Kitschiger geht kaum: Alex Frei tritt mit einem Freistoss-Tor der Marke «Extraklasse» ab und führt seine Mannschaft auf die Siegesstrasse. Dass er sein Tor mit einem Muskelfaserriss bezahlt, ist da komplett egal.
Es passiert immer wieder: Der Versuch Alex Frei, auf die Schnelle zu charakterisieren, ihn zu würdigen, endet mit Zahlen. So ist es ganz logisch, dass Bernhard Heusler die Nummern immer wieder ins Mikrofon brüllt, als er den grossen Torjäger verabschiedet. «Alex Frei! 521! 521 Profimatches!», ruft der Präsident des FC Basel, «521 Profimatches, Alex Frei, 309 Goals! Und was noch wichtiger war für uns: 166 Matches beim FCB und 107 Tore!»
Das ist vor dem Spiel gegen den FC Zürich, als Frei im Mittelkreis von den Tränen übermannt wird. «Ich bin nahe am Wasser gebaut», hatte er schon zwei Tage vor dem Spiel zugegeben. Und trotzdem geglaubt: «Die Wehmut wird wohl erst so in der 80. Minute kommen.»
Doch das tut sie nicht. Sie ist da, als auf der Grossleinwand sechzehn Jahre Profikarriere auf drei Minuten komprimiert vorüberziehen: Tore, Tore, Trophäen und noch einmal Tore. Frei hat Tränen in den Augen. Er weint, als er von Heusler ein Poster mit den «schönsten Bildern» (Zitat Heusler) aus seiner Zeit beim FCB erhält.
Der Platz im Herzen
«Vielen Dank für alles», ruft Frei den 32’000 auf den Rängen zu, «ihr habt einen Platz in meinem Herzen gewonnen. Vielleicht habe ich auch einen in eurem gewonnen!» Und manch ein Zuschauer fragt sich wohl: Wie um Himmelswillen soll dieser bald 34-Jährige mit seiner tränenerstickten Stimme noch so etwas ähnliches wie eine vernünftige Leistung zeigen?
Aber noch ist Frei ein Fussballprofi durch und durch. Er hat ein Ritual, das ihn nach Spielbeginn offenbar für Schwächegefühle immun macht. Was, genau mag er nach dem Spiel nicht sagen. Nur soviel: «Wenn der Schiri pfeift, ist es wichtig. Ich habe gelernt, den Schalter umzulegen.»
Und so kommt es, wie es sonst nur im Kino kommt, wenn das Streichorchester im Pathos zu ertrinken droht und endlose Zeitlupenaufnahmen den Moment in die längstmögliche Länge ziehen. 58. Minute, Frei wird bei einem Luftkampf (ist er früher je in einen Luftkampf gegangen?) in den Rücken gestossen, Freistoss.
Die Rechnung des Präsidenten
Auf der Tribüne sitzt Bernhard Heusler neben seinem Sohn und rechnet laut: «Die Mauer steht auf dem Sechzehner, das sind 25 Meter, das ist genau die Distanz, die er braucht.»
Frei nimmt Anlauf, ein Schritt, zwei Schritte, er schlenzt den Ball über die Mauer, hoch, exakt in die linke obere Ecke des Tores. Es ist nicht so, dass David Da Costa nicht gewusst hätte, wo der Ball hinkommen wird. Der FCZ-Goalie spekuliert sogar, steht sehr zentral in seinem Tor. Dann reckt er sich, er springt, er ist mit der Hand fast dran.
Aber der Ball ist drin.
Es ist Alex Freis 108. Tor für den FCB. Es ist sein letztes. Ein letzter magischer Moment, den er im Joggeli aus seinem rechten Fuss zaubert.
«Ich weiss nicht, ob das jetzt irgendwie bezeichnend ist», wird Alex Frei mehr als eine Stunde später sagen, «aber ich hatte in meiner Karriere immer im richtigen Moment das nötige Glück.»
Die Wade stoppt den Torjäger
Es sind die Sekunden nach diesem 1:1, seinem letzten Treffer als Profifussballer, in denen Alex Frei so gelöst wirkt wie kaum einmal in seiner langen Karriere. Als er vor der Eckfahne von seinen Mitspielern eingefangen wird, ist da von ihm nicht viel mehr zu sehen als ein Lächeln.
Sechs Minuten später ist seine Laufbahn als Spieler Geschichte. Ein Muskelfaserriss. Schon vor dem Freistoss hat er gespürt, dass da was nicht gut ist in seiner Wade. Beim Torschuss oder spätestens beim Jubel danach bricht die Verletzung auf.
«Ich hätte mich schon noch durchbeissen können», sagt Frei, «aber das wäre dem FCB gegenüber nicht professionell gewesen.» Es wäre nicht Alex Frei gewesen.
Pferdewechsel im gestreckten Galopp
«Wir haben einen Menschen kennengelernt, der nicht nur den Mut hat, den Mund aufzumachen», hat Bernhard Heusler vor dem Anpfiff auch noch gesagt, «sondern einen, der Worten auch Taten folgen lässt.» Und tatsächlich: Die «Kübel», die Frei bei seinem Amtsantritt als Torgarant im Juli 2009 im St.-Jakob-Park wieder zurück nach Basel holen wollte – sie stehen derzeit im Joggeli.
Frei hätte sogar das Kunststück gelingen können, in vier Saisons beim FCB vier Meistertitel zu gewinnen. Doch er hat sich anders entschieden. Es zieht ihn rastlos weiter. Weiter nach Luzern, wo er sich als Sportchef zunächst weniger mit Kübeln als mit der nackten Existenzangst auseinandersetzen muss.
Nach sechzehn Jahren Profifussballer wechselt Frei im gestreckten Galopp die Pferde. Und sagt: «Wenn diese Karriere auch 16 Jahre dauert, wäre es nicht so schlecht.» Dann wäre Sportchef Alex Frei knapp 50-jährig. Ob ihn sein Ehrgeiz dann wirklich in die Frühpensionierung entlässt? Man zweifelt.
Dieses Bild wollten wir Ihnen nicht vorenthalten. Es stammt aus den gemeinsamen Zeiten von Marco Streller und Alex Frei bei den Junioren des FC Aesch, genauer aus der Saison 1992/93. Und man sieht, dass damals schon Titel und Pokale gesammelt wurden. Aufgestöbert haben wir die Aufnahme bei Daniele Faella (mittlere Reihe, rechts neben dem Goalie), seinerzeit der Stürmer, den Streller und Frei fütterten, heute immer noch ihr Coiffeur des Vertrauens im Gundeli.
Und? Hätten Sie die beiden erkannt? Untere Reihe, Zweiter von links: Marco Streller, daneben Alex Frei, mit der Captainbinde, so wie in seinem Abschiedsspiel.