of their English FA Cup final soccer match at Wembley Stadium, London, Saturday, May 11, 2013. (AP Phot (Bild: Keystone/Matt Dunham)

Im Wembley holen die Underdogs von Wigan Athletic sensationell den FA-Pokal dank eines 1:0-Sieges gegen das Starensemble von Manchester City. Allzu viel feiern können sie allerdings nicht. Denn in der Meisterschaft droht der Abstieg. Noch fehlt also das Happy-End.

«Ich muss mich entschuldigen», waren Roberto Martínez’ erste Worte nach dem grössten Triumph der 81-jährigen Vereinsgeschichte. Der spanische Trainer von Wigan Athletic hatte mehr als eine Stunde gebraucht, um es von der Kabine des Wembley-Stadions ins angrenzende Presseauditorium zu schaffen. «Wir sind es nicht gewöhnt zu feiern», lächelte er verlegen.

Von wilden Tänzen und Champagner-Duschen seiner Underdogs wusste Martinez nach dem Last-Minute-1:0-Pokalfinalsieg (0:0) gegen die Superstartruppe Manchester City allerdings nicht zu berichten. «Die Jungs wissen, was sie zu tun haben, sie sind seriös», sagte der 39-Jährige, «es geht ins Eisbad, dann zurück in den Bus. Morgen ist Training.» 

Drei Punkte Rückstand zum rettenden Platz

Das war keine Ironie, sondern leider die Wahrheit. Die Latics mussten die Euphorie über den ersten nennenswerten Titelgewinn in der Clubhistorie im Stillen ausleben, für eine Party ist die die Lage in der Liga viel zu prekär. Der zwischen Manchester und Liverpool gelegene Kleinstadtverein (Zuschauerschnitt 19’000)  steht mit drei Punkten Abstand auf die Konkurrenz auf dem dritten Abstiegsplatz, bei noch zwei verbleibenden Spielen. Am Dienstagabend muss die für ihren kultivierten Kurzpassfussball gerühmte, aber defensiv labile Elf schon wieder zurück nach Nord-London, zum Auswärtsspiel beim FC Arsenal.

«Den Klassenerhalt zu schaffen, wäre das Double für uns», sagte Martinez. Der als Nachfolger von David Moyes (wechselt zu  Manchester United) im Everton-Amt gehandelte Coach kritisierte sanft die Terminplanung der Football Association: «Es wäre schöner gewesen, wenn das Finale das letzte Spiel der Saison gewesen wäre, dann hätten wir ausgelassener glücklich sein können.» 

Für den Clubbesitzer schliesst sich Kreis

Im Vorfeld hatte  die «traditionszerschnitzelnde» Ansetzung («Daily Telegraph») des Endspiel um 17.15 Uhr im Sinne der Einschaltquoten ebenfalls für viel Unmut gesorgt. Um so mehr wurde der Sensationssieg auf der Insel bejubelt – er taugt als Lebenszeichen des zuletzt arg kränkelnden Mythos FA-Pokal.

Herzerwärmend geriet daneben auch die Bestätigung der versöhnlichsten aller Fussball-Weisheiten. Es gleicht sich am Ende eben doch alles aus, auch wenn man im Einzelfall etwas länger darauf warten muss. Wigan-Besitzer Dave Whelan (76) kam 1960 als aufstrebender Aussenverteidiger bei den Blackburn Rovers ins Pokal-Finale im Wembley, Gegner waren die Wolverhampton Wanderers.

Kurz vor der Halbzeit brach sich der damals 23-Jährige bei einer Grätsche das Bein. «Ich sah, wie es sich in der Luft verbog», hat er später erzählt. Er wurde vom Platz getragen, die Rovers verloren mit zehn Mann 0:3. Auswechselspieler waren nicht erlaubt.

Whelan musst bald darauf seine Karriere beenden. Von Blackburn bekam er 400 Pfund Entschädigung, damit kaufte er Ware für seinen Marktstand. Später baute er zwei Einzelhandelsketten auf. 1995 übernahm er Wigan, seinen Heimatverein, für umgerechnet 600’000 Euro in der vierten Liga, zehn Jahre später hatte er den Club in die erste Liga gehievt. Mit dem Sieg im Wembley schloss sich der wundersame Kreis. «Der Fussball hat mir heute alles zurück gezahlt», sagte ein glücklicher Whelan nach dem Schlusspfiff. 

Entscheidung in der Nachspielzeit

Einwechselspieler Ben Watson, der mit seinem Kopfball in der siebten Sekunde der Nachspielzeit das Match entschied, hatte sich im November ebenfalls das Bein gebrochen. «Die medizinische Abteilung hat gesagt, dass die Saison für ihn zu Ende ist, aber er hat hart gearbeitet, und heute ging ein Traum in Erfüllung», sagte Martínez. Und fügte hinzu: «Ich habe schon Filme mit schlechteren Drehbüchern gesehen.»

Der Sieg jedoch sei «kein Unfall», betonte Martínez. Seit der frühere Spielmacher das Team 2009 übernommen hat, steht Wigan für fussballerische Intelligenz und cleveres Ressourcen-Management. Zvor hatte der Klub aus der eher für Rugby bekannten Stadt viel Mühe, in der Showbiz-Liga seine Daseinsberechtigung nachzuweisen. 

Mancini vor der Ablösung

Ein Happy-End im Überlebenskampf in der Premier League ist Paul Scharner, den vom Hamburger SV ausgeliehenen Österreicher, und den anderen Helden vom Samstag aber keineswegs garantiert. Selbst wenn Wigan die Klasse hält, wird es schwer, den eloquenten, sympathischen Martínez nicht an einen grösseren Verein zu verlieren.

Auf einen Abschied muss sich wohl auch Man-City-Boss Roberto Mancini einstellen. Der Auftritt des Vorjahresmeisters im Endspiel war beschämend schwach. «Das Team sah aus, als ob die Leidenschaft und der Wille fehlten», sagte der argentinische Verteidiger Pablo Zabaleta, der in der 84. Minute mit Gelb-Rot vom Platz flog. Schon vor dem Final hatte der von Abu-Dhabi-Scheich Mansour kontrollierte Club mit Manuel Pellegrini, dem Trainer von Malaga, über eine Ablösung des Italieners verhandelt.

«Wenn diese Meldung stimmt, dann bin ich dumm, denn ich weiss davon nichts», sagte Mancini ungehalten. Der 48-jährige Italiener beklagt mangelnde Rückendeckung durch die Vereinsführung: «Seit sechs Monaten wird spekuliert. Ich weiss nicht, warum der Klub das nicht unterbunden hat, das ist nicht korrekt.»

Bei City ist man jedoch zur Ansicht gekommen, dass es einen neuen Impuls für den hochtalentierten, aber ohne jeden Schwung und Zusammenhalt auftretenden Kader bedarf. Zweifel an dieser Analyse gibt es spätestens seit dieser Niederlage nicht mehr. Der Kontrast zu Martiínez’ taktisch überlegener, begeisternd kämpfender No-Name-Bande hätte für den anderen Roberto nicht unvorteilhafter ausfallen können.

FA-Cup, Final

Manchester City–Wigan Atheltic 0:1 (0:0)
Wembley. – 86’254 Zuschauer. – SR Marriner. – Tor: 91. Watson 0:1.

Manchester City (4-2-3-1): Hart; Zabaleta, Nastasic, Kompany, Clichy; Y Touré, Barry; Silva, Aguero, Nasri (54. Milner); Tevez (69. Rodwell).
Wigan
(3-5-2): Robles; Boyce, Scharner, Alcaraz; McArthur,McCarthy Maloney, Gomez (81. Watson), Espinoza; McManaman, Koné.

Bemerkung: 84. Gelb-Rote Karte für Zabaleta. – Wigan erstmals Finalist im FA-Cup.

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