Ernst Bromeis ist Längststreckenschwimmer und «Wasserbotschafter», wie er sich selbst nennt. Bei seinem neusten Projekt wollte er den ganzen Rhein hinunterschwimmen – als erster Mensch angeblich. Doch nun stellt sich heraus, dass ein Deutscher diese Meisterleistung bereits vor 43 Jahren fertiggebracht hat. Und das ist nicht einmal Bromeis‘ grösstes Problem.
Extreme Kälte, extremer Hagel, extremer Regen. Manchmal wird das selbst einem Extremsportler zu viel. Diese unangenehme Erfahrung muss derzeit Ernst Bromeis (43) machen, der Engadiner Längststreckenschwimmer, der von der Quelle des Rheins im Bündnerland bis zur Mündung in Holland schwimmen wollte, 1233 Kilometer insgesamt. «Blaues Wunder» heisst das Projekt.
Hart, sehr hart sogar war schon der Start am 2. Mai. Der Tomasee war noch zugefroren. Also fräste man ein kleines Loch in die Eisdecke, damit Bromeis für die zahlreich erschienenen Fotografen, Kameramänner und Journalisten wenigstens kurz in das Quellgewässer steigen konnte. Danach ging es zu Fuss und auf Skiern weiter, stundenlang, bis nach Surrein unterhalb von Disentis. Dort stieg der Wanderer wider Willen in den Rhein – endlich, wie es auf seinem Blog und seiner Facebookseite heisst. Endlich ist «Ernst» in seinem Element, dem Wasser!
Alles noch viel schlimmer
Entgegen den Erwartungen wurden die Probleme nun aber nur noch grösser. Es regnete und regnete und hagelte und hagelte und der Rhein schwoll bedrohlich an, ausgerechnet hier, ausgerechnet auf diesem ohnehin schon gefährlichen Abschnitt in den Bergen. Doch Bromeis kam durch, durch all die wilden Schluchten, vorbei an tiefen Wirbeln und mächtigen Stromschnellen und stellte danach fest: «Unglaublich, welche Kräfte da wirken.»
Im Bodensee sollte es etwas gemütlicher werden. Doch dann kam es sogar noch schlimmer. Anstatt wie erhofft 14, 15 Grad war der See stellenweise unter 10 Grad. Zu kalt, selbst für Bromeis. Mit Schwindel, Schmerzen und Zitteranfällen musste er ins Rettungsboot. Wie weiter nun? Eine schwierige Frage. Bromeis entschied sich für seine Gesundheit und gegen das ganz grosse Ziel, den gesamten Rhein hinunterzuschwimmen. Die nächsten paar Kilometer auf dem Bodensee legte er im Kajak zurück. Danach wollte er aber weiterkämpfen, am liebsten bis zur Nordsee. Aber auch dieses redimensionierte Ziel ist vielleicht noch immer ein bisschen zu gross. Bromeis befürchtet jedenfalls, bereits auf den ersten Etappen zu viel Energie verloren zu haben. Zwischen Bodensee und Basel löste er das Problem erst einmal so, dass er sich wiederholt paddelnd fortbewegte anstatt schwimmend.
Allzu schlimm ist das aber eigentlich nicht. Wie am Sonntag bekannt wurde, kann Bromeis nämlich ohnehin nicht mehr der erste Mensch sein, der den Rhein hinuterschwimmt, wie seine Sponsoren es angekündigt haben. Laut der Deutschen Presse-Agentur hat der Deutsche Klaus Pechstein diese Meisterleistung bereits vor 43 Jahren fertiggebracht. Der gelernte Silberschmied und einstige aktive Schwimmsportler aus Linz am Rhein (Rheinland-Pfalz) ist heute 71 Jahre alt. Bromeis hat von ihm offenbar nichts gewusst und möchte ihn nun kennenlernen.
Immer grösser, immer weiter
Die vielen Probleme kommen überraschend. Denn Bromeis ist eigentlich ein brillanter Organisator. Einer, der beharrlich, Zug um Zug, immer grössere Projekte angeht. 2008 schwimmt der Sportlehrer durch 200 Bergseen in Graubünden, 2010 in jedem Kanton durch den grössten See, in diesem Jahr solls der Rhein sein. Und mit den Projekten wächst auch die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, auch wenn Bromeis, der sich selber als «Wasserbotschafter» bezeichnet, nichts unbedingt Neues zu verkünden hat. «Wasser ist endlich, Wasser ist verletzlich», sagt er zum Beispiel. Oder: «Wasser verbindet alle Menschen, alle Religionen.»
Eine Gratwanderung auch
Es sind eher triviale Erkenntnisse. Aber Erkenntnisse auch, die in unserer überzivilisierten Welt offenbar gut ankommen. Inzwischen wird der Wasserbotschafter nicht mehr nur von kleinen Schweizer Regionalzeitungen gefeiert, sondern auch von den grossen deutschen Magazinen wie dem «Spiegel». Interessant macht ihn das auch für die Wirtschaft. Eine grosse Organisation wie Schweiz Tourismus ist Hauptsponsorin des «Blauen Wunders», daneben wird es auch noch von anderen Firmen wie Keen Footwear oder Volvo unterstützt. Zahlen werden zwar keine genannt, doch auch so kann man sich die Frage stellen, inwiefern sich im System Bromeis der Rekordhunger und der Umweltschutzgedanke vom Kommerz noch abgrenzen lässt.
Eine Frage, die man sich offenbar auch bei Schweiz Tourismus stellt. «Vordergründig könnte man vielleicht einen gewissen Widerspruch zwischen Umweltschutz und Tourismus vermuten», räumt Mediensprecherin Daniela Bär ein – um sofort anzufügen: «Aber nur vordergründig. Tatsächlich geht es auch uns stark um einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Wir sind angewiesen auf ihre Schönheiten – heute wie in ein paar Jahren.»
Bromeis selbst spricht beim Thema Sponsoring von «einer Gratwanderung», wie er in einem seiner vielen Interviews sagte: «Meine Seele würde ich nie verkaufen. Ich sage immer, was ich denke.» Und er rede auch sehr gerne, mit Journalisten, mit Schülern, mit Lehrlingen – mit allen Menschen.
Bromeis ist ein guter Kommunikator, ein guter Verkäufer auch. Darum kann er von seinen Botschaften leben. Und darum kann er träumen. Von weiteren Abenteuern. Oder einem Zentrum für das Wasser im Engadin, einem «Denkort», wo man einen schonenden Umgang mit dem Wasser lernt.
Es wäre ein Ort auch, in dem Botschafter Bromeis sehr viel angenehmer an der Rettung der Ressource arbeiten könnte als im Rhein, dem kalten.
Am Sonntag, 13. Mai, kam der Engadiner Rheinschwimmer Ernst Bromeis dort an, wo er studiert hat: in Basel. Erwartet wurde er um 14.30 Uhr auf Höhe der Kaserne. Wobei Basel Tourismus und Schweiz Tourismus ihm einen grossen Empfang bereiteten – mit Pauken und Trompeten. Oder genauer: mit Guggemusik und dem MS Baslerdybli, das ihn auf dem Rheinweg durch Basel begleitete.Verfolgen kann man den Schwumm auch virtuell im Internet – auf der Website von Schweiz Tourismus oder bei dasblauewunder.ch.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12