Bermane Stiverne schickt Chris Arreola auf die Bretter und erobert Vitali Klitschkos WM-Titel im Schwergewicht (mit Video).
Man findet keine Ruhe in einem Boxring, der von aufgeregten Helfern und Offiziellen gestürmt sowie von 4000 Zuschauern gesäumt wird. Doch Bermane Stiverne wollte es trotzdem probieren. Der gerade zum neuen Weltmeister der WBC avancierte Schwergewichtler legte sich bäuchlings auf den Boden und meditierte in die von Schweiss getränkte Plane hinein, derweil sein aufgedrehter Promoter Don King ein haitianisches Fähnchen schwang. Dann war es mit dem Innehalten auch schon vorbei – galt es doch, einen pompösen Championgürtel an den rund 110 Kilo schweren Mann anzubringen.
Stiverne alias «B.Ware», 35 Jahre und 26 Profikämpfe alt, ist am späten Samstagabend in Los Angeles Nachfolger des in die Politik gewechselten Vitali Klitschko geworden. Er hat im USC Galen Center erneut den auch von diesem besiegten US-Profi Chris Arreola bezwungen, diesmal sogar vorzeitig, und im Grunde reichte eine schwere Rechte dazu. Sie erwischte Arreola in Runde sechs so punktgenau, dass alles Weitere vorhersehbar war: Das tapfere Erheben des angeschlagenen Lokalhelden, das Anzählen, der nächste Niederschlag – und die Entscheidung des Unparteiischen Jack Reiss, den Kampf nach exakt 2:02 Minuten abzubrechen (Video am Ende des Textes).
Nun dürfen sich gleich mehrere Länder über den Coup des schlagstarken Spätentwicklers freuen. Stiverne ist der erste auf Haiti geborene Champion im Schwergewicht sowie der zweite nach Tommy Burns (1906 bis 1908) mit einem kanadischen Pass. Da er seit etlichen Jahren in Las Vegas lebt und trainiert, geht er in gewisser Hinsicht auch als US-amerikanisches Produkt durch. Darum wertete Promoter Don King den 24. Erfolg in dessen Laufbahn (1 Unentschieden, 1 Niederlage) als Signal der Hoffnung für den gesamten Kontinent. «Wir sind zurück, Amerika ist zurück», übertönte er seinen Boxer vor der Presse in gewohnter Manier, und prophezeite: «Er wird auch die WM-Titel vereinen.»
Das setzt einen Termin mit Wladimir Klitschko voraus, der die Gürtel der drei anderen etablierten Verbände (WBA, IBF, WBO) erobert hat – und nach dem einseitigen Triumph über den Australier Alex Leapai vor zehn Tagen nachdrücklich Interesse an einer kompletten Sammlung anmeldete. Alle Titel wieder im Familienbesitz – das ist das erklärte Ziel des 38-jährigen Ukrainers, der zwischen Kalifornien, der Schweiz und Russland bereits 25 WM-Kämpfe absolviert hat. Vorerst bleibt jedoch unklar, wie zügig sich dieser Showdown, der auch in den Staaten potente TV-Sender, Zuschauermassen und etliche Millionen Dollar bewegen könnte, anbahnen lässt.
Der Showdown führt über einen Bulgaren
Mehrfach-Weltmeister Klitschko ist gerade vom Weltverband IBF aufgefordert worden, sich mit dem bulgarischen Pflichtherausforderer Kubrat Pulev, Nr.2 der unabhängigen Computer-Rangliste, auf einen baldigen Termin zu einigen. Der amtierende und bisher ungeschlagene Europameister (20 Siege) ist schon seit 2 Jahren in der Warteschleife. Auf der anderen Seite hat der WBC mit dem 2 Meter grossen Deontay Wilder aus Alabama, USA bereits einen Pflichtherausforderer für seinen neuen Champion nominiert. Der K.o.-König aus dem Süden (31 Siege) pocht auf seine Rechte und gibt sich von Stivernes kolossalem Punch wenig beeindruckt: «Es wird ein leichter Kampf für mich. Er wird nicht über die Distanz gehen.»
Wer boxt also wen als nächstes? Einst regierte im Profiboxen das ungeschriebene Gesetz, wonach eine Titelvereinigung Vorrang vor jeder Titelverteidigung hat. Davon möchte Pulevs Berliner Boxstall Sauerland Event jedoch nichts wissen. Er hat Druck gemacht, damit sein Vorzeige-Boxer so schnell wie möglich auf Klitschko treffen kann. Jetzt sollen sich beide Parteien innerhalb von 14 Tagen gütlich über die Ausrichtung des Kampfes einigen; andernfalls kommt es zu einer Versteigerung («Purse Bid»), die dem Meistbietenden die Rechte daran zuspricht. Ähnlich will sich auch Wilders Promoter, die ehemalige Boxlegende Oscar de la Hoya, nicht länger hinhalten lassen und die Chance für seine Marke «Golden Boy Promotion» ergreifen.
Stiverne hat es nicht eilig
Promoter-Zar Don King wiederum möchte nur zu gerne die Klitschkos attackieren, durch die sein Einfluss auf die Schwergewichts-Elite zuletzt deutlich abgenommen hat. Doch sein neuer, leiser König ist ihm dabei keine grosse Hilfe. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Stiverne lieber heute als morgen aus dem Vertrag heraus möchte, der ihn an King bindet. Und eine Begegnung mit der Überfigur Klitschko habe auch noch Zeit, wie er in Los Angeles auf entsprechende Nachfragen gestand: Zunächst wolle er dem Schöpfer danken und einfach diesen unwahrscheinlichen Triumph geniessen.
So klingen Menschen, die es nicht eilig haben – und lieber in sich gehen als neue Ansprüche zu formulieren.
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Die entscheidenden Szenen im Kampf zwischen Bermane Stiverne und Chris Arreola: