Das 2:5 gegen Frankreich war die höchste Niederlage der Schweizer Nationalmannschaft unter Ottmar Hitzfeld. Sie muss nun Honduras schlagen, um in die WM-Achtelfinals zu kommen.
Eine Niederlage gegen Frankreich, die erste in einem Pflichtspiel gegen die «Bleus» nach drei Unentschieden in den Jahren 2005 und 2006, war trotz des guten Match-Endes gegen Ecuador immer eine realistische Variante. Nicht aber ein Spiel dieser Art, in dem die Schweiz von A bis Z beherrscht wurde – wie noch nie zuvor unter Ottmar Hitzfeld. In keinem Moment hatten die Schweizer eine reelle Chance auch nur auf ein Unentschieden, das auf dem Weg in die Achtelsfinals schon sehr hilfreich gewesen wäre.
Das war nicht der Auftritt eines kommenden WM-Achtelfinalisten.
Stattdessen ist nach diesem kollektiven Untergang zu sagen: Das war keinesfalls der Auftritt eines kommenden WM-Achtelfinalisten – auch wenn Honduras ein Gegner ganz anderen Zuschnitts sein wird als dieses Frankreich. Und statt den Optimismus, den die Endphase gegen Ecuador hatte aufkommen lassen, weiter zu nähren, mussten die Schweizer einen Rückschlag hinnehmen wie lange nicht mehr.
Dieses 2:5, das dank zweier später Tore gar noch relativ gut aussieht, ist jedenfalls die höchste Niederlage unter Hitzfeld. Zum letzten Mal fünf Tore kassierte die Schweiz im September 1997, als sie unter Rolf Fringer in der Ausscheidung zur WM in Frankreich den Norwegern in Oslo 0:5 unterlag.
Französische Zweikämpfe
Die ersten Anzeichen, was da auf die Schweizer zukommen würde, waren schon sehr früh zu erkennen. Die Franzosen demonstrierten ihre Entschlossenheit, diesen Match zu gewinnen, mit einer Art, in die Zweikämpfe zu gehen, der die Schweizer nicht gewachsen waren. In zwei sehr frühen Fällen hätte es allerdings Konsequenzen für Franzosen geben müssen – zuerst für Olivier Giroud, dann für Mathieu Debuchy.
Das hohe Bein, mit dem Giroud schon in der 7. Minute Steve von Bergen am Kopf traf, hätte zwingend mit einer Verwarnung bestraft werden müssen. Aber das passierte nicht, und von Bergen musste mit einem Cut unter dem linken Auge und einer leichten Hirnerschütterung ins Spital gefahren werden.
Kurz danach mähte Debuchy Admir Mehmedi um im Stil eines Verteidigers, der dem Gegner den Tarif durchgeben will. Auch das blieb ungeahndet.
Die Franzosen waren sofort im Spiel, die Schweizer nicht.
Aber diese Zeichen waren gesetzt, die Franzosen waren sofort im Spiel, die Schweizer nicht – wie schon gegen Ecuador. Und schon bald erhielt Didier Deschamps, der Coach der «Bleus», die erste Bestätigung dafür, wie gut er aufgestellt hatte. Er hatte nämlich im Vergleich zum Spiel gegen Honduras zwei Wechsel vorgenommen, was insofern überraschend war, als jener Match ja klar gewonnen worden war.
Anstelle des hoch gerühmten Youngsters Paul Pogba spielte der Kämpfer Moussa Sissoko als linker «Achter» im Mittelfeld, und in der Offensive ersetzte Arsenals Giroud den Youngster Antoine Griezmann. Giroud kam durch die Mitte, Karim Benzema wechselte auf die linke Flanke. Es war übrigens genau die Besetzung, mit der Frankreich im letzten Test Jamaika 8:0 weggefegt hatte. Ein paar Tage nach dem 1:0 der Schweiz gegen die «Reggae Boyz» in Luzern…
Girouds grosser Match
Giroud hatte sein Missfallen über die Nichtberücksichtigung gegen Honduras deutlich zur Kenntnis gebracht. Deschamps wird nicht darauf reagiert haben, aber sehr zufrieden gewesen sein mit Girouds Auftritt. Der schoss nämlich das 1:0 mit einem Kopfball, nachdem er Valon Behrami locker übersprungen hatte. In der nächsten Minute profitierte Giroud wieder von Behrami: Benzema fing dessen krassen Fehlpass ab, schickte Blaise Matiuidi auf den Weg – 2:0.
Nur eine flüchtige Episode war dann, dass Benzema mit einem Foulpenalty an Diego Benaglio scheiterte. Johan Djourou hatte Benzema mit einer zwar leichten, aber nicht eben klugen Intervention die Gelegenheit gegeben, diesen Elfmeterpfiff zu provozieren. Dennoch stand es schon zur Halbzeit 3:0, nach einem klassischen Konter nach einem Schweizer Corner, eingeleitet von Verteidiger Raphael Varane, fortgesetzt mit einem energischen Flügellauf von Giroud und abgeschlossen von Mathieu Valbuena.
Obwohl es zwei, drei gute Offensivszenen auch der Schweizer gab, war dieses Verdikt logisch. Drei Tore Differenz waren korrekt, zu klar hatten die Franzosen vor allem ihre physische Überlegenheit in den Zweikämpfen ausgespielt.
«Les Bleus» fighteten eben im Stil, der einst der ihres Trainers war. Auf der anderen Seite war Hitzfelds überraschender Wechsel im Sturm von Josip Drmic zu Haris Seferovic kein Plus. Es waren aber erneut, wie schon in der ersten Halbzeit gegen die Ecuadorianer, viel zu wenige in der Verfassung, um einen WM-Match gegen zu allem entschlossene Franzosen auch nur ausgeglichen zu halten.
Nur Benaglio überzeugte
So wirkte Lichtsteiner erneut blass. Behrami war womöglich noch schwächer als am Anfang gegen die Ecuadorianer; und diesmal liess ihm der Trainer – zu Recht – nicht die Zeit, bis zur allerletzten Minute auf seinen grossen Auftritt zu warten. Er nahm ihn zur Pause vom Platz und ersetzte ihn durch Blerim Dzemaili.
Shaqiri hatte, noch früher als gegen Ecuador, die Position mit Xhaka getauscht. Eine halbe Stunde lang hatte er gegen Manchester Uniteds Routinier Patrice Evra keine Chance. Später war immerhin sein Bemühen vorhanden, das Schweizer Wirken wenigstens auf der Resultattafel erkennbar zu machen. Aber es war nicht sein Tag.
Keine Vorwürfe machen muss sich einzig Diego Benaglio. Halbwegs solide, aber nicht so gut wie gegen Ecuador, war noch Ricardo Rodriguez. Mehmedi war lange Zeit noch der spritzigste Offensivspieler, aber im Abschluss auch erfolglos.
Mehr Ballbesitz, aber…
Es war überhaupt nicht der Tag der Schweizer, die zwar während des ganzen Spiels mehr am Ball waren, in der Endabrechung mit 57 zu 43 Prozent. Dennoch erzielten sie eklatant weniger Wirkung. Ihnen ist einzig zugute zu halten, dass sie den Stolz hatten, nicht völlig unterzugehen. Ihre Ziele sind nun wesentlich profaner als jene der Franzosen, die womöglich nun vom ganz grossen Coup träumen.
Jetzt einfach mal Honduras schlagen und in die Achtelfinals kommen – das müssen die Schweizer. Nicht wie vor vier Jahren, als sie nach einem umjubelten Startsieg den zweiten Match verloren und danach mit einem 0:0 über die – scheinbar kleine – mittelamerikanische Hürde stolperten.
Eine Niederlage dieses Ausmasses musste Ottmar Hitzfeld als Schweizer Nationalcoach noch nie analysieren, auch wenn es in der ersten Phase seiner sechsjährigen Amtszeit ein 1:2 gegen Luxemburg im Letzigrund gab, das auch kein Ruhmesblatt war.
Nach seiner höchsten Niederlage als Nationalcoach sagte Hitzfeld, seine Mannschaft habe «zwar besser begonnen als gegen Ecuador, aber dann kam der Doppelschlag der Franzosen, der ihnen in die Karten spielte.» Das sei «eine schwere Niederlage» und ein «rabenschwarzer Tag».
Sie hätten immer um die Qualitäten der Franzosen gewusst, sagte Hitzfeld, denn diese hätten sich seit dem 3:0 im Playoff-Rückspiel gegen die Ukraine immer mehr gesteigert, mittlerweile spielten sie «geradezu wie eine Maschine». Man habe gewusst, dass man gegen diese Mannschaft nicht in Rückstand geraten dürfe, doch genau das sei passiert.
Es gelte nun, diese Niederlage genau zu analysieren, sagte Hitzfeld. Und es wird auch Kritik geben: «Ich erwarte, dass die Mannschaft nun enger zusammenrückt.»
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