Ein heilender Kuss auf die schwermütige Seele Portugals

Portugal schien für immer zum Verlieren verdammt, doch zwölf Jahre nach der bitteren Final-Niederlage an der EM im eigenen Land ist der Fluch beendet. Die portugiesische Schwermut ist besiegt – für den Moment zumindest.

Football Soccer - Portugal v France - EURO 2016 - Final - Stade de France, Saint-Denis near Paris, France - 10/7/16 Portugal's Cristiano Ronaldo reacts after Eder scores their first goal REUTERS/Kai Pfaffenbach Livepic

(Bild: Reuters)

Portugal schien für immer zum Verlieren verdammt, doch zwölf Jahre nach der bitteren Final-Niederlage an der EM im eigenen Land ist der Fluch beendet. Die portugiesische Schwermut ist besiegt – für den Moment zumindest.

Cristiano Ronaldo machte sich natürlich schnell den Oberkörper frei, aber er war nicht der einzige. Renato Sanches, der künftige Bayern-Profi, war auch schon halbnackt, als er sich auf dem Fahrgestell mit der riesigen Nachbildung des Europameisterpokals über den Rasen des Stade de France chauffieren liess.

Während die anderen vor ihrer Fankurve feierten, wurde der 18-Jährige über die Anzeigetafel zum besten Jungprofi des Turniers ausgerufen. Abwehrchef Pepe erhielt die Auszeichnung als bester Spieler des Finals. Ronaldo bekam keinen persönlichen Preis. Nie war es ihm so egal.

In der Ehrenloge stemmte er den EM-Pokal in die Luft, er strahlte wie ein Kind, ohne dieses Maskenhafte, Inszenierte, Beleidigte, das sein Jubel sonst manchmal haben kann. Ein völlig emotionalisierter Mensch, der an diesem Abend durch die Hölle gegangen war und jetzt im Himmel war.

«Vamos», rief er immer wieder, die Augen feucht, aber nicht mehr vor Schmerz wie nach seiner Verletzung in der ersten Halbzeit. Die sah man nur noch, als er danach die Treppen von der Tribüne hinunterhumpelte.

Grün-rotes Konfetti flog über den Platz, die Farben Portugals. Bestimmt dachte Ronaldo in diesem Moment auch an den Abend zurück, als er in Lissabon durch blau-weisses Konfetti waten musste, als 19-Jähriger, geschlagen im ersten Finale der portugiesischen Geschichte vom krassen Aussenseiter Griechenland. Mit einer grossartigen Mannschaft – Figo, Deco – verpasste Portugal 2004 zuhause den Titel.

Es schien für ewig zum Verlieren verdammt, zur «saudade», der berühmten portugiesischen Schwermut, der Sehnsucht nach vergangener Grösse, der Melancholie der Millionen Portugiesen, die ihr Glück in fernen Ländern suchen mussten, weil ihre Heimat sie nicht ernähren kann.

Fans of Portugal react as they watch the Euro 2016 final between Portugal and France at a public screening in Lisbon, Portugal, July 10, 2016. REUTERS/Rafael Marchante

Aber am schönsten sah man die Leidenschaft an Trainer Fernando Santos, der sehr technokratischen Fussball spielen lassen kann, aber ein sehr emotionaler Mensch ist. Der 61-Jährige schien noch Stunden später nur aus Wasser zu bestehen, Schweiss und Tränen, sein Haar war klatschnass.

Als er sich vor die Weltmedien setzte, nahm er eine Brille hervor und las eine Erklärung von Blatt ab, so altmodisch und romantisch wie seine Heimatstadt Lissabon. Er dankte Gott, seiner Mutter, seiner Frau, seinen Enkeln, den Spielern, allen und natürlich Portugal, der Nation, die so viel gelitten und verloren hat. «Die Nation der Seele», wie Santos sie nun taufte.

Ein schöner Ronaldo und und eingestürzte Mythen

Später kam dann Ronaldo zum TV, völlig aufgekratzt immer noch. «Schau ich gut aus, schau ich gut aus, was denkst du mein Freund?», lachte er den Interviewer an. «Ich glänze … ha ha. Weil ich heute viel geweint habe.» Als er verletzt vom Platz getragen wurde, da schien sie ja schon wieder verschoben, die Krönung der Karriere eines Jungen mit einer eigenen Auswandergeschichte.

Mit zwölf Jahren kam er aus prekären Verhältnissen auf der Atlantikinsel Madeira nach Lissabon, wo sie ihn wegen seinem Akzent auslachten. Mit 18 ins kalte, verregnete Manchester, ohne ein Wort Englisch. «Ich bin sehr, sehr glücklich», sagte er nun, «diesen Moment habe ich seit 2004 gesucht. Es ist ein einzigartiger Moment für mich und für alle Portugiesen, zuhause und anderswo.»

Die Ironie, dass sich die Laufbahn eines der grössten Fussballer aller Zeiten an einem Abend vervollständigte, an dem er kaum mitspielen konnte – sie passte letztlich wunderbar in ein Turnier der eingestürzten Mythen.

Football Soccer - Portugal v France - EURO 2016 - Final - Stade de France, Saint-Denis near Paris, France - 10/7/16 Portugal head coach Fernando Santos is lifted up by his players after winning Euro 2016 REUTERS/Kai Pfaffenbach Livepic

Deutschland schlug erstmals Italien in einem grossen Spiel, Frankreich schlug erstmals Deutschland, und am Ende schlug Portugal erstmals Frankreich und brachte den Gastgebern ihre erste Turnierniederlage vor eigenem Publikum seit 18 Spielen bei. Dass das Siegtor mit Eder ein Stürmer erzielte, der im gesamten Championat zuvor nur 13 Minuten auf dem Platz gestanden hatte – brachte das diese EM nicht umso perfekter auf den Punkt?

Wie natürlich auch die historische Ironie, dass die Portugiesen, einst als «Brasilianer Europas» gefeiert, ihren ersten Titel mit kompaktem Defensivfussball gewannen, der ihnen auf dem Kontinent viel Kritik eintrug. Ausgerechnet der Finalbezwinger von 2004, Griechenland, war in den letzten Wochen zum portugiesischen Vorbild gereift, zumal es ja diese Fernando-Santos-Connection gibt – der Trainer hatte lange in Griechenland gearbeitet.

Mit seinen letzten Worten dankte er denn am Sonntag auch «dem griechischen Volk». In der Kabine wurde derweil schon ein neuer Schlager zum Besten gegeben: «Ob wir gut spielen oder schlecht / ist doch ganz egal / wir bringen den Pokal / in unser Portugal».

* Wiederholungsspiel | ** nach Golden Goal
Alle Endrunden im Detail bei wikipedia
Die Endspiele der Fussball-Europameisterschaften

Jahr

Austragungsland

Finalbegegenung

Resultat

1960 Frankreich Sowjetunion-Jugoslawien 2:1 n.V.
1964 Spanien Spanien–Sowjetunion 2:1
1968 Italien Italien–Jugoslawien 1:1 n.V | 2:0 *
1972 Belgien BR Deutschland–Sowjetunion 3:0
1976 Jugoslawien Tschechoslowakei–BR Deutschland 2:2 n.V, 5:3 i.E.
1980 Italien BR Deutschland–Belgien 2:1
1984 Frankreich Frankreich–Spanien 2:0
1988 Deutschland Niederlande–Sowjetunion 2:0
1992 Schweden Dänemark–Deutschland 2:0
1996 England Deutschland–Tschechien 2:1 n.V. **
2000 Belgien/Niederlande Frankreich–Italien 2:1 n.V. **
2004 Portugal Griechenland–Portugal 1:0
2008 Österreich/Schweiz Spanien–Deutschland 1:0
2012 Polen/Ukraine Spanien–Italien 4:0
2016 Frankreich Portugal–Frankreich 1:0 n.V.

Nächster Artikel