Den Final gegen den «Kannibalen» Rafael Nadal hat er in Madrid zwar verloren. An den Tennis-Supermännern ist Stanislas Wawrinka nun aber so nah dran wie noch nie zuvor. Ja, er könnte sogar zum Symbol des Machtwechsels in der Tenniswelt werden.
Am Ende, aber erst am Ende war er doch nur der Statist im grossen Spiel. Der Mann, der den besten Blick auf den besten Sandplatzspieler aller Zeiten hatte. Geschlagen und niedergeschlagen sass Stanislas Wawrinka schliesslich an diesem Finalsonntag in Madrid auf seinem Pausenstuhl, buchstäblich überwältigt vom Gefühl einer schmerzlich klaren 2:6, 4:6-Niederlage gegen Rafael Nadal, den Matador und Lokalmatador, ausgezählt wie nach einem Knockout im Boxring.
Nadal, es war klar nach der neunten Niederlage im neunten direkten Duell, blieb noch eine Spielklasse zu gross für den Romand – besonders in der roten Asche, dem Lieblingsgeläuf des bulligen Mallorquiners. «Ehe du dich ins Spiel findest, bist du schon extrem im Rückstand», sagte Wawrinka hinterher fast ein wenig verwirrt, «auf Sand ist Nadal eben in einer eigenen Dimension unterwegs.»
Ein Verlierer und doch: ein grosser Gewinner
Auch wenn Wawrinka in diesem neunten Match gegen Nadal wieder ohne Satzgewinn blieb und die schwarze Serie gegen den Tennis-Schwerstarbeiter fortwirkte, war die Turnierwoche in der Kapitale für den zweiten Sieger doch ein Gewinn – vielleicht sogar eine wegweisende Initialzündung, um die eigene Karriere noch einmal zu beschleunigen und in neue, bisher unerreichte Höhen zu führen.
Denn sowohl seine Arbeitskollegen wie auch die Tennisfreunde in Madrid erlebten bei diesem wichtigsten French Open-Vorbereitungsturnier einen Protagonisten, der sich in den typischen Zermürbungskämpfen im Sand so wohl fühlte wie selten, der bei den Big Points in aller Regel entschlossen und zupackend seine Chancen nutzte, der verloren geglaubte Matches mit guten Nerven herumbog. Und der zeigte, dass seine Talente eben doch mehr als nur ein Versprechen sein können.
Wawrinka hält den Belastungsproben zunehmend stand
Jedenfalls: Die Ahnung, dass in dieser Saison womöglich mehr Überraschungseffekte das festgefahrene Klassen-System des Männertennis erfrischen könnten, wurde auch durch Wawrinka, den Schweizer Schattenmann, befördert. In aufreibenden Nachteinsätzen fightete sich der 28-jährige gegen hochkarätige Konkurrenz in den finalen Vergleich mit Nadal, es war ein Resultat, das man angesichts gegnerischer Kalibern wie Tsonga oder Berdych keinesfalls auf der Rechnung haben musste – selbst nicht nach Wawrinkas schon bisher hervorragender 2013er Sandplatzbilanz mit einem Turniersieg in Oeiras und einem Finaleinzug in Buneos Aires (beide Male gegen Ferrer).
Doch Wawrinka hält den Bewährungsproben auf großer Tennisbühne eben zunehmend stand, und zwar gegen alle Spieler, die hinter dem Quartett der exklusiv starken Gentlemen stehen, hinter Djokovic, Murray, Federer und Nadal. Dass er nach der Madrider Turnierwoche wieder unter die Top Ten der ATP rutscht, auf Platz 10, ist die logische Konsequenz einer starken Spielserie. Und einer gewandelten Mentalität Wawrinkas, der neuerdings eher ins Gelingen als ins Scheitern verliebt ist.
Mit der Erfahrung des Endzwanzigers
Selbst einem in Madrid bärenstarken Tomas Berdych raubte Wawrinka im Halbfinale noch in einem kraftvollen Zielspurt den Erfolg, ein Coup, der in der Vergangenheit selbst von wohlmeinenden Betrachtern kaum für möglich gehalten worden wäre. Inzwischen ist es fast schon eine Plattitüde, dass im modernen Tourbetrieb Erfahrung und Reife wie nie zuvor in der Tennisgeschichte eine überragende Rolle spielen.
Aber auch Wawrinkas Beispiel belegt die These, dass im Hier und Jetzt die Profis erst kurz vor dem 30. Lebensjahr zu ihrer vollen Klasse finden – nicht zuletzt, weil sie erst dann alle sportlichen und trainingstechnischen Puzzlesteine zusammenlegen konnten, die es braucht, um konkurrenzfähig zu sein auch für die schwersten Herausforderungen.
Wawrinka – näher an den Supermännern
Wobei in Wawrinkas Fall noch die psychologische Besonderheit eine Rolle spielte, der zweitbeste Spieler in einer Nation zu sein, die mit einem Mann wie Roger Federer allein reich beschenkt ist. Wawrinka war so sehr der vernachlässigte, spärlich gewürdigte «Vize» wie einst Michael Stich in goldenen deutschen Tenniszeiten hinter Boris Becker. Seinen Kräften und Fähigkeiten traut der dynamische Sportsfreund noch nicht lange mit der Bedingungslosigkeit, mit der er das heutzutage tut.
Dass er freilich in dieser Saison für besondere Momente, gar Paukenschläge gut sein könnte, zeigte schon der hauchdünn verlorene Fünf-Satz-Krimi gegen Djokovic im Januar bei den Australian Open. Wawrinka ist jetzt nahe dran an den Supermännern der Branche, näher als je zuvor. Auch weil er so stabil und konstant spielt, weil er deutlich hartnäckiger auf Erfolgskurs ist als viel gelobte, medial eher überhöhte Potenzialspieler wie etwa der Bulgare Grigor Dimitrow.
Im Endspiel gegen Nadal wirkte Wawrinka, vielleicht auch wegen des Substanzverlusts in einer aufreibenden Turnierwoche, nicht wie jemand, der tatsächlich an das Wunder gegen den «Kannibalen» glaubte. Das kann sich, unter anderen Umständen, aber ganz schnell ändern. Stan, the Man, könnte noch zu einem der Männer dieses Jahres 2013 werden. Zu einer Symbolfigur für neue Machtverschiebungen in der Tenniswelt.
Die Entwicklung Stanislaw Wawrinkas in der ATP-Weltrangliste